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Wölfe und Schafe

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In grauer Majestät lag die Abtei Silvacane in der Ebene. Das letzte Tageslicht war am Verblassen, als vermummte Gestalten aus dem mit hohem Schilfrohr umsäumten Uferstreifen der Durance eilten. Sie huschten an den Mauern entlang. In ein paar Augenblicken war die steinerne Einfriedung des Klosters abgeriegelt. Als Zeichen ertönte der Ruf eines Wasservogels. Zwei der Unkenntlichen schlugen die Glocke an der Pforte an.

Den Bruder Pförtner bedrohten sie: „Öffnen! Und zum Abt!“

Der Mönch blickte in die Waffe, die auf sein Gesicht gerichtet war, nickte und schob den Riegel auf. Stumm führte er die beiden den Gang entlang.

Der Abt blickte ungläubig auf.

„Kein Signal!“ Die Vermummung gab der leisen Stimme etwas Unheimliches und Drohendes. „Das Kloster ist umstellt. Kein Geläut, nichts! Verstanden?“

Der Abt bejahte. Zu dem zitternden Mönch sagte er ruhig: „Geh an die Pforte wie sonst. Sei gehorsam.“

Sie nahmen den Abt in die Mitte. Ein alter Ordensmann trat ein und blieb wie angewurzelt stehen.

„Kein Laut!“ Eine Hand hatte sich blitzschnell auf seinen Mund gelegt. Fassungslos suchte der Mönch den Blick seines Abts.

Der sagte mit fester Stimme: „Sag den anderen, es darf nach außen kein Zeichen gegeben werden, und die Glocken dürfen nicht geläutet werden.“

Sie gingen schweigend an dem Pförtner und dem alten Mönch vorbei, die sich bekreuzigten und den beiden Vermummten nachsahen, wie sie ihren Abt in den Hof vor die Abteikirche hinausführten.

Im Dämmerlicht war zu sehen, dass ein paar Männer ein Schwein aus dem Stall des Klosters zerrten. An der großen Eiche vor dem Tor wurde es aufgehängt. Das gellende Quieken drang in die Stille des Abends und hallte wider in den Mauern der Abtei. Auch der Abt erkannte, dass Feuer unter das Tier getragen wurde. Er wandte den Kopf ab.

„Hinsehen!“ Die scharfe Stimme neben ihm duldete keine Ausflucht.

Feuer im fallenden Dunkel, huschende graue Gestalten, grässliches Quieken … Da stachen sie das Schwein ab; zischend rann das Blut in die Glut. Der Abt schwankte. Endlich nach quälend gedehnter Zeit das Verstummen des Tieres. Harte Hände hielten den Mann fest. Kein Geräusch außer dem verlöschenden Feuer. Der Geruch von versengtem Haar in der Luft. Als es reglos hing, wurde das Schwein aufgebrochen. Das herabfallende Gedärm erstickte die letzen Flammen. Sie führten den Abt zur Pforte zurück, er musste gestützt werden.

„Ein Fass Rotwein! Und Brotlaibe!“

Mit schwacher Handbewegung gab der Abt dem Pförtner das Zeichen, dem Befehl der Vermummten nachzukommen. Als alles ausgeführt war, ließen sie den Abt los.

„Bis zum Morgengrauen – kein Signal!“

Ohne sich umzusehen, trat er über die Schwelle; das Tor wurde geschlossen. Und kein Glockenläuten, keine Botschaft, kein Zeichen drang aus dem Dunkel der Abtei nach draußen.

Bei Morgengrauen mussten ein paar Mönche in gehetzter Eile den Vorhof säubern und die Spuren des nächtlichen Vorfalls entfernen. Dabei fanden sie abgebrannte Reste eines Kreuzes, wo das Feuer unter dem Tier gebrannt hatte. Sie stammten von dem Votivkreuz des Martin Dupont, der unter dem Vordach der Einfriedungsmauer bewahrt worden war, als im Unwetter ein Blitz in die Eiche eingeschlagen hatte.


„Willst du, Marcel Mormas, treu bleiben unserem waldensischen Glauben ein Leben lang, so sprich die Worte: Ich will, und Jesus Christus helfe mir.“

Marcel beugte den Kopf, und die Männer sahen auf seine starken Schultern und die gebräunten muskulösen Arme.

„Ein Kämpfer für uns wirst du sein, ein starker Waldenser, wie unsere Zeit es braucht“, sagte Eustache Marron halblaut. Und mit lauter Stimme wiederholte er: „Willst du …“ Er hielt ihm die rechte Hand entgegen.

Marcels Händedruck war fest und seine Stimme klar. „Ich will, und Jesus Christus helfe mir.“

Der Barbe Luc aus dem Chisonetal, der zwei Tage lang in Cabrières bei Eustaches Vater Station gemacht hatte, sprach die Segensformel: „Lux lucet in tenebris. Das Licht leuchtet in der Finsternis. Es segne dich der Herr Jesus Christus, der als Licht in die Welt kam zu retten alle, die an ihn glauben.“

„Amen“, sagten die zwei Zeugen, Eustaches Vater und der alte, fast taube Knecht, den sie vom Stall weg hereingeholt hatten.

