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Wie zarter Blütenschnee

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Suzanne Conte legte sorgfältig kleine Leinensäckchen mit getrocknetem Lavendel zwischen die Stapel der neuen Tücher, die sie in vielen Stunden gesäumt hatte. Rosette wird Braut.

Neun Kinder hatte Suzanne Conte, geborene Piston, zur Welt gebracht. Vier davon waren ihr innerhalb zwei Wochen am Stickhusten gestorben; es waren die kräftigsten gewesen, diese vier ersten Kinder, starke kleine Buben. Und wenn sie an ihre stämmigen Beinchen und an ihre runden Backen dachte, schmerzte ihr Herz auch nach vielen Jahren noch. Ihr hartes Tagewerk in Haus und Garten in Lacoste, die Bestellung des schmalen, steinigen Feldes am Berghang, all das hatte ihr keine Zeit gelassen, sich der Trauer hinzugeben. Aber manchmal in der Nacht hörte sie wieder ihre hellen, lachenden Stimmen und das Getrappel ihrer kleinen Füße. Es war dann, als erwache das verwaiste Haus zu neuem Leben. Und in ihrem Leib wuchsen vier neue Kinder, drei Söhne und eine Tochter, Henri und René und Paul und Deborah, und Suzanne Conte versöhnte sich wieder mit dem Leben.

Als sie das letzte Kind trug, starb ihr Mann. Plötzlich und ohne Vorwarnung war er des Morgens neben dem Bett zusammengebrochen. Und Suzanne Conte war viel zu früh niedergekommen. Die Hebamme hatte ihr das Kindchen in den Arm gelegt mit sorgenvollem Blick, ein zartes Würmchen mit blauen Lippen, dessen Atem immer wieder gestockt hatte, ein wunderschönes Mädchen, wie eine zarte Rosenknospe von der Höhe des Luberon. Sie nannte es Rosette. Und Gott hatte Erbarmen gehabt und ihr dieses Kind mit dem schwachen Herzen gelassen, das jüngste Kind, das Sorgenkind, um das Suzanne Conte viel Angst ausgestanden hatte.

„Es ist eine Krankheit des Herzens“, hatte der heilkundige Abbé Martin vom Kloster St. Hilaire zu ihr gesagt vor vielen Jahren. „Dieses Kind wird nicht alt werden. Tröstet Euch darüber, liebe Frau, die Kinder haben offenen Zugang zum Himmelreich, keine Sünde trennt sie von Gott, sie sind reinen Herzens.“

Sie aber hatte sich nicht damit abgefunden, hatte jedem Anfall die Kraft ihrer Gebete entgegengesetzt. Sie war mit ihrer Tochter zu jedem Wallfahrtskirchlein in der ganzen Umgebung gepilgert mit der Bitte um Rettung; und die verhärmte Frau mit dem zarten, schwarzlockigen Kind war in jedem Kloster der Gegend wohl bekannt.

Bis dann der Barbe Octave zu ihr gesagt hatte: „Du brauchst die Heiligen nicht. Wende dich direkt an Jesus Christus. Er hat das Bitten einer Mutter erhört, wie geschrieben steht in der Schrift.“ Und er hatte ihr aus dem kostbaren Buch vorgelesen: „Jesus sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß, dir geschehe, wie du willst. Und ihre Tochter ward gesund zu derselben Stunde.“

Das war der Anfang des Weges gewesen, der Suzanne Conte zu den Waldensern geführt hatte. Denn wie in der Schrift berichtet, so war es auch bei ihr geschehen; nicht eine Heilung in derselben Stunde war ihr gewährt worden, aber ein allmähliches Besserwerden, eine Kräftigung von Jahr zu Jahr, gelobt sei der Herr!

Suzanne Conte strich zärtlich über das feine Leinen. Und nun darf ich ihre Hochzeit vorbereiten. Gut passen sie zusammen, meine Rosette und Marcel, der Starke, der so zart umgeht mit meiner Tochter.

Mit offenen Augen träumte sich die Mutter in die Zukunft. Die Kinder der beiden werden dunkle Locken haben wie ihre Eltern, und ich werde sie lehren, dass Gott die Güte ist und das große Erbarmen.

Nur eines machte ihr Sorge: Marcel verbrachte viel Zeit in Cabrières bei Eustache Marron, dem die jungen Leute nachliefen. Auf ihn hörten sie, ihm gehorchten sie, aber er hatte in einer Versammlung in ihrem Haus einen Satz gesagt, der ihr den Frieden nahm: „Waldenser, wehrt euch!“

Suzanne Conte nahm die neuen Tücher vom Tisch und legte sie sorgfältig in eine Holztruhe. Wir Alten haben keine Stimme mehr, nur noch die Stimme des Gebets. Nur? Suzanne Conte lächelte. Keiner wusste ja so gut wie sie, welche Kraft im Gebet liegt. Sie setzte sich auf die Bank in ihrem alten Haus in Lacoste und faltete die Hände.


Die Kirschbäume im Tal waren überschäumt von zartem Blütenschnee, voll von Summen und Sonnenlicht. Die Melodie des Frühlings hatte endlich das kalte, winterliche Schweigen gebrochen. An so einem hellen Tag im März läutete die Glocke von St. Trophime in Lacoste zur Hochzeit von Rosette Conte.

Mit weißen Blüten im Haar und Licht in den Augen wartete sie an der Tür ihrer Mutter auf Marcel Mormas, der seiner Braut entgegenging wie einer, der stark genug ist, das Glück mit den Händen zu fassen.

Aber auf Suzanne Conte fiel der Schatten einer düsteren Vorahnung, und sie rang um Fassung und konnte kein Wort sagen, als Rosette vor sie trat. Sie legte ihre kalte Hand an die Wange ihrer Tochter, fuhr scheu mit den Fingern das Lächeln nach. Rosette hielt still, das junge Gesicht der Mutter zugewandt, und dieser kostbare Augenblick flog vorüber.

Wem der Allmächtige die Ahnung eines großen Glückes schenkt, der ist selig zu nennen, doch oft erst im Rückblick weiß der Mensch, dass sich für ihn ein Fenster zum Himmel geöffnet hat an einem Tag, den er sein Leben lang nicht vergessen kann.

Die Gerechten des Luberon

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