Читать книгу Bikefitting - Daniel Hechenblaikner - Страница 7
ОглавлениеEINLEITUNG
Haben Sie selbst noch jene Zeiten in Körbchenpedalen erlebt, als Sie für einen Gangwechsel tief zum Unterrohr greifen mussten, um dann mangels Feineinstellung des Schalthebels den richtigen Gang aus dem Handgelenk zu zaubern?
Dann haben Sie wahrscheinlich genug Saisons an Erfahrung auf dem Buckel, sodass Sie Ihre Sitzposition auf den Millimeter genau kennen, zumindest beim Rennrad, das zu jener Zeit das einzig wahre sportliche Fahrrad darstellte. Doch auch Neueinsteiger wollen Spaß beim Radfahren erleben, noch dazu auf jedem Terrain, ohne dabei Kompromisse eingehen zu müssen. Die aktuell vielfältige und für jede körperliche Voraussetzung verfügbare Auswahl an Radkategorien kommt ihnen da entgegen. Das neu aufkeimende und breite Interesse erfreut Jung und Alt und vor allem auch Frauen. Sie nehmen unverzagt ihre Beine in die Hand und kurven ganz selbstverständlich und zugleich ohne Begleitung auf ihrem Rad.
Komplexe Bedürfnisse schaffen auch indirekt neue Anforderungen an das Material, das insbesondere in Pandemiezeiten eine boomende Nachfrage erlebt. Bikefitting unterstützt diesen Prozess, indem Hersteller auf die Erfahrungen aus diesem Bereich Rücksicht nehmen und profitieren. Ein Radsportnovize erspart sich somit viel Zeit mit Tüfteln, und ein Veteran kann sich trotz seiner etablierten Sitzposition bei Beschwerden beraten lassen.
RADFAHREN ALS LEBENSEINSTELLUNG
Dieses Buch richtet sich aber nicht nur an jene, die das Privileg genießen, das sie direkt nach dem Aufstehen in die Bikeshorts schlüpfen lässt, sondern auch an uns Normalsterbliche, die kurz vor dem Frühstück von einem längeren Arbeitsweg oder an freien Tagen vom liebsten Hobby oder auch Wettkampf in den Sattel gerufen werden.
Schon beim Hineinschlüpfen in die Radhose wirkt die Vorfreude. Ob es beim Rennradler oder Graveler die bevorstehende große Runde, beim Mountainbiker der Hausberg oder beim Enduro-Junkie der Trailfun ist, jeder findet mit dem Radfahren seine Herausforderungen, einzig die Triathleten haben immer noch mindestens eine der zwei anderen Sportdisziplinen im Hinterkopf. Verschwitzt, aber gesund am Ziel angekommen, dominieren allerlei sauerstoffgebundene Glückshormone die Erschöpfung. Diese kann mittels schnell verfügbarer Energie recht elegant gedämpft werden. Es bleibt die Erinnerung an Tausende Tritte und noch viel mehr Emotionen, an Kurven, Anstiege, Abfahrten und automatisierte wie meist kontrollierte Brems- und Lenkmanöver. Umfallen an der Ampel, weil wir vergessen haben, uns aus den Klickpedalen zu befreien, ist längst Anekdote. Rampen, die im Wiegetritt weggedrückt, Schlaglöcher, die elegant umfahren, und überraschende Hindernisse, die per Handzeichen nach hinten kommuniziert werden, gehören zum Radfahreralltag dazu. Bleiben nach dem Raderlebnis, abgesehen von kleinen bis großen Ermüdungserscheinungen, keine misslichen Empfindungen zurück, können Sie sich selbst gratulieren.
Aber leider treten, unabhängig vom Trainingszustand, Fahrrad oder Alter, mitunter Beschwerden begleitend mit in die Pedale, die neben anderen Ursachen vor allem die Sitzhaltung betreffen. Der Körper reagiert auf den Ergonomie-Ausfall mit nachhaltigem Unwohlsein, ein Besuch beim Bikefitter kann da helfen. Hinter diesem Anglizismus für einen Spezialisten zum Thema Fahrradsitzposition kann sich auch eine Fachfrau verbergen. Er oder sie bestimmt die Position am Fahrrad auf dem stationären Rollentrainer dynamisch, also während der Fahrt.
EXKURS: WISSENSWERTES RUND UMS RADFAHREN
Die ersten Zweiradschritte im Gleichgewicht macht die Menschheit auf der Draisine, der Laufmaschine. Sie stabilisiert sich anhand der sich drehenden Räder und wird im Jahr ohne Sommer erfunden, als 1816 der überaktive Vulkan Tambora auf Indonesien weltweit den Himmel verdunkelt. Dies hat Ernteausfälle zur Folge, was sich auch auf Verfügbarkeit und Preis des Pferdefutters auswirkt. Es muss letzten Endes eine Lösung für die Mobilität her, die sich im mechanischen Pferd anbietet. Die nächste Entwicklungsstufe zündet mit dem Veloziped. Dabei bedienen die Füße am Vorderrad befestigte Tretkurbeln, wodurch Lenkbewegungen allerdings nur eingeschränkt möglich sind.
