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5. Kapitel

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Kunden, die gezwungen waren, sich einen ADI-Traum zu kaufen, hasste Jonas. So wie diese Frau, die vor ihm auf dem Sofa saß. Ihr ADI-Wert betrug nur fünf Tage, deshalb überlegte sie jetzt seit acht Minuten, ob sie den Vertrag unterschreiben sollte oder nicht. Zwischen ihren dünnen Fingern drehte sie die ganze Zeit den Stift, den Jonas ihr gegeben hatte. Dabei starrte sie durch ihre billige Brille vor sich hin und redete wie zu sich selbst: „Es ist aber wichtig, dass ich vierzehn Tage wach bleibe, solange dauert der Einsatz.“

„Dann müssen Sie noch zweimal herkommen“, sagte Jonas. Verdammt, die Alte ging ihm auf die Nerven. Es war kurz vor einundzwanzig Uhr und er wollte die Filiale schließen.

„Und Sie sind sicher, dass das Gerät nicht kaputt ist?“, fragte sie zum vierten oder fünften Mal.

„Ganz sicher“, antwortete Jonas.

„Aber das würde bedeuten, dass ich noch zweimal herkommen muss.“

„Ja, das bedeutet es.“ Jonas trommelte mit den Fingern auf die Glasplatte des Tisches. Er wollte, dass die Frau sich endlich entschied.

„Warum wird denn der Preis für einen ADI-Traum nicht nach Tagen berechnet? Das wäre doch gerechter.“ Sie drehte noch immer den Stift in der Hand.

„Hören Sie“, sagte Jonas. „Der Preis für einen ADI-Traum beträgt 260 Euro. Wenn Sie mehrere Träume kaufen, gibt es Rabatt. Steht alles hier drin.“ Er zeigte auf die Broschüre, die er der Frau schon vor zehn Minuten gegeben hatte. Einen Moment saß sie noch da, dann stand sie langsam auf.

„260 Euro?“, fragte sie. „Das heißt, die Hälfte dessen, was ich in den vierzehn Tagen verdiene, müsste ich dafür zahlen, dass ich den Job überhaupt machen kann. Sie sagen doch immer, Sie wollen, dass jeder Mensch selbst entscheiden kann, wann er schläft und wann nicht. Aber bei den Preisen gilt das nur für die Reichen oder für Leute mit einem hohen ADI-Wert.“

Jonas stöhnte. Halt die Klappe, dachte er. Wenn du es dir nicht leisten kannst, dann komm nicht her. Er stand auf, ging zur Tür und öffnete sie. „Tut mir leid“, sagte er kalt. „Unser Verfahren ist aufwendig und hat deshalb seinen Preis.“

Die Frau murmelte noch etwas, als sie an ihm vorbeiging, aber er hörte nicht mehr hin. Als sie endlich draußen war, atmete er geräuschvoll aus. Er drehte sich um und ging in Herrn Reiters Büro, um den Schlüssel für die Eingangstür zu holen. Als er zurückkam, stand ein Mann in der Filiale. Er war groß und hager und trug einen schwarzen Anzug und einen schwarzen Hut. Sein Haar war weiß und schulterlang.

„Wo hat sie gesessen?“, fragte er. Er sprach mit einem Akzent, osteuropäisch, wahrscheinlich russisch.

Jonas war so überrascht, dass er nur „Wer?“ fragen konnte. Etwas an diesem Mann war seltsam.

„Das Mädchen, Marie Marne. Sie haben doch ihren ADI-Wert gemessen, 113 Tage. In welchem Sessel?“

Jonas zeigte auf den Sessel. Der Mann ging durch die Filiale und legte seine schmalen, langen Hände auf die Lehne. Einen Moment blieb er so mit geschlossenen Augen stehen. Es sah aus, als ob er jemandem zuhörte. Aber wem? Dann untersuchte er die Haube und schaltete ohne zu fragen den Laptop an. Jonas wollte protestieren, aber der Mann legte seinen dünnen Zeigefinger an die Lippen und machte: „Pssst! Wieso haben Sie ihren ADI-Wert überhaupt gemessen?“, fragte er dann.

„Nur so zum Spaß“, Jonas merkte, dass er rot anlief. Der Mann sah es nicht, er war mit dem Laptop beschäftigt.

„Warum war sie überhaupt da?“

„Wer?“

Jetzt hob der Mann den Kopf. „Marie Marne“, sagte er scharf.

