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Interaktion von Ritualen über Formelemente

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Als ein Sonderfall der skizzierten Austausch- und Transformationsprozesse kann das Interagieren verschiedener Rituale, der Bezug eines Rituals oder einzelner seiner formalen Elemente auf ein ihm vorausgehendes Ritual gelten.

Darunter fallen beispielsweise Inversionen entweder von ganzen Ritualen, wenn „rituelle Akte durch entgegengesetzte, durch acta contraria, ausgelöscht oder auch wiedergutgemacht werden“,53 oder aber nur von einzelnen formalen Elementen eines solchen Aktes. In diesem Sinne können beispielsweise die Restitution der entehrten Jeschute durch Orilus und die Wiederaufnahme ihrer Ehegemeinschaft in Wolframs ›Parzival‹ verstanden werden. Beides erfolgt durch eine Reihe von Akten, die auf die vorherige formelle Aufkündigung der Ehegemeinschaft und die soziale Erniedrigung Jeschutes genau Bezug nehmen und sie in allen Einzelheiten rückgängig machen.54

Die vielfältigen Formen, in denen auch ganz unterschiedliche Rituale miteinander interagieren können, lassen sich an Ereignissen während des Doppelkönigtums Philipps von Schwaben und Ottos von Braunschweig illustrieren.55 Die Doppelwahl von 1198 erzeugt neben der machtpolitischen Konkurrenz, die man militärisch zu entscheiden sucht, auf beiden Seiten unterschiedliche Legitimationsdefizite, die weniger durch eine in den Quellen nur andeutungsweise erkennbare wahlrechtliche Argumentation56 als vielmehr durch verschiedene aufeinander Bezug nehmende rituelle Akte kompensiert werden sollen. Die rekonstruierbare Abfolge dieser Akte sei kurz skizziert: Am 6. / 8. 3. 1198 wählt die staufische Fraktion der Reichsfürsten Philipp, den jüngeren Bruder des verstorbenen Kaisers Heinrich VI., zum König, die um Erzbischof Adolf von Köln gruppierte antistaufische Fraktion hingegen am 9. 6. in Köln den Welfen Otto. Als dieser in den folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen bald die Stadt Aachen zur Übergabe zwingen kann, wird er dort am 12. 7. von Erzbischof Adolf gekrönt. Philipp empfängt die Königsweihe dann am 8. 9. des Jahres in Mainz von dem burgundischen Erzbischof Aimo von Tarentaise; zu diesem Anlaß krönt er Herzog Ottokar von Böhmen, einen seiner potentesten Parteigänger, zum König. Zu Weihnachten 1199 hält Philipp einen Hoftag in Magdeburg und zelebriert dort eine Festkrönung, Otto hingegen hält einen Hoftag am Dreikönigstag 1200 in Köln, auf dem er die Reliquien der Heiligen Drei Könige krönt. Bereits am Weihnachtstag 1200 hat Otto aber schon eine Festkrönung in Mainz, dem Krönungsort Philipps, gefeiert. Philipp läßt sich dann, als Otto militärisch weitgehend besiegt ist und auch Erzbischof Adolf das Lager gewechselt hat, nach einem formellen Herrschaftsverzicht und einer erneuten Wahl eben am Dreikönigstag 1205 in Aachen von Adolf zum zweiten Mal zum König krönen. Nach der Ermordung Philipps (1208) verzichtet Otto zwar, nun ohne unmittelbaren Konkurrenten,57 auf eine zweite Königskrönung; hingegen können seine feierliche Entgegennahme der staufischen Reichsinsignien (Frankfurter Reichstag, November 1208) und seine Verlobung mit Philipps Tochter Beatrix (Würzburger Hoftag, Mai 1209) als vor allem an die staufische Fraktion der Reichsfürstenschaft und die Reichsministerialität gerichtete legitimatorische Akte gelten.58

Deutlich wird zunächst, daß die legitimatorischen Defizite beider Seiten nicht allein in der Spaltung der wahlberechtigten Fürstenschaft, sondern ebenso in der anfechtbaren Formalität der Krönungen gründen: Philipps Krönung fehlen der legitimierende Ort (Aachen) und der legitimierende Bischof (Erzbischof von Köln),59 Ottos Krönung die ‚rechten‘ (staufischen) Insignien.60 Beide Defizite müssen offenbar, auch als die Situation machtpolitisch bereits entschieden und eine einstimmige Wahl erfolgt ist, jeweils demonstrativ revidiert werden: indem einerseits Philipp sich ein zweites Mal – nun vom Kölner Erzbischof in Aachen – krönen läßt und Otto, der für seine Krönung 1198 natürlich eigene Insignien gebrauchen konnte, sich die staufischen Insignien feierlich aushändigen läßt.61

Die weiteren genannten Ereignisse lassen erkennen, wie beide Parteien mittels ritueller Akte die Legitimitätsansprüche der gegnerischen Seite zu relativieren und zu überbieten suchen, indem die Akte jeweils auf formale Elemente eines vorangegangenen Rituals rekurrieren und in dieser Interaktion ein komplexes Verweissystem konstruieren. Die Hoftage der Könige zur Jahreswende 1199 / 1200 können allein durch ihre zeitliche Koinzidenz (innerhalb desselben kirchlichen Festkreises zur Jahreswende) aufeinander bezogen werden; Philipps Demonstration der Reichinsignien während seiner Festkrönung und Ottos Kronen-Stiftung für die Drei Könige, für die sehr wahrscheinlich Material seiner Aachener Krönungsinsignien verwendet worden ist,62 stellen die Ereignisse zugleich in offenkundige Konkurrenz zueinander.63 Ottos Festkrönung von 1200 nimmt Bezug auf Philipps Festkrönung 1199, indem sie am gleichen Tag wie diese gefeiert wird, und auf dessen Königsweihe, indem sie in derselben Stadt stattfindet. Ottos Stiftung für die Heiligen Drei Könige okkupiert dadurch, daß sie sich an die von Friedrich I. aus Mailand nach Köln überführten Reliquien richtet, das immense politische Prestige, das diese nicht nur für Köln und seinen Erzbischof, sondern auch für die staufische Partei darstellen. Möglicherweise soll diese ‚Königskrönung‘ der im kirchlichen Sprachgebrauch nach wie vor so bezeichneten magi darüber hinaus Ottos Anspruch auf das Kaiserrecht der Königserhebung demonstrieren und somit auf die Königskrönung Ottokars I. von Böhmen durch Philipp im Zusammenhang mit dessen eigener Krönung (1198) ‚antworten‘.64 Philipps zweite Krönung fünf Jahre später nimmt schließlich dieses Datum, den Dreikönigstag, für sein gegen den Konkurrenten durchgesetztes Königtum in Anspruch.65

Die Bezugnahmen dieser verschiedenen Rituale (Krönung zum römischen König, Krönung zum Vasallenkönig, Festkrönung, Stiftung für Reliquien, Reliquienüberführung, Übergabe von Herrschaftszeichen und Verlobung) werden von den Quellen in der Regel nicht oder nur andeutungsweise diskursiv vermittelt. Wenn die rituellen Akte gleichwohl die beschriebenen Interaktionen erkennen lassen, so nur, weil verschiedene Elemente ihrer Formalität (v. a. Zeit, Ort, Gegenstände und Personenstatus), unabhängig von der Verschiedenartigkeit der Rituale, Anknüpfungspunkte bereitstellen, die eine Bezugnahme ermöglichen und für eine Öffentlichkeit evident und eindeutig nachvollziehbar machen.

Poetik des Rituals

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