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Kapitel 2.6 Brennessel

Botanisch: Urtica dioica L.

Gallisch-keltisch: Tanatt Bretonisch: Danad


Die stark variierende Brennnessel – Urtica dioica – besitzt einen ausdauernden, kriechenden, stark verästelten Wurzelstock. Ihr 30 bis 150cm hoher Stängel ist einfach, vierkantig, mit kurzen Borsten und langen Brennhaaren besetzt. Die gegenständigen eiförmigen bis länglichen Blätter sind am Grund herzförmig oder abgerundet und am Rand grob gesägt. Die Blütenzweige tragen in der Regel nur männliche oder nur weibliche Blüten. Diese sind unscheinbar grün und windblütig. Sie haben ein vierteiliges Perigon. In den weiblichen Blüten findet sich ein oberständiger Fruchtknoten mit großen pinselförmigen Narben. Die Frucht ist ein kleines, einsamiges Nüsschen. Die männlichen Blüten enthalten 4 eingebogene Staubgefäße, die beim Öffnen der Blüten, was insbesondere bei klimatischer Erwärmung geschieht, sich ruckartig aufrichten und dabei den Blütenstaub in Form kleiner Wölkchen ausstreuen. Darüber hinaus das Aussehen der Brennnessel zu beschreiben ist vielleicht nicht hilfreich: Machen Sie einfach die »Griffprobe«, die schon Carmer im 16. Jahrhundert empfahl. Greifen Sie die Pflanze Nachtens mit der nackten Hand an. Wenn’s brennt, dann war’s eine Brennnessel!


Die Große Brennnessel blüht vom Juli bis in den Herbst hinein. Die beste Sammelzeit ist in meinen Augen der Zeitpunkt der Vollblüte, wenn man neben den Blättern gleichzeitig noch von den Nüsschen der weiblichen Nessel profitieren kann, die eine exzellente und sehr gesunde Beimischung für Müslis, Joghurts etc. abgeben.

Brennnesseln sind nahezu weltweit vertreten. Lediglich in Permafrostgebieten fehlen sie. Die Große Brennnessel – Urtica dioica – fehlt in den Tropen, in Südafrika, auf Kreta und den Balearen.

Brennnesseln enthalten Kieselsäure, Ameisensäure, Serotonin, Histamin, Acetylcholin und Natriumformiat, darüber hinaus reichlich Vitamin C und Provitamin A, Caffeoyl-Chinasäuren, Mineralsalze, insbesondere Calcium- und Kaliumsalze, Wachs und auch ätherische Öle.

Die Brennnessel ist die »Königin der Heilpflanzen« schlechthin: Die Druiden-Ärzte und ihre griechischen sowie auch römischen Kollegen behandelten bereits genau die gleichen Krankheiten mit dem »Wunderkraut«, bei denen es noch heute Anwendung findet. Darüber hinaus verwendete man die Pflanze auch als »Barometer«, um herauszufinden, wie es wirklich um einen Kranken stand: Man legte eine Nessel über Nacht in den Harn des Patienten. War sie am nächsten Morgen noch frisch und grün, dann stand es gut um ihn, war sie jedoch eingeschrumpelt und welk, dann war alle Hoffnung verloren. Das weite Anwendungsspektrum der Brennnessel ist wohlbekannt. Die Pflanze ist harntreibend, leicht abführend, blutzuckersenkend und entzündungshemmend. Sie ist wirkungsvoll bei Nieren- und Harnwegsentzündung und Leber- und Gallenleiden. Ferner reinigt sie das Blut, fördert den Haarwuchs, dient als Jauche im biologischen Gartenbau von der Insektenvertilgung bis zur Düngung und eignet sich hervorragend als natürlicher Kompostakzelerator.

Der Abt Walahfrid Strabo beschrieb sie als eine »Pflanze, auf deren Blätter Pfeile wachsen mit brennendem Gift«. Wer sich an ihr reibt, sticht sich bekanntlich an ihr, und im Mittelalter wurde in der Brennnessel, trotz ihrer heilenden Kräfte, der Wohnsitz eines dämonischen Wesens vermutet. Nach dem, was Strabo schrieb, ging die Meinung, dass nur eine wahrhaftige Jungfrau eine Brennnessel anrühren konnte, ohne sich zu verbrennen, was in manchen Gegenden zu ziemlich lächerlichen Jungfräulichkeitstests führte, die so gut wie kein Mädchen unbeschadet überstand. Früher »peitschte« man sich gerne mit Brennnesseln, denn dies erzeugt an der betreffenden Stelle ein stundenlanges Wärmegefühl, fördert die Durchblutung und eignet sich deshalb hervorragend bei schmerzenden Gelenken, Rheuma-oder Ischiasbeschwerden. Es kostet nichts, dieses Mittelchen zu versuchen, wenn man nicht gerade hochgradig allergisch ist – höchstens ein wenig Überwindung!

