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2.3 Begriffsdefinition und Operationalisierung

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Das Verhältnis von Entdeckungs- und Begründungszusammenhang beschreibt Atteslander (1991, S. 15) über drei Grundfragen der empirischen Sozialforschung. Die erste Frage nach dem „Warum“ erschließt den Entdeckungszusammenhang. Mit „Warum-Fragen“ sind Fragen gemeint, die sich auf das wissenschaftliche Interesse, den Auftrag oder das verfolgte soziale Anliegen beziehen, über die der gerade näher behandelte Problembezug der Forschung erfahrbar wird.

„Wie?“ und „Was?“ der Forschung

Den Begründungszusammenhang der Forschung teilen Atteslander u.a. (1991, S. 15) sodann in zwei unterschiedliche Fragen auf. Die Frage nach dem „Wie?“ bezieht sich auf die Methodik der Forschung, auf die einzelnen konkreten Entscheidungen im Forschungsprozess bezogen auf den Untersuchungsgegenstand, auf die Auswahl der Untersuchungseinheiten, die Untersuchungsmethode und die Auswertungsstrategie der erhobenen Daten. Dabei ist ein systematisches und methodisch kontrolliertes Vorgehen anzustreben, das zu intersubjektiv überprüfbaren Ergebnissen führt. In den folgenden Kapiteln liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf den forschungsmethodischen Problemen quantitativer empirischer Forschung.

Hier soll noch etwas näher auf die Frage nach dem „Was?“ eingegangen werden. Die entsprechende Antwort übersetzt ein Alltagsproblem in eine wissenschaftliche Sprache mit definierten Begriffen, Hypothesen und Theorien. Die „Was-Frage“ bezieht sich somit auf die Logik der Forschung. Sie ist als methodologische Frage den methodischen Fragen der eigentlichen Untersuchungsdurchführung vorgeschaltet. Zentral ist hier die Auseinandersetzung mit dem Problem, auf welche Art Erkenntnisse gewonnen werden können.

Wirkung vorausgegangener Erfahrungen

Zunächst einmal sollte festgehalten werden, dass es keine voraussetzungslosen Erfahrungen gibt. Jede Beobachtung, jedes Gespräch, alle Leseeindrücke sind von vorausgegangenen Erfahrungen beeinflusst. Teilweise sind Erfahrungen Ursache der Beschäftigung mit Neuem oder sie strukturieren unsere Wahrnehmung von Situationen. Erkennbar wird die Abhängigkeit unserer Situationswahrnehmungen und -bewertungen vor allem bei Kontakten mit Angehörigen anderer Kulturen. Oft entstehen Missverständnisse, weil die Deutung von Situationen aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen und Wertvorstellungen voneinander abweicht. Kaum erkennbar werden solche Unterschiede, wenn scheinbar die gleiche Sprache gesprochen wird, aber dennoch ein Begriff in unterschiedlichen sozialen Milieus oder zwischen Ost- und Westdeutschland eine andere Bedeutung hat. Dies bedeutet aber auch, dass es keine „uninterpretierte“ Wirklichkeit gibt. Es gibt keine soziale Realität und keine Erziehungs- und Bildungsprozesse, die unabhängig von der Wahrnehmung und Interpretation des Menschen existieren. Für die Wissenschaft ist dies von besonderer Bedeutung, weil sie zu intersubjektiv teilbarem Wissen gelangen will. Dazu ist es erforderlich, jene Annahmen und Perspektiven zu formulieren, unter denen eine soziale Wirklichkeit analysiert werden soll. Deshalb lassen sich Hypothesen und Theorien als Versuch der Forscher auffassen, ihren selektiven Wirklichkeitszugriff zu erläutern und verständlich zu machen. Die oft kritisierte „theorielose“ Forschung wäre nach diesem Verständnis eine Forschung, die weder ihre Annahmen noch ihre Forschungsvoraussetzungen reflektiert und offenlegt.

