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Ein Tag wie jeder andere

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10 Uhr habe ich einen Termin bei meiner Hausärztin in ihrer Praxis in Laubegast. Gestern hat es geschneit, heute taut es. Straßen und Fußwege sind mit Schneematsch bedeckt. Sonst fahre ich mit dem Fahrrad dorthin, aber das ist bei diesen Straßenverhältnissen nicht möglich. Weil der Bus nur alle 20 Minuten verkehrt, ist mir das zu umständlich und zeitaufwändig. Also lauf ich.

Auf der Laibacher Straße kommt mir eine Frau entgegen, ein paar Jahre jünger als ich könnte sie sein. Der Fußweg ist durch den Schnee nur noch einspurig passierbar. Die Frau tritt zur Seite, um mir als Stockträger die Vorfahrt einzuräumen. Ich bedanke mich mit freundlichen Worten. So kommen wir ins Gespräch, über die Erschwernisse für die Alten im Winter, besonders beim Einkaufen, weil es hier seit der Wende keine Läden mehr gibt. Ich kann sie noch aufzählen, die Läden, die einst die Versorgung mit den nötigsten Lebensmitteln sicherten (oder auch nicht), wie das eben so war in der DDR. Aber dann kam Lidl, da konnten sie nicht konkurrieren und mussten zumachen. Das war nicht so schlimm, denn bei Lidl gab es fast alles. Dann hat auch Lidl wieder zugemacht, vielleicht wegen der Gewinnoptimierung, wie das jetzt so ist, und es gibt hier gar nichts mehr. Die Alten müssen nun schleppen, was sie eingekauft haben, weil sie doch kein Auto haben. Und besonders beschwerlich ist das im Winter, wie zum Beispiel heute, weil man da nicht einmal mit dem Fahrrad fahren kann. Das ist auch der Grund, dass wir bei diesem Thema landen, wieder einmal. Während dieses Geschwätzes kommt Frau P. aus dem Nachbarhaus vorüber. Wir grüßen uns. Ich gehe weiter, erreiche mein Ziel nach ca. 40 Minuten. Trotz Gehhilfe geht es nicht schneller. Zunächst muss ich im Wartezimmer warten, sitze dabei neben Frau P., ohne sie wahrzunehmen, obwohl sie vor einer halben Stunde an mir vorüberging. Sie wird aufgerufen, nimmt aber dann noch einmal im Wartezimmer neben mir Platz. Erst jetzt erkenne ich sie. Ich entschuldige mich dafür, dass ich sie übersehen hatte. Nun muss ich mich, um mein Versehen wieder gut zu machen, mit Frau P. unterhalten, über die Nachbarn, deren Krankheiten, weil sie doch Frau F. seit längerer Zeit nicht mehr gesehen hätte, über die Kinder, welche heutzutage keine Zeit mehr haben und, das gehört auch hier dazu, über die miserablen Einkaufsmöglichkeiten.

Als ich dann aufgerufen werde und aus dem Wartezimmer in den Behandlungsraum gehe, bringt gerade ein Transportarbeiter auf einer Sackkarre einen ganzen Stapel Kartons, die für die Praxis bestimmt sind. Der Mann kommt mir bekannt vor. Dann fällt mir ein, dass wir uns schon einmal hier im Haus begegnet sind. Das war am 19. September dieses Jahres. In meinem Kalender hatte ich das notiert, weil wir ein merkwürdiges Gespräch hatten. Heute spreche ich ihn nicht an, weil ich doch ins Behandlungszimmer eilen muss. Aber die Kalendernotiz vom 19. September kann ich trotzdem wiedergeben:

Beim Betreten des Hauses ein Mann mit bepackter Sackkarre. Ich frage, wo er hin will, ob ich helfen kann. „Danke, ich weiß Bescheid“, sagt er, „ich mache das schon zehn Jahre“. Ich wünsche ihm, dass er das auch weiterhin noch zehn Jahre machen kann. Er sagt, dass sie ihn loswerden wollen, er sei nicht mehr der Jüngste. Und dann bricht es aus ihm heraus: „Diese Verbrecher, erschießen müsste man die!“ Ich bin betroffen.

Nachdem mich die Ärztin verarztet hat, stapfe ich weiter durch den Schneematsch dem Konsum auf der Salzburger Straße entgegen. Ich will aber gar nicht in den Konsum, sondern zur Post, welche im Konsum ein neues Domizil gefunden hat, weshalb ich, wenn ich zur Post gehe, mir den besonderen Weg zum Konsum ersparen kann. Und wenn es bei der Post kein Geld gibt, weil der Computer nicht funktioniert, was manchmal vorkommt, dann waren die Mühen meines Weges doch nicht ganz umsonst. Aber heute ist hier was los, das sehe ich schon von draußen durch die verglaste Eingangspartie. Zunächst muss ich mir einen Einkaufswagen besorgen. Zu diesem Zwecke biete ich einem bescheidenen Männlein eine Euromünze im Tausch gegen den Wagen, den er gerade wieder abstellen will. Er klärt mich auf, dass er einen Plastikchip drin hätte, und das wäre doch ein schlechtes Geschäft für mich. Es gibt eben immer noch ehrliche Menschen. Eigentlich ist ja ein Männlein ein Neutrum, und es müsste heißen „es klärt mich auf, dass es ein Plastikchip drin hätte usw.“, aber verzichten wir auf diese grammatischen Spitzfindigkeiten! Aus Dankbarkeit, man könnte auch sagen aus Höflichkeit richte ich ein paar Worte an ihn, frage ihn, wie lange er vor dem Postschalter warten musste, bis er abgefertigt wurde. Hätte ich doch nichts gesagt. Er findet kein Ende, Zustände wären das und ich weiß nun, dass ich mich auf längere Wartezeit einrichten muss. Meinen Wagen schiebe ich hinein in den kombinierten Verkaufs- und Schalterbereich und erkenne sofort, dass ich mich hier nicht anstelle. In der Schlange erspähe ich eine Lücke, durch die ich mich mit meinem Wagen durchzwängen kann. Ich frage eine Frau, „wie lange wollen Sie denn hier stehen“?Bis mir die Beine in den Bauch gewachsen sind“, ist ihre Antwort. Leider habe ich die Häupter der Schlange nicht gezählt. Die armen Postfrauen! Konsumfrauen im Postdienst müsste es besser heißen.

19. Dezember 2005

Vom MILLENNIUM bis zum JAHR 2021

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