Читать книгу Zorngeboren - Die Empirium-Trilogie (Bd. 1) - Claire Legrand - Страница 13
8 ELIANA
Оглавление»Sie nennen ihn den Wolf. Unsere Informanten berichten, dass er der Liebling des Propheten ist. Sie behaupten, dass er nicht gefangen werden kann, aber seid versichert, Mylord: Wir werden diesen Wolf finden, seinem Körper jedes Geheimnis entreißen und ihn dann ausbluten lassen.«
Bericht von Lord Arkelion an seine heilige Majestät, den Kaiser der Unsterblichkeit
21. Juni im Jahr 1018 des Dritten Zeitalters
Der Wolf fesselte ihre Hände ans Treppengeländer und befahl ihr, sich auf die unterste Stufe zu setzen. Dann nahm er zu ihrer Überraschung seine Maske ab und schob die Kapuze zurück.
Elianas Madame hatte stark übertrieben.
Seine Narben liefen in silberfarbenen Streifen über Stirn, Nase und Wangen. An einigen Stellen war seine Haut geschädigt, von Feuer oder Wind, doch das Gesicht selbst, das von zerzausten, aschblonden Haaren eingerahmt wurde, war ernst und klar. Attraktiv.
Aber mit den Augen hatte die Madame recht gehabt: eisblau und hart wie ein Diamant.
»Gefällt dir, was du siehst?«
Eliana blickte kurz zu ihm auf. Dann beugte sie sich zu ihm, bog aber den Rücken so weit durch, dass er keine falschen Vorstellungen bekam.
Der Wolf kniete sich vor sie. »Du bist gut.«
Grinsend musterte sie ihn von oben bis unten – groß und schlank, schmal geschnittene Hose und Weste, ein Hemd mit Manschetten, Waffenhalfter an einer Schärpe um seinen Oberkörper und ein tief sitzender Gürtel, der auf seiner Hüfte lag. »Das bist du auch, Wolf. Es ist ein Jammer, dass ich dich töten muss. Wenn wir uns unter anderen Umständen begegnet wären, hätte ich gern dein Schwert gesehen.«
»Das ist gewiss eine herbe Enttäuschung.« Jetzt ließ er seinen Blick über ihren Körper wandern. »Du bist viel witziger, als ich gedacht habe.«
»Witzig?« Sie lachte kehlig. »Du hast ja keine Ahnung, wie witzig ich wirklich sein kann.« Sie lehnte sich so weit zurück, wie es ihre gefesselten Hände zuließen, und tat gelangweilt. »Also gibt es dich doch. Den mächtigen Wolf. Den gefürchteten Feldherrn der Roten Krone, den unaufhaltsamen Soldaten. Die rechte Hand des Propheten höchstpersönlich. Wenn du mich fragst, mehr Hund als ein Wolf. Ihr Rebellen seid doch alle gleich.«
»So, sind wir das?« Sein leichtes Lächeln ließ sie frösteln.
»Erzähl mal«, fuhr sie fort. »Wie ist das, wenn du dem Propheten Bericht erstattest? Kriechst du dann auf dem Bauch zu ihm und küsst seine Stiefel? Zieht er dir eins mit der Peitsche über, weil du den Kaiser noch immer nicht gestürzt hast? Wenn du mich fragst, solltest du jetzt lieber deinem Geschäft nachgehen. Tag für Tag sterben weitere Rebellen.« Sie lehnte sich wieder nach vorn und befahl ihrem pochenden Herzen, ruhig zu bleiben. »Dafür sorge ich.«
Er beugte sich ebenfalls vor. Obwohl er kniete, war er groß. »Falls du vorhast, mich wütend zu machen«, raunte er, ihre Lippen waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, »muss ich dich leider enttäuschen.«
Mit jedem Moment, den er länger hier kauerte und sie anstarrte, mit jedem Moment, den sein Blick über alle Stellen und Kurven ihres Körpers wanderte, kam sie einem Panikanfall näher. Da war eine Ruhe an ihm – eine Art schreckliches Geheimnis, das zusammengerollt auf der Lauer lag und auf ihr lastete wie die Erinnerung an einen bösen Traum.
