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Kapitel 2.4 Beinwell

Volkstümlich: Wallwurz

Botanisch: Symphytum officinalis L.

Gallisch-keltisch: Alus, Alos, Halus Bretonisch: Troazur


Der botanische Name des Beinwells leitet sich vom griechischen »symphein« – zusammenwachsen – ab, da die Pflanze zur Behandlung von Knochenbrüchen eingesetzt wurde. Auch die beiden bekanntesten deutschen Namen »Beinwell« und »Wallwurz« haben diese Bedeutung des Heilens von gebrochenen Knochen in sich: das althochdeutsche »beinwalla«, in dem »wallen« steckt – Zusammenheilen von Knochen.

Beinwell ist eine kräftige, bis zu 1,50m hohe ausdauernde Staude. Die dicke, spindelförmige Wurzel ist mehr oder weniger ästig. Sie ist außen schwarz und innen weiß und enthält viel Schleim. In getrocknetem Zustand ist sie von hornartiger Beschaffenheit. Der von unten an ästige Stängel ist mit großen, lang herablaufenden Blättern besetzt. Die unteren sind eiförmig bis länglich lanzettlich, die oberen lanzettlich und wie alle grünen Teile der Pflanze rauhaarig-borstig. Die trübpurpurnen oder violetten Blüten bilden langgestielte, überhängende Doppelwickel. Der unten verwachsene Kelch ist fünfzipflig, die zylindrisch-glockige Krone mit 5 zurückgekrümmten Zähnen trägt im Innern 5 Schuppen, sie ist 12 bis 16mm lang. Bis zu 4 schwarze Samenfrüchtchen befinden sich in jedem Blütenkelch. Beinwell ist feuchtigkeitsbedürftig und gleichzeitig sonnenliebend und wird durch Düngung begünstigt.


Durch Entwässerung wie auch Beschattung kann die Pflanze nach und nach vertrieben werden. Sie wächst an Bachufern, mit Vorliebe in Streuwiesen.

Ihre Blütezeit ist Mai bis Juni, die Sammelzeit für die Blätter ist fast ganzjährig und Wurzeln nimmt man am besten in der kalten Jahreszeit zwischen Dezember und März. Der Beinwell ist in ganz Europa beheimatet.

Zu den Inhaltsstoffen der Pflanze zählen das Allantoin sowie Schleim- und Gerbstoffe, Asparagin, Alkaloide, ätherisches Öl, Flavonoide, Vitamin B12, Harz und Kieselsäure, Pyrrolizidinalkaloide.

Im Jahre 1910 stolperte der britische Mediziner C.J. Macalister über einen Text aus dem frühen 19. Jahrhundert, in dem ein Kollege beschrieb, wie ein bösartiger Tumor bei einem seiner Patienten dank der Behandlung mit Beinwellsalbe vollständig verschwand. Dieser Bericht regte den Arzt zu eigenen Versuchen an und 1936 legte er eine vollständige Studie über den Beinwell und die Behandlung von schweren Hauterkrankungen vor. Macalister hielt das Allantoin für einen sehr wichtigen Bestandteil von Symphytum. Von allen von ihm untersuchten Pflanzen war Beinwell die allantoinreichste. Insbesondere in der Wurzel, von Januar bis März geerntet, war der Allantoingehalt am höchsten, allerdings um dann im Laufe des Jahres ständig abzunehmen, so dass bei der ausgewachsenen Pflanze in der Wurzel überhaupt kein Allantoin mehr, wohl aber in den endständigen Knospen, Blüten und jungen Schösslingen nachzuweisen war.

Diese Beobachtungen eines Fachmannes mit den technischen Mitteln der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts überschneiden sich exakt mit denen von Medizinern der Antike und den keltischen Druiden-Ärzten, die die Pflanze nicht nur bei Knochenbrüchen, sondern im großen Stil auch bei Tumoren einsetzten. Bei Marcellus Empiricus finden sich sehr viele Rezepturen, die Beinwell enthalten, nicht nur bei der Behandlung von Knochenbrüchen, Verrenkungen, Verstauchungen und Schlagverletzungen, sondern auch gegen die verschiedensten Hautkrankheiten, Ausschläge und Tumoren. Darüber hinaus taucht die Pflanze, selbstverständlich unter ihrem gallisch-keltischen Namen »Alus«, auch in zahlreichen Rezepturen zur Wundheilung auf. Schon allein die Tatsache, dass die Pflanze so oft in diesem Werk auftaucht, deutet darauf hin, in welchem Maß ihr Einsatz in den keltischen Gebieten Galliens Tradition hatte.

