Читать книгу Frauen und Männer in der Gesellschaft des Mittelalters - Cordula Nolte - Страница 13

c) Lebensbewältigung im Alter

Оглавление

Im Zusammenhang mit der altersstufen- und geschlechtsbezogenen Sterblichkeit wurde bereits festgestellt, dass unter den alten Menschen jenseits der 60 Jahre ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis bestand als in der Altersgruppe der 40- bis 60-Jährigen. Frauen und Männer hatten im Alter von 60 Jahren gute Aussichten, noch deutlich älter zu werden. Neben Kindern waren allerdings auch Alte in Versorgungs- und Seuchenkrisen besonders gefährdet. Die Pestzüge nach der Mitte des 14. Jahrhunderts wiederum überstanden alte Menschen besser als die Jüngeren und Jüngsten, die noch keinen Immunschutz ausgebildet hatten. Für England jedenfalls wurde nach 1350 eine starke Zunahme des Anteils alter Menschen an der Bevölkerung konstatiert, ebenso ein deutlicher Anstieg der Lebenserwartung dieser Alten. Für Annahmen, dass sich generell die Lebenserwartung im Lauf des Mittelalters erhöhte, fehlen konkrete Anhaltspunkte.

Was heißt „alt“ im Mittelalter?

Wer im Mittelalter nach eigener oder fremder Einschätzung „alt“ war, das ist nicht genau in Lebensjahre zu fassen. Weder moderne Klassifizierungen noch mittelalterliche Einteilungen der einzelnen „Lebensalter“ stimmen ohne Weiteres mit den überlieferten Selbst- und Fremdwahrnehmungen überein. Altern und Alter waren eher ein fließender Prozess als eine durch klare Zäsuren abgesteckte Etappe. Insgesamt galten anscheinend Frauen im Vergleich zu Männern früher als alt. Möglicherweise wurde die Menopause als Übergang zum Altern begriffen. Während für Männer das Nachlassen der körperlichen Funktions- und Arbeitsfähigkeit ein zentrales Kriterium für |19|den Beginn des Alters war, lässt sich bei den Frauen kein ähnlich entscheidendes Merkmal erkennen. Wegen des großen Übergewichts an von Männern verfassten Selbstzeugnissen ist überhaupt vergleichsweise wenig über den Alterungsprozess aus weiblicher Perspektive zu erfahren.

Zwar erscheint das Greisenalter in literarischen Texten und Alterskommentaren häufig als eine Phase des Verfalls, aber es wurde keineswegs grundsätzlich mit Siechtum und Gebrechlichkeit assoziiert. Vielmehr hängt es von den verschiedenen Textsorten ab, welche Facetten des Alters dominieren. Wer die Aufnahme in ein Spital beantragte, unterstrich seinem Anliegen entsprechend seine Hinfälligkeit und Hilfebedürftigkeit, während Briefe und autobiographische Aufzeichnungen auch andere, positivere Erfahrungen mitteilen, bis hin zur Freude an der eigenen Vitalität.

Auskommen und Teilhabe im Alter

Für Frauen und Männer aller sozialen Schichten entschied die Absicherung der Lebensgrundlagen – Ernährung, Wohnung, Pflege – darüber, wie sich ihr Alter gestaltete. Einen Ruhestand im modernen Sinn genossen die meisten Menschen nicht, von einigen adligen „Pensionären“ und „Pensionärinnen“ abgesehen, die ihre Herrschaftsrechte gegen die Sicherung eines komfortablen Lebensstils eintauschten. Ein Rückzug aufs Altenteil war in ländlichen wie in städtischen Verhältnissen möglich, wurde aber, jedenfalls in den Städten, nicht als allgemeine Einrichtung praktiziert. Bei diesem Altenteil bzw. Ausgedinge gab es verschiedene Formen von selbstständiger Haushaltsführung oder Einbindung in den Haushalt der nachrückenden Generation, des separaten Wohnens in eigenen Gebäuden bzw. Räumen oder der gemeinsamen Raumnutzung.

Wichtig erschien vor allem, auch in fortgeschrittenen Jahren so lange wie möglich am Arbeits- und Familienleben beteiligt zu bleiben. Die meisten männlichen Familienvorstände waren bestrebt, bis zu ihrem Tod die Kontrolle über den Haushalt und den Familienbesitz zu behaupten. Vor allem aus adligen Familien ist bekannt, dass diese Weigerung der Väter abzutreten zu heftigen Konflikten mit den auf Selbstständigkeit drängenden Söhnen führte. Verwitwete ältere Frauen zogen häufig zu ihren erwachsenen Kindern, abgesehen von Witwen im Hochadel, denen ein eigener Wohnsitz außerhalb der Familienresidenz zugewiesen wurde. Die Einbindung in familiale und andere Beziehungsnetze schützte alte Menschen davor, aus ihrer gesellschaftlichen Position verdrängt zu werden oder gar Entbehrung zu leiden.