Kurz verlor sie die Nerven.
»Was willst du von mir?«, fragte sie.
Sein Lächeln wurde langsam breiter. »Tja, Madam Fluch, ich will dich.«
Die eigenartige Zärtlichkeit in seiner Stimme jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. »Wo ist meine Mutter?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
Eliana verdrehte die Augen. »Mir war nicht klar, dass die Rote Krone es sich zur Gewohnheit gemacht hat, wehrlose Frauen aus ihren Betten zu rauben«, sagte sie höhnisch. »Seid ihr nicht angeblich Helden? Kämpft gegen unsere Unterdrücker und rettet die Welt vor der Tyrannei?«
»Die Rote Krone ist für diese Entführungen nicht verantwortlich.«
»Wer dann?«
»Eine gute Frage. Ich habe meine Vermutungen.«
Es war sinnlos, ihn weiter zu beschuldigen. Schließlich hatte sie schon vor einer ganzen Weile ausgeschlossen, dass die Rote Krone etwas mit dem Verschwinden der Frauen zu tun hatte.
Aber sie wurde den Gedanken nicht los, dass ihre Mutter irgendwo gefangen gehalten wurde und sich alleingelassen und verängstigt fragte, wann ihre Tochter sie endlich dort herausholte.
Elianas Augen brannten. Wie gern hätte sie jetzt ihre Dolche in den Fingern. »Entweder du tötest mich«, sagte sie betont gut gelaunt, »oder du bindest mich los, damit ich dir deine falsche Zunge herausschneiden kann.«
»Mir liegt weder am einen noch am anderen.« Er unterdrückte ein Lächeln. »Ich habe dir ein Angebot zu unterbreiten, aber ich würde es vorziehen, an einem anderen Ort darüber zu reden, falls diejenigen, die deine Mutter mitgenommen haben, noch einmal zurückkommen. Was hältst du davon, wenn wir uns woanders um unsere Geheimnisse kümmern, kleiner Fluch?«
Klein? Sobald sich die Gelegenheit bot, würde sie ihm kräftig den Hintern versohlen.
»Spinnst du?«, blaffte sie ihn an.
»Das haben sich schon viele gefragt.« Er legte zwei Finger unter ihr Kinn, damit sie ihn ansah. Seine Berührung war wie ein Stromschlag, aber sie riss sich zusammen und lehnte sich in seine Hand.
»Solche Leute wie dich jage ich«, sagte sie und grinste leicht, aber unbeirrt.
»Ich weiß, und du machst deine Sache gut.« Jeglicher Humor war aus seiner Stimme verschwunden. »Sag mir eins, Madam Fluch: Wenn ich verspreche, dass ich dir bei der Suche nach deiner Mutter helfe, und du mich im Gegenzug unterstützt, wirst du dich mir dann anschließen?«
Eliana versuchte, schlau aus ihm zu werden, fand aber nichts, was ihn verriet. Sich ihm anschließen? Ein lächerlicher Gedanke. Sie konnte ihm ja wohl kaum vertrauen.
Aber wenn sie sich weigerte, wenn er aus der Stadt floh und sie mit leeren Händen bei Lord Arkelion erschien – was dann?
Wie gern hätte sie jetzt ihre Augen geschlossen und einen Moment in Ruhe darüber nachgedacht. Mutter, es tut mir leid. Gott, es tut mir so leid. Ich komme, so schnell ich kann. Ich werde dich finden, versprochen!