Bedeutung der Sprache

Eine weitere Voraussetzung für menschliche Erkenntnisse ist unsere Abhängigkeit von der Sprache. Nicht nur der alltägliche Umgang, auch wissenschaftliche Erkenntnisse sind an sprachliche Darstellungsformen gebunden, wobei Aussagen der Wissenschaft entscheidend von einer bestimmten Begriffsbildung geprägt sind. Begriffsbildungen erlauben Ordnung durch Sprache, indem jeder Begriff definiert wird und eine offengelegte Zuordnung bestimmter Merkmale zu Objekten ermöglicht (vgl. ATTESLANDER u.a. 1991, S. 64). Eine eindeutige Begriffsdefinition ist in der erziehungswissenschaftlichen Forschung allerdings nicht möglich. So gibt es beispielsweise zu dem zentralen Begriff der Bildung eine lange Auseinandersetzung und eine umfangreiche wissenschaftliche Literatur (DÖRPINGHAUS/POENITSCH/ WIGGER 2006). Die zurzeit in der erziehungswissenschaftlichen Forschung verwendeten Begriffe „gründen auf einer Übereinkunft der Forscher, die in jedem einzelnen Fall darüber befinden müssen, ob diese Begriffe theoretisch sinnvoll und empirisch praktikabel sind“ (ATTESLANDER u.a. 1991, S. 65). Oft führen veränderte Forschungsperspektiven zur neuen begrifflichen Fassung eines Untersuchungsgebiets. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Begriff der, Governance‘, mit dem versucht wird, den Begriff der Steuerung in der Schulverwaltungsforschung zu ersetzen. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass für das Verständnis von Prozessen der Schulentwicklung weniger von einem hierarchischen Verwaltungsaufbau auszugehen ist als von „Regelungsstrukturen“, die sich durch das Zusammenspiel mehrerer Akteure auf unterschiedlichen Handlungsebenen (zentral, regional, einzelschulisch) ergeben. Insofern ist die Entwicklung der Forschung auch eng mit der Entwicklung neuer Formulierungen einer Fragestellung verbunden.

Widerlegungsversuche als Forschungsstrategie

Eine dritte methodologische Voraussetzung der Forschung ist das Wissen um die Unmöglichkeit, eine Erkenntnis als unabänderlich und immerwährend annehmen zu können. Es ist nicht auszuschließen, dass ein den Annahmen widersprechendes Ereignis entweder in der Vergangenheit übersehen wurde oder in Zukunft auftreten könnte. Deshalb orientiert sich der Erkenntnisfortschritt an der Reduzierung falscher, nicht belegbarer Vorstellungen. Werden Annahmen bestätigt, so gelten sie als vorläufig weiter gültig. Dementsprechend verfolgt die Forschung eine Strategie, vorläufige Annahmen immer wieder neuen Widerlegungsversuchen auszusetzen. Auch wenn diese Strategie in den Forschungsberichten nicht immer deutlich wird und eher von einer Bestätigung bestimmter Annahmen gesprochen wird, ist der forschungslogische Hintergrund der Widerlegungsversuche zur Bestätigung von Ergebnissen in der Sozialforschung weitgehend unumstritten.

Wissenschaftliche Erkenntnisse entstehen – wie kurz erläutert – immer unter der Bedingung der Selektivität der Erfahrungen der jeweils Forschenden, aus der heraus sich Forschungsinteressen und Fragestellungen entwickeln und sie beziehen sich immer auf bestimmte Annahmen über Zusammenhänge in der Wirklichkeit. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind abhängig von der Sprache und den Begriffen zur Darstellung eines Forschungsproblems. Die Verknüpfung von mehreren Annahmen über Zusammenhänge in der Wirklichkeit (Hypothesen) wird Theorie genannt und ist ein System logisch widerspruchsfreier Aussagen (Sätze, Hypothesen) mit den entsprechenden Definitionen der verwendeten Begriffe. In der erziehungswissenschaftlichen Forschung gibt es nur wenige Bereiche (z.B. die Ungleichheits- bzw. die Schulleistungsforschung) mit relativ komplexen Theorien. Oftmals beschränken sich Untersuchungen darauf, einzelne Hypothesen zu überprüfen. Dies ist zum Teil auf die noch relativ junge Praxis der Erforschung erziehungswissenschaftlicher Fragestellungen zurückzuführen.

