Читать книгу Rache für Dina - Cristina Fabry - Страница 17

15. Kreiskirchenamt Minden

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Regina Heuer betrat das Kreiskirchenamt und nahm auf der Treppe immer zwei Stufen auf einmal. Jede Minute mit Jens Carstensen bevor der Assessor und sein Adlatus auftauchten, war kostbar. Sie hatte die KiTa einer Viertelstunde vor Dienstschluss verlassen – bei der gegenwärtigen Besetzung war das kein Problem. In der Teeküche traf sie auf Siegfried Wischmeier, den Küster der Mariengemeinde. „Hallo Siegfried“, begrüßte sie ihn, „wo ist denn der Jens?“

„Im MAV-Büro.“, antwortete der. „Der soll sich lieber noch'n bisschen vorbereiten. Kaffee kochen kann ich sowieso viel besser.“

Regina ging ins MAV-Büro, wo sie Jens in Papiere vertieft vorfand. „Na, Rüstung schon angelegt?“, fragte sie ihn. Er grinste. „Klar“, antwortete er. Und jetzt helfe ich Dir auch noch ins Kettenhemd. Pass mal auf: Ulla Koch hat in der Verwaltung nachgefragt und rausgekriegt, dass bereits fünf Kolleginnen aus dem TfK-Bereich unterschrieben haben und neu eingruppiert worden sind.“

„Diese Opferlämmer!“, stöhnte Regina.

Jens fuhr mit seinem Bericht fort: „Mit eurem landeskirchlichen Beauftragten habe ich kurz telefoniert. Wir treffen uns heute in einer Woche in Bielefeld. Auf jeden Fall wird er intervenieren.“

„Das ist doch schon mal gut.“, antwortete Regina. „Legen wir diese Karte schon auf den Tisch oder behalten wir sie lieber als Trumpf in der Hand?“

„Bloß nicht das ganze Pulver auf einmal verschießen.“, antwortete Jens. Wenn deine Kolleginnen alle geimpft sind, haben wir ja Zeit, in Ruhe zum nächsten Schlag auszuholen.“

„Ich habe aber erst mit vier Leitungen gesprochen.“, bemerkte Regina. Da muss ich mich wohl am Wochenende zu Hause ans Telefon hängen und die Kolleginnen privat belästigen.“

„Vielleicht erhältst du dabei ja einen wichtigen Hinweis auf den Täter.“, sagte Jens.

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Regina erstaunt.

Jens grinste. „Also wenn dein Chef dich über'n Tisch zieht und sich deine Unterschrift erschleicht und du am Ende monatlich 200 Euro weniger im Portemonnaie hast, ist das etwa kein Mordmotiv?“

„Aber stand nicht in der Zeitung, dass er im Genitalbereich verstümmelt wurde? Das lässt doch eher auf ein sexuelles Motiv schließen. Vielleicht war es ja seine Frau oder ein Opfer sexuellen Missbrauchs oder ein gehörnter Ehemann.“

„Er wurde nicht direkt verstümmelt.“, erklärte Jens, „sondern beschnitten. Ich glaube, dass jemand mit Kastrationsgelüsten dem Opfer lieber die Eier abschneidet oder den ganzen Penis, aber nicht so etwas Kleines und Fummeliges wie die Vorhaut.“

„Also kommen meine Kolleginnen wohl kaum in Frage.“, erklärte Regina. „Das Schwein abzustechen, hätte ich mir ja auch noch vorstellen können, aber ihm die Hosen runter ziehen und mich an seinem Glühwürmchen zu schaffen machen, ich glaube, da hätte ich kotzen müssen. Und warum sollte jemand so etwas tun?“

„Um von den wahren Motiven abzulenken.“, erklärte Jens, „um die Polizei auf eine falsche Fährte zu locken. Vielleicht war es ja Reimler, dann wäre so eine Beschneidung ein geschickter Schachzug, denn mit einem sexuellen Motiv wird der nun ganz bestimmt nicht in Verbindung gebracht. Er ist genauso hetero wie Volkmann und seine Frau hatte bestimmt keine Affäre mit dem Sup.“

„Wieso nicht?“, fragte Regina.