»Morgen werde ich diese Stadt verlassen«, fuhr der Wolf fort, »und du wirst wahrscheinlich windelweich geprügelt, weil ich dir durch die Lappen gegangen bin. Du kannst also mit mir kommen oder es bleiben lassen, fangen wirst du mich jedenfalls nicht.« Ein kurzes Lächeln. »Du willst doch deine Mutter wiederfinden, nicht wahr? Wäre es nicht klüger, wenn dir jemand dabei hilft?«
Ihre Gedanken überschlugen sich. »Ach, du meine Güte, was für eine Nacht. Da braucht der berühmte Wolf doch tatsächlich die Hilfe von einem Mädchen –«
»Meine Mission startet morgen Abend. Sind wir im Geschäft oder nicht?«
»Morgen hat seine Lordschaft Namenstag. Im Palast wird gefeiert.«
»Was für ein glücklicher Zufall.«
Sie sah ihn skeptisch an. »Nur morgen Abend?«
»Nein. Unsere Mission dauert länger.«
»Wie viel länger?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Oder willst du es nicht?«
»Das sind meine Bedingungen. Nimmst du sie an?«
Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie brachte ein scheinbar unbefangenes, höhnisches Lächeln zustande. »Warum ich?«
»Du kennst den Palast. Mit dir komme ich leichter hinein.«
»Und danach? Warum soll ich mitkommen?«
»Weil es dann schnell gehen muss und ich eine Mörderin an meiner Seite brauche. Jemanden, der so gut ist wie ich.«
»Oder besser.«
»Sagt eine, die gefesselt am Boden liegt.«
»Du hattest eine Pistole. Sonst hätte ich dich geschlagen.«
»Vielleicht.«
»Muss ja eine ziemlich wichtige Mission sein«, sagte sie spöttisch, »und trotzdem würdest du es darauf ankommen lassen und mir vertrauen.«
»Ich setze darauf, dass du deine Mutter retten willst«, antwortete er.
Der Wolf hatte ihren wunden Punkt entdeckt. Und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wusste er das auch.
»Und wenn ich mich nicht darauf einlasse?«
»Dann verschwinde ich von hier und werde dich nicht mehr behelligen, und du kannst deinem sogenannten Leben einfach weiter nachgehen. Außer natürlich sie töten dich, weil du mich nicht gefasst hast.«
Eliana schwieg, sie war gespannt, was er jetzt tun würde.
Nach einer Weile band er ihre Handgelenke los, warf die Fesseln weg und stellte sich hin. »Nun?«
Sie überlegte, wie lange sie dafür brauchen würde, ihn so zu treten, dass er stolperte, sich seinen Revolver zu schnappen und zu schießen. Eine Pistole hatte sie noch nie benutzt – sie waren selten, teuer, und sie hatte sich verboten, Geld dafür auszugeben –, aber sie würde schon damit umgehen können.
Fünf Sekunden. Vielleicht sechs.
Sie könnte es schaffen. Sie stand auf.
Und dann sah sie Harkan.
Er kam aus der Küche, verschmolz mit der Dunkelheit und hatte seinen Lieblingsdolch in der Hand. Hinter ihm stand Remy und schaute gespannt zu.
Harkans Blick fand ihren, hielt ihn fest. Ich hab dich.
»Ich werde dir helfen«, sagte sie langsam zum Wolf, »aber nur wenn ich meinen Bruder mitnehmen kann.«
Remy bekam ganz große Augen.
»Den kleinen Bäckerjungen?« Der Wolf runzelte die Stirn. »Das ist nicht dein Ernst.«
Eliana verzog keine Miene. Was wusste er noch alles über sie?
»Ich nehme an, wir stehlen etwas aus dem Palast, was wir dann irgendwo abliefern. Irgendetwas für den Geheimdienst? Ganz egal, wohin wir es danach bringen, Remy kommt mit. Du wirst ihm eine sichere Überfahrt nach Astavar besorgen und nichts unternehmen, was ihm schadet. Sonst kommen wir nicht ins Geschäft.«
Er funkelte sie an. »Das habe ich so nicht angeboten.«
»Ja oder nein, Wolf.«
Er legte den Kopf zurück. In seinen Augen spiegelte sich das Mondlicht, was ihn wie eine Figur aus einer von Remys ausgefalleneren Geschichten erscheinen ließ – ein Wesen der Nacht, erschaffen aus Geheimnissen und mit scharfen Kanten. Ein Monster des Imperiums, das die Sonnenkönigin töten würde. »So nennen mich nur die Leute, die Angst vor mir haben. Und du hast keine Angst vor mir. Oder doch?«
Harkan schlich vorsichtig durch die Dunkelheit zu ihnen – ein Schritt, zwei Schritte.