Die antiken griechischen und römischen Autoren dagegen beschreiben Symphytum häufiger im Einsatz gegen innere Abszesse, Wunden und Blutspeien und stellen den Anspruch, zur Heilung von Knochenbrüchen beizutragen, eher in den Hintergrund. Dieser Punkt ist vielleicht weniger wichtig als die Tatsache, dass Römer, Griechen und Kelten sich über die Wirksamkeit gegen Tumoren und Hauterkrankungen einig sind. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, wie Hildegard von Bingen in ihrer »Causae et Curae«, die den Beinwell unter der Bezeichnung »consolida« lediglich als Wundmittel aufführt, ist sein Behandlungsspektrum in sämtlichen kräuterkundlichen Werken bis hin zum klinischen Beweis, warum er überhaupt gegen Tumoren wirkt, durch J.C. Macalister im Jahre 1936 durchgängig und sein Ruf geradezu einzigartig.

Außerdem wurde und wird Symphytum z.B. in Großbritannien gerne als blutreinigendes Gemüse wie Spinat gegessen. In manchen Gegenden Österreichs backt man die Blätter in einer Panade im heißen Öl aus. Als Viehfutterergänzung scheint Beinwell den Milchertrag von Kühen zu erhöhen und bei Pferden ein schönes, glattes Fell zu bewirken. Auch war (und ist) er in der Tierheilkunde innerlich und äußerlich angewandt ein geschätztes Mittel bei Wunden und Knochenverletzungen.

Erst in den letzten Jahren hat sich ein Schatten über die bewährte Heilpflanze gelegt: Im Verlauf von chemischen Analysen wurde eine Substanz – Pyrazolidin – als möglicherweise krebserregend entdeckt. Eine spektakuläre Publikmachung dieser Entdeckung und eine erbarmungslose Verurteilung des »so gefährlichen« Beinwells gingen einher mit einem Lobgesang auf die hervorragenden und ungefährlichen Heilmittel aus der Pandorabüchse der Pharmaindustrie. Nach meinem Wissensstand hat man in einem Laborversuch einen isolierten Wirkstoff des Beinwells – eben Pyrazolidin – in übermäßig hoher Dosis an (trächtigen) Ratten und Mäusen getestet, was bei etwa 50 Prozent der Versuchstiere zu Leberschädigungen und Leberkrebs und bei ein paar anderen zu Fehlgeburten führte.

Einen ähnlichen Versuch führten vor zwei, drei Jahren die französischen Gegner der Naturheilkunde (sprich die Pharmaindustrie) mit Kamillenblüten aus. Weil ca. 10 bis 15 Gramm schwere Labormäuse oder Laborratten auf eine brutale Dosis von Kamillenextrakt, die selbst einen Ackergaul in die Knie zwingen würde, nicht sonderlich gut reagierten (allerdings ist keines der armen Viecher gestorben), kamen sie zu dem Schluss, dass Kamillenblüten gefährlich sind und auf die Liste verschreibungspflichtiger Mittel gehörten. Zum ersten Mal zeigte die französische Arzneimittelbehörde, die seit etwa 1941 dank intensiver Lobby der Pharmakonzerne der Kräuterheilkunde im allgemeinen äußerst feindlich gesinnt ist, gesunden Menschenverstand und setzte Kamillentee nicht auf diese berüchtigte Liste.

Die Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamts empfiehlt in ähnlicher Weisheit wie die französischen Kollegen die Verwendung von Beinwell also nicht unbedingt, obwohl seine Wirksamkeit erfahrungsgemäß gut ist, weil er Pyrazolidin enthält, das wohl in größeren Mengen leberkrebserregend sein könnte und vielleicht auch erbgutverändernd wirkt, wie an einer Handvoll armer überdosierter Laborratten bewiesen. Ferner weist sie darauf hin, dass er nicht länger als 4 bis 6 Wochen im Jahr eingesetzt werden sollte.

