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2. Bevölkerungsstruktur: Altersaufbau und Geschlechterverhältnis

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Forschungsfragen, Schätzungen, Kontroversen

Wer die Altersstruktur und das zahlenmäßige Geschlechterverhältnis (sexratio), zwei wichtige demographische Größen, für die mittelalterliche Bevölkerung ermitteln will, sieht sich selbst bei sorgfältiger raum-zeitlicher Unterscheidung vor methodische Probleme gestellt. Die archäologisch-anthropologischen Befunde anhand von Gräberfeldern erlauben zwar vielfältige, auch nach Alter und Geschlecht differenzierende Aussagen über die Lebensbedingungen der dort bestatteten Menschen einer Region. Solange aber Friedhöfe nicht vollständig ergraben und anthropologisch ausgewertet sind, lässt sich die alters- und geschlechtsmäßige Zusammensetzung der dort repräsentierten lebenden Bevölkerung nicht unmittelbar nachvollziehen. Für Verzerrungen sorgen auch Schwierigkeiten bei der Geschlechtsbestimmung an kindlichen Skeletten sowie regional unterschiedliche und sich im Lauf der Zeit verändernde Bestattungsbräuche, etwa die Sonderbestattung ungetaufter Säuglinge. Die folgenden Ausführungen geben daher Tendenzen wieder.

Die mittelalterliche Bevölkerung lässt sich als „jung“ charakterisieren in dem Sinne, dass sie zu einem hohen Anteil aus jüngeren Menschen bestand |8|bei einem kleinen Anteil von alten Menschen. Wie für andere historische Bevölkerungsgruppen kann man annehmen, dass zwischen 45% und 60% der Bevölkerung Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren („subadult“) waren. Anhaltspunkte dafür, wie viele Menschen 60 Jahre und älter („senilis“) wurden, ergeben einzelne Friedhöfe, auf denen diese Altersgruppe mit bis zu 12% vertreten war. Die im Vergleich zu heute niedrige durchschnittliche Lebenserwartung – in der Forschung finden sich immer noch Angaben von etwa 30 bis 35 Jahren – entspricht nicht dem tatsächlichen mittleren Sterbealter, sondern wurde unter Einbezug des großen Kinderanteils an der Gesamtbevölkerung und der hohen Kindersterblichkeit errechnet. Wie irreführend diese Berechnung ist, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass nach Schätzungen jedes zweite Kind noch vor Erreichen des 14. Lebensjahres starb.

Während die Lebenserwartung von Neugeborenen wenig mehr als 30 Jahre betrug, konnten Menschen im Alter von 20 Jahren, nachdem die Kindheit überstanden war, damit rechnen, deutlich älter als 30 Jahre zu werden. Dabei entwickelte sich die Sterblichkeit nach Altersstufen und Geschlecht unterschiedlich. Mutmaßlich wurden im Mittelalter ebenso wie heute etwa 105 Jungen auf 100 Mädchen geboren. Ob sich dieser Unterschied damals analog zur heutigen Entwicklung bis ins Alter zwischen vier und sechs Jahren ausglich, lässt sich nicht mit Gewissheit feststellen, es ist aber anzunehmen, wenn man eine höhere Infektanfälligkeit und Unfallgefährdung von Knaben voraussetzt. Unter den Erwachsenen erreichten weniger Frauen als Männer das 40. Lebensjahr, so dass im reifen Alter („maturus“, 40 bis 60 Jahre) Männer tendenziell in der Überzahl waren. Frauen jenseits der 40 Jahre wiederum hatten größere Aussichten als Männer, über 60 Jahre alt zu werden, das heißt der vorherige Männerüberschuss glich sich unter den Alten aus, bzw. Frauen waren in dieser Altersgruppe sogar überrepräsentiert.

In der Forschung sind die hier skizzierten Tendenzen im Detail umstritten. Angesichts unterschiedlicher Befunde auf einzelnen Gräberfeldern ist zu berücksichtigen, dass Faktoren wie die Standes- und Schichtenzugehörigkeit, das städtische oder ländliche Umfeld oder die regionale Ökonomie auch die Entwicklung des zahlenmäßigen Geschlechterverhältnisses in den verschiedenen Altersstufen beeinflussten.

Frauen und Männer in der Gesellschaft des Mittelalters

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