Ein altes Aphrodisiakum sind in Wein gesottene Brennnessel- Nüsschen, die scheinbar zur Unkeuschheit anspornen und in der Liebe feurig machen. Ich habe meine Zweifel, ob das so stimmt. Allerdings wirkt die Nessel in der Tat blutdrucksteigernd, was vielleicht ihren Einsatz als frühzeitliches Viagra erklärt. Ähnlich dem Nesselsamenwein war noch ein anderes Potenzmittelchen beliebt, und zwar Nesselsamen mit gedünsteten Zwiebeln und Salz und Pfeffer vermischt. In der nesselreichen Normandie kursieren allerdings auch ein paar vernünftigere Rezepturen: Ein uraltes volksmedizinisches Mittel gegen Schmerzen in der Herzgegend und Husten ist ein Sirup aus Nesselsamen, Nesselsaft, gutem Honig und gutem Wein, der ausgezeichnet funktioniert. Und natürlich gibt es den berühmten (und bei Kindern verhassten) Brennnesselspinat als Frühjahrskur zur Blutreinigung, den das Leydener Manuskript schon empfiehlt. Paracelsus behandelte mit einer ähnlichen Abkochung von Nesselsamen, Nesselsaft und Ziegenmilch die Gelbsucht erfolgreich. Die Tradition dieser blutreinigenden »Speisen« vor Sommerbeginn setzt sich im Aberglauben fort, man müsse am Johannistag Brennesselpfannkuchen essen, um für das kommende Jahr gegen allerlei üblen Elfenzauber gefeit zu sein.

Die Druiden-Ärzte der Kelten bereiteten aus Brennnesselsaft, Distelsaft, Feldzypressensaft und einem schmierigen Trägerstoff, den Niemann als »Schusterschwärze« übersetzt, von dem ich allerdings annehme, dass es sich eher um irgendein pflanzliches Harz handelt, eine wirkungsvolle Salbe gegen geschwollene und tränende Augen zu. Auch bei Husten und Atemwegserkrankungen griffen sie gerne auf die »Königin der Heilpflanzen« zurück und verabreichten ihren Patienten eine Art Suppe aus Brennnesseln, Wasserkresse und Knoblauch. Für die Verdauung und zur Blutreinigung gab es einen Brei aus Brennnesseln, Sauerampfer und Malvenblüten, den auch Marcellus Burdigalensis in seinem Kompendium erwähnt. Gichtige Entzündungen der Gelenke wurden mit einer Einreibung aus Brennnesseln, Rosenöl (Rosa gallica) und Iriswurzelöl (vermutlich Iris pseudoacorus) behandelt. Darüber hinaus gibt Marcellus Burdigalensis in seinem »De Medicamentis« noch zahlreiche andere Rezepte der Druiden-Ärzte preis, die er im keltischen Teil Galliens gesammelt hat. Allerdings sind die verschiedenen Bestandteile dieser Kompositionen nicht ganz leicht aufzutreiben. Aus diesem Grund ist es höchstens von anekdotenhaftem Wert, weiter auf sie einzugehen.

Die Beschreibung der »Königin der Heilpflanzen« schließen wir ab mit einem hübschen kleinen Gedicht des Vaters des »Struwwelpeters«, Dr. Heinrich Hoffmann, der nicht nur, was Literatur angeht, ein kundiger Mann war:

Brennnessel, verkanntes Kräutlein, dich muss ich preisen dein herrlich Grün in bester Form baut Eisen, Kalk, Kali, Phosphor, alle hohen Werte, entsprießend aus dem Schoß der guten Mutter Erde. Nach ihnen nur brauchst Du Dich hinzubücken, die Sprossen für des Leibes Wohl zu pflücken, als Saft, Gemüse oder Tee sie zu genießen, das, was umsonst gedeiht in Wald, auf Pfad und Wiesen, selbst in noch dürft’ger Großstadt nahe Dir am Wegesrande, nimm’s hin, was rein und unverfälscht die gütige Natur dir heilsam liebend schenkt auf ihrer Segensspur!

Der wunderbare Garten der Druiden

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