„Kann ich wieder …“ Der Alte hob fragend den Kopf. Eustache nickte, und er schlurfte gleichgültig aus dem Raum.

Der Barbe Luc packte seinen Sack. „Und denkt daran: keine Gewalt!“ Seine Stimme klang müde. „Wir Waldenser sind Menschen des Friedens.“

„Selbstverständlich.“ Eustache Marron klopfte dem Wanderprediger begütigend auf den Rücken. „Wir wehren uns bloß, wenn man uns angreift.“

Sein Vater brachte eine geräucherte Speckseite aus der Küche. „Das ist Wegzehrung für Euch, Onkel.“ Der Barbe dankte ihm. Noch ein Mal wandte er sich an Eustache.

„Was war das mit der Abtei Silvacane? Man sagt, Waldenser hätten das Kloster überfallen.“

Eustache Marron antwortete ausweichend: „Geredet wird viel. Ein paar Bauern aus der Umgebung wollten bloß etwas gerechter teilen, das war alles.“ Der Barbe sah ihn weiterhin fragend an, deshalb setzte er hinzu: „Da haben sie eben zur Warnung für den Abt ein wenig gedroht und den Mönchen einen Schrecken eingejagt.“

„Was haben sie gemacht?“, fragte Marcel Mormas neugierig.

Eustache konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Na ja, sie haben das Kloster umstellt, dass keiner herauskonnte und haben dann ein Schwein aus dem Klosterstall geholt und es geschlachtet und sich vor dem Tor gelagert und ein Feuer gemacht. Den Abt haben sie so lange festgehalten, bis ihnen ein Fass Rotwein und ein paar Laibe Brot herausgebracht wurden. Es war wirklich nur eine Warnung.“

Der Barbe schüttelte ärgerlich den Kopf. „Stimmt es, dass sie ein Kruzifix zerhackt und es als Brennholz genommen haben?“

Eustache zuckte die Achseln. „Kann schon sein. Was weiß ich, ich war ja nicht dabei.“

Da richtete sich der Barbe auf und rief empört: „Das Kreuz ist das Zeichen für den Opfertod unseres Herrn und verlangt Ehrerbietung.“

Der Waldenserführer Eustache sah ihn aus schmalen Augen an. „Das Kreuz ist auch ein Zeichen der Folter.“ Seine Stimme war scharf geworden. „Im Zeichen des Kreuzes werden Menschen zum Scheiterhaufen gezerrt und bestialisch zu Tode gebracht. Und das Kloster ist bei all dem nicht nur eine Stätte der Stille und des Gebets, wie Ihr das wohl immer noch meint, Onkel. Das Kloster ist zu einem Stützpunkt der Inquisition geworden.“

Eine lastende Stille folgte seinen Worten. Marcel sah gespannt auf Eustache Marron, und mit Erstaunen nahm er wahr, wie schnell dieser Mann sein Gesicht wechseln konnte. Nun strahlte er wieder eine überlegene Gelassenheit aus.

„Onkel“, sagte er in freundlicherem Ton zu dem Barben, „wir Waldenser sind Menschen des Friedens. Zu Recht habt Ihr das gesagt. Ich sage es auch. Der Vorfall in Silvacane war nur eine dringende Warnung, war die Aktion einiger Bauern, die nichts als ihre Gerechtigkeit wollen.“

Der Barbe wiegte besorgt den Kopf. „Ihr solltet Euch schärfer abgrenzen von derartigen Provokationen, Eustache. Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Die Lage ist schon angespannt genug. Die Inquisition ist allgegenwärtig in ihren Spitzeln. Unterschätzt das Netzwerk des Geheimdienstes nicht!“

Eustache Marron sah den Barben mit missmutigem Ausdruck an. Schließlich stimmte er ihm zu. „Ihr habt ja Recht, Onkel. Aber seht, die Leute sind erbittert, sie wollen nicht länger die Schafe sein, die man wehrlos zur Schlachtbank führt.“

Der Barbe trat nah an ihn heran. „Für uns gilt, was die Schrift sagt. Und so lautet das Wort des Herrn: Siehe, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.“

Eustache Marron zuckte die Achseln und antwortete nicht. Der alte Vater Marron trat vor den Barben. „Eure Worte sollen nicht vergeblich sein, Onkel. Geht mit Gott. Und Jesus Christus leite euch mit seinem Schutz. Gebt uns nun den Segen.“

Der Barbe hob die Hände. Die drei Männer – der Waldenserführer, sein alter Vater und der neu in die Gemeinschaft aufgenommene Marcel Mormas – beugten die Knie.

„Der Herr segne euch und geleite euch mit seinem Wort. Er erhalte euch bei der Gemeinschaft und verleihe euch seinen Geist des Friedens. Amen.“

Die Gerechten des Luberon

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