„Sie war mit ihrem Vater da, Hannes Marne.“

„Bringen Sie mir seinen Vertrag.“

Jonas kratzte sich am Kopf. Wer war dieser Kerl? Durfte er ihm den Vertrag zeigen? Vielleicht war es besser, seinen Ausbilder, Herrn Reiter, anzurufen? Normalerweise durfte Jonas als Lehrling gar nicht allein in der Filiale sein, aber heute hatten alle etwas Wichtiges vorgehabt und er hatte sich angeboten, allein hier zu bleiben. Er wollte sich einen ADI-Traum gönnen. Offiziell durfte er das nicht, denn er war noch nicht achtzehn, aber inoffiziell hatte er schon seit dem Beginn seiner Lehrzeit ADI-Träume. „Entschuldigung, ich habe Ihren Namen nicht verstanden?“

„Holen Sie den Vertrag, wenn Sie weiter bei All Day Industries arbeiten wollen. Und beeilen Sie sich“, sagte der Mann, ohne den Blick von dem Laptop abzuwenden. Jonas zögerte noch einen Moment, dann gehorchte er.

Dieser Mann gehörte zur Firma, daran bestand kein Zweifel. Wahrscheinlich kam er von ganz oben. Jedenfalls schien er daran gewöhnt zu sein, Befehle zu geben. In Herrn Reiters Büro brauchte Jonas nur ein paar Klicks am Computer, bis er Hannes Marnes Vertrag gefunden hatte. Während er ihn ausdruckte, fragte er sich, ob ihm dieser seltsame Mann irgendwie nutzen konnte? Wenn Jonas ihm gab, was er wollte, würde der ihn vielleicht weiterempfehlen? Jonas hatte nicht vor, sein Leben lang ein einfacher Filialangestellter zu bleiben. Er wollte bei den ganz großen Jungs mitmischen, bei denen, die er manchmal in den ADI-Lounges traf, wenn er sich dort massieren ließ.

„Hier ist der Vertrag“, sagte er leise.

Der Mann nahm ihn und blätterte ihn hastig durch. „War dieser Hannes Marne zum ersten Mal hier?“ fragte er.

„Nein, er ist Stammkunde“, antwortete Jonas schnell.

„Er hat heute Geburtstag. Seinen Fünfzigsten.“

„Ja“, sagte Jonas, „davon hat er mir erzählt, er wollte eine große Party geben.“

„Wo?“

„Keine Ahnung.“ Verdammt, wenn er das auch noch gewusst hätte, wäre dieser Typ beeindruckt gewesen.

„Finden Sie es heraus.“

Jonas ging schnell zu einem der Rechner, die in den Büros standen, und gab den Namen Hannes Marne ein. Der Mann schien berühmt zu sein. Es gab einen Haufen Einträge. Ziemlich weit unten wurde auf die Seite eines Hotels verwiesen. Es war das beste Hotel der Stadt. Noch während Jonas las, kam der Mann herein und schaute ihm über die Schulter.

„Vielleicht feiert er da“, sagte Jonas.

Er bekam keine Antwort. Der Mann ging so grußlos, wie er gekommen war. Verdammt, Jonas hatte es vermasselt. Er schloss gedankenversunken die Tür ab. Dann drehte er sich um und stieg langsam die Stufen zu den Schlafkabinen hinauf. Es war bestimmt besser, wenn er den Besuch dieses seltsamen Mannes zunächst für sich behielt. Ohne nachzudenken öffnete Jonas die mit weißem Leder gepolsterte Tür der sechsten Schlafkabine. Er benutze immer die sechste Schlafkabine, ohne zu wissen warum. Es gab Kunden, denen waren die Kabinen zu klein, Jonas fand es gemütlich, dass sie kaum größer als das Bett waren, auf das er sich jetzt legte. Man hörte nichts, denn auch die Wände waren mit weißem Leder gepolstert. Die Schlafbrille hing an einem Ständer neben dem Kopfkissen. Jonas nahm sie und setzte sie auf. Dann drückte er auf die Fernbedienung.

Bunte Lichter kreisten vor seinen Augen. Leise Musik war zu hören. Gleich würde er träumen. Es war ein gutes Gefühl, ADI-Mitarbeiter zu sein. Das hier war die Zukunft und Jonas bekam sie zum Nulltarif.

Marie Marne und das Tor zur Nacht

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