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Kapitel 2.11 Frauenmantel

Botanisch: Alchemilla vulgaris

Gallisch-keltisch: möglicherweise Adarca oder Adarces


Der Frauenmantel gehört zur Familie der Rosacea (Rosengewächs) mit ca. 300 schwierig zu unterscheidenden Unterarten, die als Alchemilla bezeichnet werden und in Europa, Amerika und Asien verbreitet sind. Die Bezeichnung Alchemilla vulgaris wird für die 21 Unterarten verwendet, denen Heilkräfte zugesprochen werden. Dieser mehrjährige Bedecktsamer hat krautige dunkelgrüne Blätter mit wasserabstoßender Wachsschicht. Er scheidet in den Blattzahnwinkeln aktiv Wassertropfen aus (Guttation), besonders in schwülen Nächten, um den Saftstrom in Gang zu halten. Daher auch der Volksname »Taumantel«. Er hat kleine schmutziggelbe Blüten und erreicht eine Höhe zwischen 10 und 40cm.

Alchemilla vulgaris L. enthält Gerbstoffe, Bitterstoffe, Phytosterin und Glykoside. Wissenschaftlich nachgewiesen ist die Wirksamkeit der Pflanze bei leichten unspezifischen Durchfallerkrankungen.


Zum aktuellen Einsatzspektrum des Frauenmantels zählen Akne, Darmstörungen, Durchfall, Eiterungen, Hautprobleme, klimakterische und Menstruationsbeschwerden, Mund- und Rachenraumentzündungen, Weißfluss, Wunden.

Die im Frauenmantel enthaltenen Tannine können bei hohen Dosen und Langzeitanwendung in Einzelfällen zu Leberschäden führen. Alchemilla vulgaris L. sollte nicht während der Schwangerschaft angewendet werden.

Mittsommer ist die beste Sammelzeit für die Pflanze.

Alchemilla vulgaris ist eine Pflanze, die Botaniker zum Schwitzen bringt, existieren von ihr doch gut und gerne rund 1000 Unterarten, die sich kaum voneinander unterscheiden lassen. Daneben ist der Frauenmantel noch ein wahrer Dinosaurier der Botanik, denn bereits vor etwas mehr als 60 Millionen Jahren machten sich die ersten Sippen in der gesamten nördlichen Hemisphäre heimisch, von wo aus sie sich dann im Laufe der grauen Vorzeit ausgesprochen rasch ausbreiteten. Sogar auf Grönland und im nördlichsten Sibirien lassen sich Alchemilla-Unterarten nachweisen und auch in Asien und in Nordamerika kommt das Kraut vor. Und so unscheinbar die Pflanze auf den ersten Blick wirkt: Sie ist die älteste Schwester der Rose!

Mittelalterliche Alchimisten schrieben insbesondere den Wassertropfen auf ihren Blättern die wundersamsten Kräfte zu. Von dieser legendären Vorliebe für den Frauenmantel rührt natürlich auch der botanische Name Alchemilla – Alchimistenpflanze – her, den Linné als verbindlich festlegte. Die in den frühesten Morgenstunden eingesammelte Feuchtigkeit, auch als das »himmlische« Wasser oder Lebenswasser bezeichnet, wurde in den unterschiedlichsten Versuchen verwendet, insbesondere aber in solchen, die auf die Herstellung von Gold ausgerichtet waren. Auch auf der Suche nach dem »Stein der Weisen« – »Lapis Philosophorum« – oder dem Elixier des ewigen Lebens waren die Guttationstropfen von Alchemilla vulgaris der Alchimisten Begleiter! Am Frauenmantel lässt sich sehr einfach und schnell darstellen, wie vormals nicht erklärbare naturwissenschaftliche Phänomene zur mystischen Verklärung einer Pflanze führten. Selbst in der Übersetzung des alten gallisch-keltischen Namens ist es dieses Guttationsphänomen, das der Pflanze ihren Namen gab. Dies darf wohl so gedeutet werden, dass diese Tautropfen schon für die heilkundigen Druiden von größter Bedeutung waren und möglicherweise als ein entscheidender Faktor für die ausgezeichnete Wirksamkeit – die Zauberkraft – der Pflanze aufgefasst wurden.

Dagegen spielt die Alchemilla vulgaris in der modernen Pflanzenheilkunde keine Rolle mehr und wird von der Schulmedizin gar als unwirksam verachtet. Und trotzdem ist der Frauenmantel aus der Volksmedizin einfach nicht wegzudenken!