„Hast du dir die mal angeguckt?“, fragte Jens. Als Regina den Kopf schüttelte, erklärte er: „Die ist so breit wie sie lang ist, praktische Pagenkopf-Frisur, die ihr überhaupt nicht steht, Dreifachkinn und die anstrengenste Labertasche, die man sich vorstellen kann.“

„Vielleicht hat Reimler Volkmann aber auch um seine aparte Frau beneidet.“

„Die ist nicht apart. Eher der Typ vertrocknete Schachtel.“

„Okay“, sagte Regina. „Reimler war's. Wer wird jetzt Superintendent?“

„Paul-Gerhard Solms.“

„Oh nein, der Ärmste! Willst du ihn umbringen?“

„Nein, natürlich nicht. Wir brauchen ihn ja auch als Jugendpfarrer. War auch nur Spaß. Keine Ahnung, was passiert, wenn der zweite Mann in der Leitung ausfällt. Aber ehrlich gesagt, glaube ich das nicht. Alle beide, das wäre zu viel Glück auf einmal.“

„Wenn uns jetzt einer abgehört hat“, stellte Regina fest, „sind wir bald beide arbeitslos.“

Wie auf ein Stichwort trudelten die anderen MAV-Vertreter ein. Sie tauschten auf die Schnelle noch die letzten Informationen aus, dann gingen sie geschlossen in den kleinen Sitzungsraum, in dem Reimler und Massmann schon auf sie warteten.

Nach den üblichen Begrüßungsritualen und Formalitäten eröffnete Reimler die Runde mit den Worten: „Ich habe mich gestern erst in die Materie eingearbeitet und bin sehr traurig über den hier vorliegenden Dissens. Offenkundig ist es in der Vergangenheit versäumt worden, die MAV über die zunehmend prekäre Finanzsituation in unserem Personalbudget in Kenntnis zu setzen und gemeinsam nach sozial verträglichen Lösungen zu suchen. Es ist unumgänglich für uns, auch im TfK-Bereich Personalmittel einzusparen und wir hielten es für die menschlichere und gerechtere Lösung, flächendeckend durch neue Verträge partielle Gehaltsanpassungen vorzunehmen, als einigen Mitarbeiterinnen betriebsbedingt zu kündigen.“

Jens Carstensen hatte sich Notizen gemacht und meldete sich zu Wort: „Die Personalmittel im Bereich Tageseinrichtungen für Kinder stammen ebenso wie die Betriebskosten zu 90 % vom öffentlichen Träger. Wenn der Anstellungsträger hier eine Kürzung der Bezüge um 10 % vornimmt, heißt das, der Träger finanziert nur noch 10 % der Betriebskosten. Die Personalmittel kommen zu 100 % von der Kommune. Außerdem können Sie gar nicht betriebsbedingt kündigen, aus den Verpflichtungen gegenüber der Stadt kommen Sie nicht heraus. Die Kirche reduziert ja auch nicht mal eben so mir-nichts-dir-nichts die Pfarrbesoldung um 10 %, obwohl das ein gewaltiges Einsparungspotential bedeuten würde und die Pfarrer das mit einigen Tausend Euro netto monatlich sicher leichter verschmerzen könnten als eine Erzieherin, deren Vollzeitgehalt sich von 1800,- auf 1600,- Euro netto reduziert. Mit Menschlichkeit und Gerechtigkeit hat das meines Erachtens wenig zu tun.“

„Wir können uns das Geld nicht aus den Rippen schneiden.“, erklärte Massmann ärgerlich.

„Das kann schon sein.“, bemerkte Regina Heuer. „Aber diese Art der Personalpolitik entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Man darf eine Mitarbeiterin nicht einschüchtern und bedrohen, um sie dazu zu bewegen, neue Vertragsbedingungen zu ihren Ungunsten zu unterschreiben. Und das ist nicht nur gesetzeswidrig, das ist auch unredlich.“

Massmanns Gesicht lief puterrot an und mit deutlich erhobener Stimme sagte er: „Niemand hat hier irgendeine Mitarbeiterin eingeschüchtert und bedroht. Wie kommen Sie überhaupt dazu derartig haltlose Behauptungen in den Raum zu stellen?“

„Ich habe die Gesprächsprotokolle der Kolleginnen schriftlich.“, antwortete Regina kühl. „Sie liegen Ihnen vor.“

„Das ist doch frei erfunden!“, polterte Massmann. „Das müssen Sie erst einmal beweisen. Es gibt keine Zeugen für diese infamen Unterstellungen.“

„Das ist richtig.“, gab Jens zu. „Aber Fakt ist, dass die Kolleginnen, die die neuen Verträge unterschrieben haben, obwohl sie nur Nachteile für sie bedeuten. Das macht zumindest eine Überrumpelung sehr wahrscheinlich. Bei zwei voneinander unabhängigen Gesprächsprotokollen, die von ähnlichen Erfahrungen berichten, wird jedes Arbeitsgericht den Betroffenen Glauben schenken und die Verträge für nichtig erklären. Das ist wie bei Haustür-Geschäften: Wer unseriös handelt, muss mit Rückgängigmachung rechnen.“

„Mir liegt keine Beschwerde derer, die die Verträge unterzeichnet haben, vor.“ erklärte Reimler mit Unschuldsmiene.