Wir kennen diese Prinzipien noch heute, und zwar bei Kindermodellen. Ersteres findet sich heutzutage am Laufrad wieder, Letzteres beim Dreirad. Gerade mit der »Laufraddraisine« lernt der Nachwuchs, die Balance zu halten, und die erlernte intrinsische Stabilität wird ganz selbstverständlich vom Laufrad auf das Fahrrad übernommen. Stützräder, die das motorische Lernen verhindern oder die Antizipation ins Leere laufen lassen, braucht es nicht. Der richtige Bewegungsablauf wird schon beim ersten Fahren abgespeichert.
Das Gleichgewicht wird intuitiv mit feinen, permanent stattfindenden Lenkbewegungen gehalten und ein Leben lang nicht mehr vergessen. Der Kipptendenz stellen sich subtile Lenkbewegungen mitsamt steter Körpergewichtsverlagerung in den Weg. Diese verborgene Schlängelbewegung tritt beispielsweise beim Zeitfahren augenscheinlich zutage, wo sich trotz geschwindigkeitsbedingter gesteigerter Fahrstabilität die kurvige Bahn des Vorderrades feststellen lässt. Unterschiedliche Geschwindigkeiten zeigen auch ihre kuriose Wirkung auf das Lenkverhalten.
Des verblüffenden fahrdynamischen Phänomens, des Spiels mit dem Ungleichgewicht, kann man sich in Kurven bedienen: Statt aktiv in die Kurve einzubiegen, wird der Lenker an der Seite belastet, in die gesteuert werden will, und das Gefährt neigt sich wie von Geisterhand in die gewünschte Richtung.
FREIHEIT AUF RÄDERN
Es gibt wahrscheinlich kaum einen Gegenstand, bei dem Lust und Last so nah beieinanderliegen wie beim Fahrrad. Als umweltschonendes Transportmittel ist es über jede Kritik erhaben, zusätzlich wird es als Sportgerät im TV ins beste Licht gerückt. Wir fiebern bei den Rennen mit oder treten selbst in die Pedale, sodass es die Körpertemperatur auch so in die Höhe treibt. Allerdings geraten wir beim finanziellen Aufwand, der teilweise abverlangt wird, auch so ins Schwitzen, gerade die Ausgaben für das übrige Equipment werden oft unterschätzt. Ein schützender Helm, die obligatorischen Radschuhe und die Radhose sorgen für ein perfektes sportliches Erlebnis sowie ein leeres Bankkonto. Weil das Fahrrad inklusive Ausrüstung immer öfter vernünftige Budgets sprengt, muss das Gesamtoutfit im Raddress individuelle Ansprüche mehr als erfüllen.
Steht das Fahrrad gewissermaßen nackt in der Auslage, weckt es Emotionen und Bedürfnisse. Vergleiche mit dem Profisport oder gängigen Empfehlungen vonseiten der Industrie machen orientierungslos. Eine moderne, aggressive Optik will auch am eigenen Rad gefallen, ob der tiefstehende Lenker nun passt oder nicht. Das glanzvolle Erscheinungsbild des Rennrads vom aktuellen Tour-Sieger präsentiert sich zwar sportiv und protzt vor Strahlkraft, viel entscheidender ist aber das Gespann aus Fahrer und Rad zusammen – die Kombination sollte eigentlich cool daherkommen.
So wird aus dem geplanten Radkauf aus der Formel 1 der Radsportwelt nach nochmaliger, vernünftiger Entscheidung eventuell gar ein anderer Radtyp, so fällt beispielsweise beim Mountainbike die Differenz im Raddesign zwischen Leistungs- und Freizeitsport nicht so eklatant aus.
Egal, in welcher Preisklasse sich Ihr Sportgerät ansiedelt, es hat jedenfalls klaglos zu funktionieren. Technische Einschränkungen sind inakzeptabel, jedoch bleibt elektronisch schalten ein Luxus, und Felgenbremsen verzögern genauso. Damit der Fahrradkauf nicht zum Fehlkauf wird, lohnt es sich, auf Entdeckungstour zu gehen und die Möglichkeiten auszuschöpfen.
Sind die Ziele definiert, ist der Rest meist ein Kinderspiel, einen Kompromiss darf es nur im Notfall geben.
ANSICHTSSACHE
Die Freiheit auf zwei Rädern war noch nie so ein Bedürfnis wie seit Ausbruch der aktuellen Pandemie. Raus aus den vier Wänden und hinein ins Vergnügen, so richtig befreiend wird das Schmuckstück erst, wenn man darauf sitzt. Gleichzeitig erlebt man manches Mal auch Einschränkungen, die einem den Spaß am Radfahren ordentlich verhageln können.
Hängt der Fahrspaß von Handling und verwendetem Material ab, so bedarf es einer passenden Einstellung der Kontaktpunkte, was sich beim Bikefitting justieren lässt. Auch die Anforderungen für das Haupteinsatzgebiet werden unter die Lupe genommen, um die maximale Schnittmenge aus Freude, Komfort und Leistung zu erzielen.
Die Frage nach den eigenen Bedürfnissen muss aber vorab geklärt sein. Radfahren ist gewiss mehr, als einfach nur in die Pedale zu treten. Schnelle Abfahrten, scharfe Kurven, abrupte Bremsmanöver, Überleben in der Gruppe, Fahrt- und Gegenwind, ordentlich Höhenmeter und hohe Geschwindigkeiten verlangen nach vorausschauender Planung.