Ein auf den ersten Blick bemerkenswerter Umstand – dieser offensichtlich so tiefe Fall, vor allem in Anbetracht der so unendlich langen Geschichte des scheinbar erfolgreichen Einsatzes dieser Pflanze?

Steht sie nicht bei Hildegard von Bingen auf der Bestsellerliste? Oder waren sich in diesem besonderen Fall die keltischen Druiden-Ärzte und die Biochemiker der heutigen pharmazeutischen Industrie aus Versehen einmal einig, die die der Pflanze zugesprochenen Wirkungen gegen Frauenleiden wissenschaftlich einfach nicht nachweisen können und lediglich darauf hinzuweisen vermögen, dass das Kraut bei leichten Durchfallerkrankungen eine positive Wirkung zu zeigen vermag? Diese Frage lässt sich kurzerhand nur mit einem klaren »Jain! « beantworten.

Ebenso wie das Johanniskraut gehörte der Frauenmantel im gallisch-keltischen Raum zu den dem Sonnengott Belenos geweihten Kräutern und erfreute sich großer Beliebtheit. Allerdings nicht in dem seit dem Mittelalter so berühmt gewordenen Bereich der Frauenheilkunde, von den ersten Menstruationsbeschwerden junger Mädchen bis zu den Problemen der Wechseljahre und vor allem bei der Geburtsvorbereitung und der anschließenden Nachsorge, sondern lediglich als Zauberkraut. Abgesehen von der Verwendung als Wundverband scheint die Pflanze selbst auf medizinischer Ebene kaum Bedeutung gehabt zu haben! Diese Bedeutungslosigkeit von Alchemilla lässt sich zusätzlich noch dadurch unterstreichen, dass sie auch bei den griechischen und römischen Kollegen der gallisch-keltischen Druiden-Ärzte eher mit gerümpfter Nase abgehandelt wurde. Dioscurides widmet ihr in seiner »Materia Medica« gerade einmal eine Anmerkung als Mittel gegen Durchfall. Auch Hippokrates hält sich nicht lange mit ihr auf. Galenus empfiehlt sie höchstens als Umschlag bei Schwellungen und Quetschungen!

In der Übersetzung des alten gallisch-keltischen Namens ist es das zuvor erwähnte Guttationsphänomen des Frauenmantels, das der Pflanze ihren Namen gab: Adarca – Rosentau! Die Druiden begehrten dieses Wasser, denn sie vollzogen damit rituelle Reinigungen vor kultischen Handlungen. Ansonsten verwendeten sie die Alchemilla lediglich als Zauberpflanze, insbesondere zur Wettervorhersage (sich ankündigender Regen lässt sich gut am verstärkten »Schwitzen« der wachsbeschichteten Blätter erkennen) und zusammen mit der Goldrute – Solidago virgaurea – zum Verräuchern als Gegenzauber bei Verwünschungen.

Diese Tradition, Alchemilla gegen Verwünschungen und Verfluchungen zum Einsatz zu bringen, setzt sich bis zum heutigen Tag fort, ganz besonders dann, wenn Vieh davon betroffen zu sein scheint. In der Bretagne und in der Normandie lässt man vor allem Kühen, die zu wenig oder keine Milch geben, immer noch vom örtlichen »sorcier« oder »desenvoûteur« ein Sträußlein Alchemilla verabreichen, meist zusammen mit einem Gewinde aus Farn und den sieben örtlichen »Sonnenkräutern«, das dann über der Stalltür aufgehängt wird. Gelegentlich sieht man auch Hufschmiede, die Eisen in Wasser ablöschen, in dem Frauenmantelblätter schwimmen. Dies soll Hufleiden vorbeugen und dafür sorgen, dass die Pferde die Eisen nicht verlieren.

Alchemilla trägt ihren bekanntesten volkstümlichen Namen »Frauenmantel« nämlich erst seit dem ausgehenden Mittelalter, als auch die Mode aufkam, Marienstatuen weite, ausgebreitete und dadurch beschützend wirkende Mäntel zu geben. Die Tatsache, dass die Pflanze sich ganz im Sinne der unbefleckten Empfängnis eingeschlechtlich fortzusetzen vermag, hat wohl auch dazu beigetragen, die älteren, sich immer auf die wundersamen Tautropfen auf den Blättern beziehenden Namen zu verdrängen und – möglicherweise auch – zu glauben, dass ein Bad in einer Abkochung aus Frauenmantelblättern eine verlorengegangene Jungfräulichkeit wiederherstellen kann.

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