„Natürlich nicht“, erwiderte Regina Heuer. „Sie wurden erfolgreich eingeschüchtert. Sie haben Angst, am Ende ihren Arbeitsplatz zu verlieren.“

„Liebe Mitarbeitervertreter“, versuchte Reimler nun, einen moderaten Ton in die Auseinandersetzung zu bringen. „Ich bin nicht an einem Schlagabtausch interessiert sondern an einer Problemlösung. Welche Ideen liegen denn Ihrerseits vor?“

„Zehn Prozent Solidaritätsabzug bei der Pfarrbesoldung“, schlug Kantor Friedrich Ortmann grinsend vor.

„Die Pfarrer verzichten schon seit vielen Jahren auf das Weihnachtsgeld.“, blaffte Massmann ihn an.

„Am sozial verträglichsten ist es doch, Stellen, die wegen Ausscheidens eines Mitarbeiters vakant werden, nicht wieder zu besetzen.“, meinte Küster Siegfried Wischmeier.

„So kann man in diesem Arbeitsbereich aus juristischen Gründen nicht vorgehen.“, erklärte Reimler. „Sonst wäre das auch die von mir favorisierte Lösung.“

„Entschuldigen Sie mal“, mischte Jens Carstensen sich wieder ein, „Es ist nicht Aufgabe der MAV, die Management-Probleme der Superintendentur zu lösen. Wir vertreten - wie der Name schon sagt – die Interessen der Mitarbeitenden und setzen uns für die Wahrung ihrer Rechte ein. Im übrigen glaube ich nicht, dass die Finanzlage so prekär ist, dass der Kirchenkreis mit Dumping-Löhnen arbeiten muss. Vorstöße in diese Richtung gibt es immer wieder und am Ende geht es dann doch. Fachkräfte haben ihren Preis. Wenn Sie sie nicht bezahlen können, müssen Sie das Feld anderen Trägern überlassen. Aber da das keine kluge Entscheidung wäre, glaube ich kaum, dass Sie das wollen.“

„Was erwarten Sie denn jetzt von uns?“, fragte Reimler in deutlich schärferem Ton.

„Dass Sie sich entschuldigen bei allen, die von Herrn Volkmann unter Druck gesetzt wurden und dass Sie den Kolleginnen, die sich haben überrumpeln lassen, die alten Verträge zurück geben.“

„Das kann ich nicht!“, rief Reimler.

„Dann müssen wir das vor dem Richter ausfechten.“, erklärte Jens kühl.

„Das können Sie ja mal versuchen.“, fauchte Massmann. „Dann werden Sie ja sehen, wie weit Sie damit kommen. Und die teuren Juristen bezahlt dann wieder der Kirchensteuerzahler. Die Verträge sind unterschrieben und rechtsgültig, daran gibt es nichts zu rütteln!“

„Nun“, erwiderte Regina Heuer, „Wenn wir auf beiden Seiten in unseren Positionen so festgefahren sind, brauchen wir dieses Gespräch nicht fortzusetzen, das bedeutet nur Verschwendung von Arbeitszeit.“

„Da gebe ich Ihnen recht.“, erklärte Reimler scheinbar gelassen. „Vielleicht sollten wir einen neutralen Berater hinzu ziehen, der unseren Streit schlichten kann, bevor wir das auf juristischem Wege versuchen. Eine offizielle Schlichtung verschlingt mehrere tausend Euro, ein neutraler Berater kostet vielleicht zweihundert.“

„Haben Sie da schon jemanden im Auge?“, fragte Jens Carstensen.

„Nein.“, erwiderte Sebastian Reimler. „Aber es gibt da von Seiten der Landeskirche eine Liste mit Mediatoren. Ich würde einfach versuchen, jemanden zu finden, der keine allzu weite Anfahrt hat und kurzfristig für einen Termin zu haben ist.“

Man einigte sich auf diese Lösung. Terminabsprachen erfolgten und mit frostigem Lächeln gingen die Kontrahenten auseinander, jede Fraktion in ihr eigenes Nachgespräch.

Rache für Dina

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