In einer Vielzahl aus dem Spätmittelalter überlieferter Versorgungsverträge kamen alternde Frauen und Männer mit Familienangehörigen, Verwandten, Nachbarinnen und Nachbarn überein, dass sie im Austausch gegen ihren Besitz von ihnen eine Unterkunft, Nahrung, Kleidung und Pflege erhalten sollten. Die schriftlichen Vereinbarungen legten oft bis ins Detail die Qualität und Quantität der für die Alten zu erbringenden Leistungen fest, bis hin zur Heizung und Instandhaltung ihrer Wohnräume, zur Güte ihrer Speisen und Getränke, zum Baderecht usw. Diese Genauigkeit sollte späteren Auseinandersetzungen vorbeugen und gewährleisten, dass die Ressourcen tatsächlich im vereinbarten Umfang bereitgestellt wurden. Vergleichbare Verträge über den Erwerb von Versorgungsleistungen durch die Übertragung von Vermögenswerten wurden bereits im Frühmittelalter auch mit Klöstern sowie im Spätmittelalter mit Spitälern abgeschlossen.

Q

|20|Formular für eine Besitzübertragung

Formular (Mustertext) für eine Urkunde über eine Besitzübertragung und die Aufnahme als Wohngast in einem Kloster (aus der von Notker Balbulus am Ende des 9. Jahrhunderts im Kloster St. Gallen zusammengestellten Formelsammlung). Aus: Collectio Sangallensis Salomonis III. tempore conscripta, hg. von Karl Zeumer, MGH, Formulae Merowingici et Karolini Aevi, LL in quarto, sect. 5, Hannover 1886, S. 390 – 432, Nr. 15. Übersetzung von Gesine Jordan: „Nichts als Nahrung und Kleidung“, S. 14. Jordan hebt die religiösen Motive dieser Altersvorsorge hervor, die „ein Modell moderater Konversion am Lebensabend“ gewesen sei.

Ich, N(ame), in Erwartung meines Alters und dessen, was gewöhnlich diesem folgt, des Elends nämlich, übertrage jenem Kloster, oder einem beliebigen mächtigen Mann, was ich bekanntermaßen an Besitz oder rechtmäßigem Erbe oder käuflich Erworbenem habe; und zwar in der Weise, dass derselbe Mann oder Bischof oder die Leiter desselben Klosters sofort und von jetzt an dieselben Dinge für sich empfangen und dass sie zugleich auch mich in ihre Sorge und Versorgung aufnehmen und bis zum Tage meines Todes niemals zögern, mir jedes Jahr 2 Leinenkleider und eben so viele wollene (Kleider) und ausreichende Versorgung in Brot und Bier und Gemüse und Milch, an den Festtagen jedoch in Fleisch zu gewähren. Jedes 3. Jahr sollen sie mir einen Mantel geben sowie Handschuhe, Schuhe, Schenkelbinden, Seife und Badewasser, wie es vor allem für Kranke sehr notwendig ist, und Stroh. Damit ich das Nötige habe, sollen sie mir das fortdauernd gewähren, weil ich weder meinem Sohn noch irgendjemandem aus meiner Verwandtschaft, sondern nur jenen meine ganze Habe hinterlassen habe.

Auch vermögenslose alte Frauen und Männer, die ihren Lebensunterhalt nicht mehr selbst erarbeiten konnten und keine Angehörigen hatten, fanden mit Glück einen Platz in einer klösterlichen Versorgungseinrichtung (im Frühmittelalter Xenodochium, später Hospital genannt), in einem städtischen Spital oder einem privat gestifteten Haus. Für alte, bedürftige Handwerker sorgten Zünfte, Gilden, Bruderschaften sowie Familienstiftungen wie etwa die Mendelsche Zwölfbrüderstiftung in Nürnberg, die zwölf alte, kranke Männer aufnahm, sofern sie nicht bettlägerig waren. Ob Frauen im gleichen Umfang wie Männer von karitativen Institutionen aufgefangen wurden, wäre in einer – noch weitgehend ungeschriebenen – Geschlechtergeschichte des Hospitalwesens zu untersuchen. Anscheinend waren insgesamt Frauen, trotz ihrer höheren Anfälligkeit zu verarmen, unter den Insassen nicht in der Überzahl.

Einige Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber kümmerten sich um die Altersversorgung ihrer weiblichen und männlichen Dienstboten. Bestallungsverträge für – meist männliche – Funktionsträger an Adelshöfen hielten fest, dass diese bei Arbeitsunfähigkeit im Alter weiterhin besoldet und unterhalten werden sollten. In städtischen Haushalten wurden vor allem Mägde, gelegentlich auch Knechte durch Legate abgesichert, mit denen ihre Herrinnen und Herren ihnen langjährige Dienste dankten. Gerade Frauen kamen im Alter Beziehungen zu Bessergestellten zugute, die auf ihre ehemaligen Arbeits- und Dienstverhältnisse zurückgingen.

Wer als besitzloser, arbeitsunfähiger alter Mensch auf sich allein gestellt war, dem blieb nur das Betteln. Der große Anteil von Greisinnen und Greisen unter den Bettlern und Almosenempfängern, der unter anderem in bildlichen Darstellungen christlicher Caritas ins Auge fällt, verweist darauf, dass im Alter ein hohes Verelendungsrisiko bestand. Frauen waren davon noch |21|stärker bedroht als Männer, da sie in der Regel weniger Rücklagen bilden konnten und oft bereits in jüngeren Jahren, etwa als alleinstehende Mütter mit Kindern, einen sozialen Abstieg hinnehmen mussten.

Frauen und Männer in der Gesellschaft des Mittelalters

Подняться наверх