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2.1 Ausgangspunkt Alltagserfahrung

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Sinneserfahrung als Ausgangspunkt der Forschung

Ist die Sinneserfahrung Ausgangspunkt der Forschung, so heißt dies, im Alltag gesammelte Erfahrungen und Eindrücke – also die sinnlich wahrgenommene Welt – für die Formulierung der Forschungsfragen zu nutzen. Häufig sind es nicht bereits vorliegende Forschungsergebnisse, sondern Anlässe aus dem Lebensalltag, die den Ausgangspunkt für neue Forschungsvorhaben bilden. So führte beispielsweise die Beobachtung, dass Abiturientinnen aus Mädchengymnasien häufiger ein mathematisch-naturwissenschaftliches Studium aufnahmen als Mädchen aus koedukativen Gymnasien zu der Frage, ob diese Wahrnehmung stimmt und worauf sie gegebenenfalls zurückgeführt werden kann. Welche Methoden die quantitativ-empirische Forschung wählt und welche Überlegungen diesen Vorgehensweisen zu Grunde liegen, wird in den folgenden Abschnitten dieses Buches erläutert. Hier soll aber schon das Ergebnis der Überprüfung der oben genannten Vermutung mitgeteilt werden: Es zeigte sich, dass die soziale Zusammensetzung der Schülerinnen an Mädchengymnasien erheblich von denen auf koedukativen Schulen abwich. Wenn dieser Einfluss „kontrolliert“ wurde, also nur Schülerinnen aus gleichen sozialen Verhältnissen miteinander verglichen wurden, verschwand der Unterschied zwischen Mädchengymnasien und koedukativen Gymnasien.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass empirische Studien sehr häufig Alltagsvermutungen nicht bestätigen. Es gibt aber auch Alltagserfahrungen, die durch die Forschung bestätigt werden: etwa die Annahme, dass Kinder aus Elternhäusern mit niedrigem Bildungsniveau oder niedrigem Einkommen schlechtere Bildungschancen haben als Kinder aus Akademikerfamilien.

Alltagserfahrung – Forschung

Wege, um im Alltag Erfahrungen zu sammeln, sind die Beobachtung von Mitmenschen und der Gedankenaustausch. Im Gespräch beispielsweise werden Gedanken direkt ausgetauscht; über das Lesen von Zeitungen, Büchern, Akten usw. werden Gedanken und Einschätzungen indirekt übermittelt. Auch Filme und selbst Gebäude – nicht umsonst wurde der Schulbau schon als „Pädagogik in Beton“ bezeichnet – sind Ausdruck von Ideen und Konzepten, mit deren Aussagen wir uns im Alltag auseinandersetzen. Die Wirklichkeitserschließung durch die empirische Forschung setzt an diesen alltäglichen Erfahrungen an und systematisiert sie. Peter Atteslander (1991, S. 81) unterscheidet (s. Abbildung 2.1) zwischen Produkten menschlicher Tätigkeit und dem aktuellen menschlichen Verhalten als den beiden zentralen Zugangswegen zur sozialen Wirklichkeit.


Abb. 2.1: Gegenstandsbereiche und Methoden empirischer Sozialforschung

Quelle: ATTESLANDER 1991, S. 81

Reaktive – nichtreaktive Forschungsverfahren

Bezieht sich eine Untersuchungsabsicht auf vorliegende Produkte menschlicher Tätigkeit, also auf einen indirekten Zugang zur gesellschaftlichen Wirklichkeit, dann ist die Inhaltsanalyse die zu wählende Methode. Die Inhaltsanalyse hat den Vorteil, dass das Untersuchungsmaterial bereits vorliegt und nicht durch die Absicht der Untersuchung verfälscht werden kann. Daher nennt man diese Methode auch nichtreaktiv, denn sie schließt die Möglichkeit der Beeinflussung des Untersuchungsergebnisses durch die Untersuchungssituation aus. Anders ist dies, wenn aktuelles Verhalten von Personen untersucht wird. Da den zu Untersuchenden die Absicht des Kontakts bewusst ist, können die Untersuchungsergebnisse aufgrund dieses Wissens „verzerrt“ werden (man nennt diese Methoden deshalb auch reaktive Verfahren). Der Einfluss der Untersuchungssituation auf das Forschungsergebnis ist ein vieldiskutiertes Problem gerade jener Untersuchungsmethoden, die sich auf das unmittelbare soziale Verhalten beziehen. In künstlichen Situationen – also in einer vom Forscher arrangierten Laborsituation – ist diese Möglichkeit eher gegenwärtig als in Untersuchungssituationen in „natürlichen“ Umgebungen. Künstliche Situationen werden häufig dann geschaffen, wenn Experimente kontrolliert durchgeführt werden sollen.

Vielfalt der Forschungsmethoden

In „natürlichen“ Situationen kann das Verhalten beobachtet werden. Doch bezieht sich die Wirklichkeitserfassung bei der Beobachtungsmethode allein auf die aktuelle Situation. Die Alternative dazu – und hier kommen wir zu der in der empirischen erziehungswissenschaftlichen Forschung am häufigsten eingesetzten Methode – ist eine künstliche Gesprächssituation sowie der damit verbundene Austausch von Meinungen und Einstellungen. Eine solche Befragung gestattet auch, nach der Vergangenheit und Zukunft zu fragen und sich von der aktuellen Situation zu lösen. Die relativ breite Verwendungsfähigkeit dieser Methode hat aber auch Kritik herausgefordert, weil die Gefahr besteht, dass durch eine methodische Einseitigkeit der Forschung die Realität innerhalb des Gespräches verzerrt erfasst wird: eben nur durch die Brille der Befragungsmethode. Eine Vielfalt der Methoden ist folglich nicht nur wünschenswert im Hinblick auf ein Nebeneinander verschiedener Forschungsansätze, sondern auch innerhalb der einzelnen Forschungsparadigmen notwendig, um Ergebnisse der Forschung zu erhalten, die von der eingesetzten Methode unabhängig sind.

Sekundäranalyse

In weiteren Kapiteln dieses Buches sollen diese grundlegenden Methoden der quantitativ-empirischen Forschung in der Erziehungswissenschaft noch ausführlicher vorgestellt werden. Allerdings haben sie sich inzwischen so weit entwickelt und ausdifferenziert, dass auch diese Kapitel nur einführende Informationen über sie geben können. Neben den quantitativen Methoden gibt es einige weitere nichtreaktive Forschungsansätze. Zu nennen sei hier insbesondere die Sekundäranalyse von statistischen Daten der amtlichen Statistik oder von Unternehmen und Organisationen. Ein weiteres Anwendungsfeld der Sekundäranalyse besteht in der Auswertung bereits vorliegender Datensätze der empirischen Forschung. Dabei werden häufig mehrere Untersuchungen miteinander kombiniert. Auch auf die spezifischen Probleme dieser Methode – deren Bedeutung für die Forschung zunimmt – wird später noch näher eingegangen.

An dieser Stelle soll zunächst noch der Frage nachgegangen werden, wie es zu der Entscheidung für ein Forschungsvorhaben kommt und was die Unterscheidung zwischen Entdeckungs-, Begründungs- und Verwendungszusammenhang der Forschung meint. Anschließend wird dargelegt, wie eine Fragestellung in einem quantitativ-empirischen Forschungsvorhaben entwickelt und für eine Untersuchung aufbereitet wird.

Quantitative Methoden in der Erziehungswissenschaft

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