»Nicht im Geringsten«, log sie. »Aber wie soll ich dich dann nennen?«
Er neigte den Kopf. »Du kannst mich Simon nennen.«
»In Ordnung. Simon. Eine Sache noch: Mein Freund Harkan wird auch mit uns kommen.«
Hinter Simon hob Harkan den Dolch, er war bereit.
Eliana spreizte ihre Finger.
Simons Lippen wurden schmal, das einzige Warnzeichen. Eine Drehung, ein Stoß, und schon lag Harkan auf dem Rücken, Simon hatte ihm die Waffe abgenommen und drückte mit dem Stiefel auf Harkans Hals.
»Er?«, fragte Simon und zeigte mit dem Dolch auf Harkan. In dem Blick, den er Eliana dabei zuwarf, lag tiefste Abscheu. »Dein Liebhaber?«
Eliana grinste Simon an. »Schon eifersüchtig? Lass ihn los.«
»El«, krächzte Harkan, der fast keine Luft bekam, »wir dürfen ihm nicht trauen.«
»Stimmt«, sagte sie. »Aber er uns auch nicht.« Auffordernd streckte sie ihre Hand nach Tuora aus. »Gib ihn frei, oder wir kommen nicht zusammen.«
Simon zögerte, reichte ihr schließlich Tuora und wich einen Schritt zurück.
Eliana schob den Dolch in das Halfter an ihrem Gürtel, kniete sich neben Harkan und half ihm, sich aufzurichten. »Erzähl mir mehr von dieser Mission, Wolf.«
»Auskünfte nur, so weit du sie brauchst, kleiner Fluch«, sagte Simon. »Mach bis dahin einfach, was ich sage, und ich helfe dir dafür, deine Mutter zu finden. Darauf hast du mein Wort.«
»Das Wort eines Rebellen zählt nicht viel.«
»Und wie sieht es mit dem Wort eines Mordkumpanen aus?« Er zog seine Handschuhe aus und streckte ihr die Hand entgegen. »Sind wir uns einig?«
Eliana zögerte. Wenn sie sein Angebot annahm, war ihr Leben hier verwirkt. Mit Abtrünnigen ging Lord Arkelion nicht gerade zimperlich um, und Rahzavel würde nicht zulassen, dass sie sich einfach aus dem Staub machte. Wenn sie sich darauf einließ, brachte sie nicht nur sich selbst in Gefahr, sondern auch Remy und Harkan.
Aber wenn es irgendjemanden gab, der helfen konnte, ihre Mutter zu finden und sie alle unbehelligt nach Astavar und in Sicherheit zu bringen, dann war das der Wolf, der sämtliche Anhänger der Roten Krone – genau die Leute, die sie so lange verfolgt hatte – hinter sich hatte.
Wenn sie es richtig anstellte, könnte sie Harkan und Remy noch ein paar Jahre vor dem Zugriff des Imperiums bewahren. Sie könnte dem Invictus entgehen, bei ihren Lieben bleiben, ihre Mutter finden und sie alle beschützen.
Sie suchte in Simons Augen nach einem Anzeichen von Heuchelei, fand aber nur kühle Gleichgültigkeit.
»Lass dich nicht darauf ein, Eliana«, krächzte Harkan und funkelte Simon an. »Wir finden Rozen auch anders.«
Aber es gab kein anders. Eliana blieb stehen und schlug ein.
»Wir sind uns einig«, sagte sie und versuchte, nicht darauf zu achten, dass sie unter Simons Berührung fröstelte – es war ein Gefühl, wie wenn sie aus dem Verborgenen beobachtet wurde oder der flirrenden Energie eines Unwetters ausgesetzt war, vor dem sie nicht schnell genug fliehen konnte.