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Fahrräder

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Früher in den 1950er Jahren bin ich mit dem Fahrrad an die Ostsee gefahren, aber dann ging der Ausstieg stufenweise vor sich. Fast zwei Jahre bin ich noch mit dem Fahrrad von Dresden nach Pirna zur Arbeit gefahren, weitere Jahre innerhalb des Stadtgebietes von Dresden, von Laubegast im Südosten zu meiner Arbeitsstelle am Alaunplatz im Dresdener Norden. Das war so lange möglich, bis auch hierzulande und bereits zu DDR-Zeiten, die Verkehrsdichte einen Grad erreicht hatte, der das Radfahren zumindest in den Hauptverkehrszeiten zu einem fragwürdigen, weil riskanten Unternehmen werden ließ. In meinem Falle betraf das besonders die Passage der „Brücke der Einheit“, welche nun wieder „Albertbrücke“ heißt, während der Wintermonate. Glitschiges Kopfsteinpflaster, zeitweilige Straßenglätte, die Dunkelheit und mit knappstem Seitenabstand überholende Automobile, veranlassten mich schließlich zu kapitulieren.

Jetzt beschränke ich mich darauf, meine lebensnotwendigen Einkäufe mit dem Fahrrad zu erledigen. Manchmal fahre ich an der Elbe entlang auf dem Elbe-Radfahrweg in Richtung Pirna, um mich über den Baufortschritt an der neuen Pirnaer Elbbrücke zu informieren.

Im Herbst des Jahres 1989 gab es die „friedliche Revolution“, was ich erwähne, weil auch auf allen anderen Gebieten revolutionäre Umwälzungen folgten, und selbst das Fahrrad und alles, was in irgendeiner Weise damit zu tun hat, in den Sog dieser Entwicklung geriet. Unsere biedere deutsche Sprache war zunächst nicht mehr in der Lage, die mannigfaltigen Produkte und Erscheinungen, die uns im Ergebnis dieser rasanten Entwicklung überfluteten, prägnant und allgemeinverständlich zu bezeichnen. Das Fahrrad betreffend, hat man deshalb entschlossen die nationalsprachlichen Hürden übersprungen und erfolgreich die zukunftsorientierte sprachliche Globalisierung ins Auge gefasst.

Ein Beispiel soll das, wenn auch ziemlich umständlich, veranschaulichen:

Im Jahre 1937 wollte und sollte ich aus zwingenden Gründen mein erstes Fahrrad kaufen. Zu diesem Zwecke betrat ich in Groitzsch, dem Ort meiner Geburt, die Fahrradhandlung eines gewissen Horst von Einsiedel, uralter sächsischer Adel (aber nicht deswegen) und sagte, was ich haben wollte, nämlich ein Fahrrad. Und weil vor über sechzig Jahren ein Fahrrad eben ein Fahrrad war, erübrigten sich weitere Fragen. Ohne besonderen Nachweis war auch zu erkennen, dass ich ein Knabe war und demzufolge ein Knaben-, ein Herren- und kein Damenfahrrad benötigte.

Mit einem derartigen Fahrrad und seinen Nachfolgern bin ich bis auf den heutigen Tag ganz gut zurecht gekommen. Bei dem letzten seiner Art machten sich aber zuletzt deutliche Verschleißerscheinungen bemerkbar, weshalb ich mich zum Kauf eines neuen, eines besseren Fahrrades genötigt sah. Zunächst nur um eine Beratung nachsuchend, betrat ich also wiederum eine Fahrradhandlung. In der Fahrradhandlung gab es aber weniger Fahrräder, sondern in erster Linie „Bikes“, und die Fahrradhandlung war demzufolge keine solche, sondern ein „Bikestore“.

Verwirrend war das vielfältige Angebot, so dass ich nicht mehr in der Lage war, mich sofort für ein bestimmtes Modell zu entscheiden. Da gab es „Citybikes“ und „Trekkingbikes“, „Mountainbikes“ und „All-Terrain-Bikes“ und jede Kategorie wiederum mit zahlreichen Unterkategorien. Immerhin waren die Bezeichnungen so gewählt, dass sich für den Kundigen weitere Erklärungen, die ganz speziellen Einsatzmöglichkeiten dieser Bikes betreffend, erübrigten. Einerseits ist das, wie schon erwähnt, ein vorzügliches Beispiel für die sprachliche Globalisierung und deshalb durchaus positiv zu bewerten, was aber andererseits, man sollte es nicht verschweigen, infolge meines fortgeschrittenen Lebensalters, und somit auch verständlicherweise, mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung der Eingliederung neuer Begriffe in meinen Wortschatz und damit auch in mein Bewusstsein, verbunden war. Aber nun habe ich auch das geschafft.

