Читать книгу Rache für Dina - Cristina Fabry - Страница 13
11. Minden – In den Bärenkämpen 14
ОглавлениеKarin Seliger zuckte zusammen, als das Telefon klingelte. Schon seit drei Jahren lebte sie in dieser anonymen Sozialwohnung, aber noch immer saß ihr das Trauma ihrer Hahler Amtszeit im Nacken: damals war fast jeder Telefonanruf eine Hiobsbotschaft gewesen, und am Ende hatte man sie suspendiert. Sie hatte das Pfarrhaus räumen müssen und war an den Mindener Stadtrand gezogen, wo keiner sie kannte. Als sich heraus stellte, dass niemand die gegen sie erhobenen Vorwürfe beweisen konnte, war sie zwar endlich vor Strafverfolgung sicher, aber die Verletzungen der vergangenen Monate saßen nun so tief, dass sie nicht mehr in der Lage war, zu arbeiten, so dass sie auch ein Angebot auf Beschäftigung in der Krankenhaus-Seelsorge ausschlagen musste. Sie litt an schweren Depressionen, und obwohl sie sich mittlerweile in Behandlung befand, gab es immer noch Tage, an denen sie sich maximal drei Meter fort bewegte. Heute war so ein Tag, und sie hatte kein Interesse an einem Gespräch und wartete statt dessen darauf, dass der Anrufbeantworter sich einschaltete.
„Hallo Karin, hier ist der Uwe. Ich wollte nur mal fragen, wie es dir so geht. Ruf mich doch mal zurück, wenn du wieder da bist.“
Karin Seliger stöhnte auf. Uwe Pohlmann war die schlimmste Landplage während ihrer Dienstzeit in Hahlen gewesen und er verfolgte sie immer noch. Seit er heraus bekommen hatte, dass sie sich in psychiatrischer Behandlung befand, war er noch aufdringlicher geworden, weil er selbst unter einer Persönlichkeitsstörung mit psychotischen Schüben litt und sie nun als eine seiner Leidensgenossinnen sah. Hatte er sich zunächst von ihr helfen und trösten lassen, wollte er ihr nun Hilfe und Trost zurück geben, aber nicht aus Nächstenliebe, sondern aus dem Bedürfnis heraus, sie stärker an sich zu binden, damit er auch in Zukunft ihre Nähe und Zuwendung für sich einfordern konnte. Er verursachte ihr Magenkrämpfe, aber er war in seiner Aufdringlichkeit nicht so unvorsichtig, dass sie ihn wegen Stalkings hätte anzeigen können. Sie verhielt sich ihm gegenüber stets höflich, aber bestimmt und distanziert. Nie rief sie ihn zurück, er versuchte es ohnehin schon bald wieder. Diesmal klingelte das Telefon schon nach fünf Minuten erneut. Zum ersten Mal war Karin Seliger so ärgerlich, dass sie sich nicht mehr bremsen konnte. Sie riss den Hörer von der Gabel und bellte ein :“Hör endlich auf, mich anzurufen, du nervst!“, hinein. Einen Augenblick war es still, dann sagte jemand: „Karin? Alles in Ordnung?“
Es war definitiv nicht Uwe Pohlmann. „Wer ist denn da?“, fragte sie vorsichtig.
„Hier ist Paul-Gerhard.“
„Ach Paul-Gerhard!“, sagte sie erleichtert. Paul-Gerhard Solms war ein lieber, alter Kollege und guter Freund. Er hatte bereits seit zwölf Jahren die Pfarrstelle in Ober- und Unterlübbe in der Region Hille inne und hatte ihr in den vergangenen Jahren verlässlich beigestanden.
„Entschuldige.“, erklärte sie. „Eben gerade hat Uwe Pohlmann schon wieder auf meinen Anrufbeantworter gesprochen. Er versteht einfach nicht, dass ich von ihm in Ruhe gelassen werden will. Ich dachte schon, er probiert es gleich noch einmal.“
„Du Ärmste!“, bedauerte Solms sie. „Aber sag mal, war die Polizei schon bei dir?“
„Polizei? Wieso?“
„Wegen Norbert Volkmann. Ihr habt doch zusammen gearbeitet und Lydia Schmalgemeier wurde schon befragt.“
„Wieso? Was ist denn mit Volkmann? Hat er was ausgefressen?“
„Ja, aber ganz bestimmt. Das dürfte auch der Grund sein, warum ihn jemand ermordet hat.“
„Was? Wann denn? Und wie?