An Pyrrolizidinalkaloiden hat Beinwell eine Konzentration von 0,02 bis 0,07 %. Das ist nach der volksmedizinischen Verwendungstradition weit unterhalb der Grenze, die für den Menschen gefährlich werden kann. Um uns allerdings mit der Liste E in eine Reihe zu stellen und unseren Hut vor den Hütern der Volksgesundheit zu ziehen, würden wir davon abraten, wie bei jedem anderen Kraut auch, es mit Dosis und Anwendungsdauer zu übertreiben, und bei bestehenden Leberleiden und Magen-Darm-Beschwerden wohl auf Beinwell verzichten.

In der tiermedizinischen Anwendung, insbesondere bei Großtieren wie Pferden und Rindern, bezweifle ich, dass eine vernünftige Verwendung von Beinwell, vor allem bei Knochenverletzungen, im Endeffekt irgendwelche größere Schäden verursachen kann. Zum einen ist die Lebensspanne unserer vierbeinigen Freunde erheblich kürzer als unsere; es ist zu vermuten, dass z.B. mit Beinwell behandelte Pferde eher ihrem Alter als einer Leberkrebserkrankung erliegen. Zum anderen ist Beinwell, wie oben angeführt, eine Futterpflanze, die die Tiere auch freiwillig und mit Gusto zu sich nehmen. Für gewöhnlich fressen sowohl Rinder als auch Pferde nichts, was ihnen nicht gut tut. Man nennt dies »Instinkt«, etwas, was wir Zweibeiner im Laufe unserer Entwicklung fast vollständig verloren haben, so dass wir entgegen aller Vernunft eher Dinge tun, essen oder einnehmen, die uns – wissentlich – schaden! Kein Pferd käme auf die Idee, sich die Leber zu ruinieren, indem es sich mit Alkohol zuschüttet, bis die letzte Gehirnzelle im Nichts aufgelöst ist. Man verwendet also ruhig weiterhin die Blätter zur Wundheilung: als Breiumschläge äußerlich bei Quetschungen, Blutergüssen, Venenleiden, Verstauchungen, Rheuma oder Hautausschlägen und Ekzemen, und gelegentlich als Tee oder als Tinktur innerlich, wenn zum Beispiel die Heilung eines Knochenbruchs beschleunigt werden soll. Beinwell bewirkt außerdem auch, dass die Gelenke wieder »mitmachen«; deshalb sind die Blätter als Badezusatz für die Vitalität sehr zu empfehlen und vollkommen unschädlich.

In der Antike und bei den Druiden-Ärzten der gallischen Kelten wurden vornehmlich die schleimigen Wurzeln abgekocht, um damit Knochenbrüche, Quetschungen, Prellungen, Verrenkungen, aber auch Geschwüre und alte Narben zu behandeln. Dieser schleimige Brei wurde aus klein geschnittenen Wurzeln hergestellt, die man über Nacht in einem Tongefäß im kalten Wasser quellen ließ, bevor man sie – im gleichen Tongefäß – bei kleiner Flamme zu Brei zerkochte. Bei den Kelten wurde in diesen Brei zusätzlich Lehmpulver eingerührt und dann reichlich fingerdick auf die zu behandelnde Stelle aufgetragen. Man ließ den Beinwellbrei-Lehmverband entweder so lange auf der Verletzung, bis er vollständig ausgetrocknet war, oder man erneuerte ihn spätestens nach einer Nacht, also nach etwa 12 Stunden.

Ich habe diese Methode selbst mit großem Erfolg eingesetzt, bin aber zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, den Beinwellbrei-Lehmverband mit Frischhaltefolie zu fixieren und dadurch feucht zu halten und ihn bei Knochen- und Gelenkverletzungen immer lauwarm anzulegen. Statt Beinwellwurzeln, die sehr schwer zu trocknen sind und leicht schimmeln, können auch die Blätter für Umschläge genommen werden.

Am Rande sei hier noch kurz erwähnt, dass Leichtgläubigen im Mittelalter gerne »Beinwellwurz-Männchen« als »Alraunewurz-Männchen« aufgeschwatzt und dass die von ihren kleinen Wurzeln befreiten phallisch anmutenden Hauptwurzeln gelegentlich in Liebeszaubern verwendet wurden. Ansonsten ist in magischer Hinsicht nicht viel über Symphytum officinalis überliefert, vielleicht deswegen, weil man die Heilkraft der Pflanze bei der Behandlung der damals oftmals fatalen Knochenbrüche, auch offenen Brüche, an sich bereits als magisch empfand.

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