Überprüfbarkeit der Theorien

In der quantitativ-empirischen Forschung ist aber auch zu berücksichtigen, dass die entwickelten Theorien einer Überprüfung zugänglich sein müssen. Und das setzt empirisch erfassbare Begriffe voraus. Einfach ist dies, wenn sich die Begriffe auf klare Benennungen (z.B. Student, Lehrer, Grundschule) beziehen. Häufig aber werden Einstellungen (z.B. Schulzufriedenheit) und Motive (z.B. Leistungsbereitschaft) in eine Theorie eingebunden, Begriffe also, die eher abstrakt und nicht unmittelbar beobachtbar sind. Um auch diese Begriffe einer quantitativ-empirischen Überprüfung zugänglich zu machen, müssen sie operationalisiert werden. Mit Operationalisierung ist der Schritt von einem theoretischen Begriff zu einem eigens dafür entwickelten Erhebungs- oder Beobachtungsinstrument gemeint. Dabei ist darauf zu achten, den Bedeutungskern des Begriffs für die Forschung zugänglich zu machen ohne den gesamten Bedeutungsgehalt abbilden zu können. Ein Beispiel dafür ist die Erhebung des beruflichen Status in soziologischen Untersuchungen. Unterschieden wird dabei häufig nach den Kategorien: Beamter, Angestellter, Arbeiter, Selbständiger. Obwohl mit diesen Begriffen, die nur einen unterschiedlichen sozialversicherungsrechtlichen Status erfassen, nur sehr bedingt soziale Lebenslagen erfasst werden können, erweist sich dieses Merkmal als sehr aussagekräftig bei der Erfassung sozialer Unterschiede. Das Merkmal „Arbeiter“ kennzeichnet auch heute noch eine bildungsferne Mentalität.

Operationalisierung von Begriffen

Die Operationalisierung von Begriffen ist ein zentraler Vermittlungsschritt zwischen dem Untersuchungsinteresse eines Forschers und der konkreten Umsetzung seines Vorhabens. Nur wenn es möglich ist, die Forschungsidee in ein Erhebungsinstrument umzusetzen, das quantifizierbare Daten erfasst, ist sie forschungspraktisch realisierbar. Dabei ist es wichtig, dass die Substanz des Bedeutungsinhalts der Begriffe im Prozess vom theoretischen Begriff zum Erhebungsinstrument nicht verloren geht. Für die Interpretation der Ergebnisse ist es wichtig, sich darüber bewusst zu sein, dass nur die Operationalisierung eines Begriffs und nicht der Begriff selbst in das Erhebungsinstrument Eingang gefunden hat. Ermittelte Befunde können folglich durch die unzureichende Operationalisierung eines Begriffs nur bedingt aussagekräftig sein. Auch kann es geschehen, dass ein Erhebungsinstrument nicht das erfasst, was es erfassen soll, indem es nicht nur den Begriff schlecht, sondern möglicherweise sogar eine andere Aussage misst.

Unter Berücksichtigung dieser Schwierigkeiten ist die Operationalisierung der Begriffe die Voraussetzung für quantitativ-empirische Forschung, denn erst sie gestattet eine numerische Darstellung von Erhebungsbefunden und damit eine „Messung“ der Ausprägungen des Begriffsinhalts. Die Schwierigkeiten, die mit Messungen verbunden sind, sind Thema des folgenden Kapitels.

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