Eine weitere Kategorie von Fahrrädern oder Bikes möchte ich unbedingt noch erwähnen, die so genannten „Cruisers“. Diese Bezeichnung versetzt mich allerdings in einen gewissen Erklärungsnotstand. Diesbezüglich kann ich mich nur auf einen Zeitungsartikel berufen. Darin hatte ich gelesen: Cruisers, das sind „Spaß- und Freizeitmodelle, im Design den 40er und 50er Jahren nachempfunden“.

Für eine Neuanschaffung käme Derartiges natürlich nicht infrage. Wir leben schließlich an einer Jahrtausendwende. Andererseits treibt es mir fast die Tränen in die Augen, weil damit, indirekt zwar, aber immerhin, meine Fahrräder, auf denen ich mich im Laufe der letzten sechzig Jahre mit eigener Kraft durch das Land bewegt habe, als „Spaßmodelle“ abqualifiziert werden. Das haben sie nun wirklich nicht verdient. Schließlich habe ich auf diesen „Spaßmodellen“ einige tausend Kilometer zurückgelegt, vom Bodensee bis an die Ostsee, über Berg und Tal, im Krieg und im Frieden, luftbereift und auf Vollgummi, auf Autobahnen, Landstraßen, Waldwegen und anderswo.

Trotz der vergleichsweise primitiven technischen Ausstattung unserer „Spaßmodelle“, haben wir unsere Ziele eigentlich immer ohne schwerwiegende Pannen und Defekte erreicht oder vielleicht gerade deswegen, weil die unkomplizierte Technik auch weniger störanfällig ist. Gangschaltungen gab es ohnehin nicht. Wenn es bergan ging, mussten wir schieben. Da tropfte der Schweiß, und das kostete Kräfte, aber wir wussten ja, dass das so ist. Oft wussten wir allerdings nicht, wo wir am Abend unsere müden Körper zur Ruhe betten würden. Das Nachtquartier sollte billig, möglichst kostenlos sein. Meist haben wir deshalb in Scheunen genächtigt. Nur ein einziges Mal hat uns ein ganz offensichtlich ziemlich wohlhabender Bauer für die Übernachtung in seiner Scheune 10 Pfennige pro Person abgefordert. Wenn unsere Nachfrage bei den Bauern erfolglos blieb, begnügten wir uns mit einem Nachtlager unter freiem Himmel am Straßenrand. Damit mussten wir zuweilen rechnen, aber wir haben es hingenommen, auch wenn das nicht gerade bequem war.

Jetzt bieten manche Bauern Übernachtungen im Heu für 25 Euro pro Nacht an. Da ist natürlich das Frühstück dabei, und vermutlich wird für diesen Preis auch eine exklusive Heuqualität aus garantiert ökologischem Heuanbau zugesichert. Das ist keine eigene Erfahrung, sondern wurde gleichfalls einer Zeitungsnotiz entnommen. Und wir fanden es schon unerhört, als wir ein einziges Mal 10 Pfennige zahlen sollten! Aber das war vor über sechzig Jahren, woraus man entnehmen kann, wie sich doch unsere Lebensqualität im positiven Sinne verändert hat.

Abschließend, ebenfalls in verschiedenen Zeitschriften thematisiert, heißt es sinngemäß zum Punkt fahrradfreundliche Kriterien: Wer sich tagsüber redlich im Sattel gehalten habe, gönne sich am Abend meist auch ein gutes Essen und ein bequemes Bett für die Nacht. Der Fernseher auf dem Zimmer dürfe ruhig fehlen, ein komfortables Bad oder eine Dusche dagegen nicht. Weiterhin werden u.a. noch folgende Kriterien angeführt: Die Möglichkeit zur Trocknung nasser Kleidung über Nacht, Gepäcktransport und ein Lunchpaket-Service. Man kann daraus entnehmen, dass für den touristischen Radfahrer das Beste gerade gut genug ist, weil er doch in zunehmendem Maße zum ökonomischen Faktor wird, was bei einer Übernachtung im Straßengraben nicht der Fall ist.

Im Jahr 2004

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Vom MILLENNIUM bis zum JAHR 2021

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