„Man hat ihn gestern Morgen erstochen in seinem Büro aufgefunden. Hast du davon denn noch gar nichts gehört?“
„Nein. Wie denn?“
„Das stand doch in der Zeitung und lief auch im Lokalfernsehen und Radio.“
„Ich hab' die letzten zwei Tage fast nur geschlafen.“
„Ach so.“
„Ja, ich bin gerade wieder etwas daneben. Hab' mal versucht, die Medikamente abzusetzen. War wohl etwas voreilig.“
„Hm ja. Aber andererseits ist eine Handlungsunfähigkeit seit zwei Tagen natürlich das perfekte Alibi.“
„Sag mal, spinnst du? Du glaubst doch wohl nicht, dass ich Volkmann abgestochen habe.“
„Natürlich nicht, aber falls irgend jemand die alte Geschichte von damals raus holt.“
„Aber wegen so etwas bringt man doch niemanden um.“
„Er hat dein Leben ruiniert.“
„Stimmt.“
„Hör zu. Wenn die Polizei mich befragt, tue ich alles, was in meiner Macht steht, um den Verdacht von dir abzulenken. Und wenn sie dich befragen, erzählst du nichts über die alte Geschichte.“
„Aber wenn sie es dann doch raus kriegen, bin ich doch erst recht verdächtig.“
„Karin, das stehst du nicht durch! Du bist krank. Die nehmen dich auseinander und hängen dir den Mord an. Am Ende suchen die Polizisten doch immer den Erfolg statt der Wahrheit.“
„Ich weiß nicht.“
„Vertrau mir.“
„Wenn du meinst.“
„Ja genau.“
„Kannst du noch vorbei kommen?“
„Dafür ist es etwas spät. Aber morgen Mittag hätte ich Zeit. Ich hab' um elf Uhr was im Kreiskirchenamt zu erledigen. Danach könnte ich dich abholen und wir könnten irgendwo was essen gehen.“
„Au ja.“
„Dann bis morgen?“
„Ja bis morgen. Tschüss.“
Norbert Volkmann ermordet. Ein unwirklicher Schauer lief Karin Seliger über den Rücken. Einen Moment lang stellte sie sich vor, sie hätte es wirklich getan; wäre mit ihrem längsten und schärfsten Küchenmesser in ihrer großen, schwarzen Schultertasche zum Kreiskirchenamt gefahren, hätte an der Pforte freundlich gegrüßt, Frau Attig gebeten, sie bei ihrem Chef anzumelden, hätte sein Büro betreten und ihn gefragt, wie es sich anfühle, für ein zerstörtes Leben verantwortlich zu sein oder ob er am Ende selber an die Lügen glaube, die er wider besseren Wissens verbreitet habe? Er hätte sich unschuldig gegeben und sie gebeten, sein Büro zu verlassen. Sie hätte geantwortet, dass er ihr so tiefe Wunden zugefügt habe, die niemals heilen würden, dass sie nun gedenke, ihm ebensolche Wunden zuzufügen. Sie wäre hinter ihn getreten und hätte scheinbar nachdenklich aus dem Fenster gesehen. Dabei wäre ihre rechte Hand unauffällig in ihre Tasche geglitten und hätte den warmen, hölzernen Griff des Messers umfasst. Blitzschnell hätte sie sich umgedreht und das Messer mit voller Wucht in seinen Rücken gerammt, oben links, mitten ins Herz. Er hätte nicht einmal schreien können, wäre nur vorn übergekippt. Sie hätte das Messer wieder heraus gezogen und in ihre Tasche zurück gleiten lassen. Eiskalt, mit der blutverschmierten Tatwaffe in der Tasche hätte sie sein Büro verlassen, ihm einen Abschiedsgruß zugerufen, als sei er noch am Leben und hätte sich freundlich strahlend von Frau Attig verabschiedet. Das Messer hätte sie in die Weser geworfen, die Tasche ausgewaschen und bei e-bay versteigert. Und dann wäre sie frei gewesen. Ihr ganzer Körper kribbelte. Sie fühlte eine Panikattacke in sich aufsteigen. War das gerade wirklich nur eine Phantasie oder hatte sie es wirklich getan? Aber nein. Sie hatte ja bis eben gar nicht gewusst, dass Volkmann tot war. Aber war er nicht genau zwei Tage tot und lag sie nicht genau zwei Tage apathisch in ihrer Wohnung? Würde sie nun zu allem Überfluss noch psychotisch? Sie musste ihre Medikamente wieder nehmen. „Morgen“, dachte sie, „Morgen wirken die Tabletten, dann kann ich wieder klar denken und treffe mich mit Paul-Gerhard. Paul-Gerhard wird wissen, was zu tun ist. Ich muss nur meine Tabletten wieder einnehmen.“ erschöpft sackte sie auf ihrem Bett zusammen.