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|65|4 Kurze Geschichte Judäas in hellenistisch-römischer Zeit
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Im folgenden kurzen Abriss der Geschichte Judäas vom dritten Jahrhundert vor bis zum zweiten Jahrhundert nach Christus werden wir uns auf Personen und Ereignisse konzentrieren, deren mögliche Erwähnung in den Qumranrollen in der Forschung diskutiert wird (s.u. Geschichte). Auch wenn einige der biblischen und die ältesten nicht-biblischen Qumrantexte (nicht -rollen!) noch aus der Zeit des Ersten Tempels, aus dem Exil oder aus der Perserzeit stammen, beginnt doch die für die Qumranrollen relevante Periode erst mit |66|der hellenistischen Epoche. Die Eroberung des persischen Imperiums durch Alexander der GroßeAlexander den Großen bringt nicht nur eine politische, sondern auch eine kulturelle Revolution mit sich. Zwar lässt sich schon vorher griechischer Einfluss festmachen (z.B. im Handel), doch führt erst die Gründung griechisch-sprachiger Stadtkolonien, welche unter griechischem Bürgerrecht organisiert sind, und die Ansiedlung griechisch-sprachiger Familien im vorher primär aramäisch- und hebräisch-sprachigen Judäa, Samaria, Galiläa, Ägypten, Transjordanien und Syrien zu fundamentalen Umwälzungen.
Alexanders Großreich zerfällt mit seinem Tode 323 v. Chr. und wird unter seinen Generälen, den Diadochen, aufgeteilt, die zwar mit griechischer Kultur und Siedlungspolitik fortfahren, aber auch sogleich damit beginnen, um Pfründen und ihre Vormachtstellung zu kämpfen. Judäa liegt als Pufferstaat zwischen zwei Großmächten, dem ptolemäischen Ägypten und dem seleukidischen Syrien. Zunächst gerät Judäa unter die Herrschaft der in Ägypten regierenden (griechischen) Dynastie der PtolemäerPtolemäer. Die Verbindungen von Judäa und Ägypten sind noch enger als zuvor. Die Stadt Alexandrien wird schließlich zur größten Stadt des Mittelmeerraums und hat bald mehr jüdische Einwohner als die bevölkerungsreichsten Städte Judäas. Anfang des dritten Jahrhunderts wird hier damit begonnen, die Tora aus dem Hebräischen ins Griechische zu übersetzen (s.u. S. 177), in den darauffolgenden Jahrhunderten auch die anderen Bücher. Als einzige umfangreiche historische Quelle für Juden und Judäer dieser Zeit gilt Josephus. Da Josephus jedoch wesentlich weniger über das dritte Jahrhundert berichtet als über das zweite, sind unsere Kenntnisse über die ptolemäische Zeit sehr lückenhaft. Man sollte sich also nicht von der Quellenlage irreführen lassen – es ist durchaus möglich, dass im dritten Jahrhundert v. Chr. ebenso bedeutende Ereignisse für die jüdische Geschichte geschehen sind wie im zweiten. Festhalten lässt sich, dass in Judäa der Hohepriester weiterhin der wichtigste Würdenträger ist.
Immer wieder befehden sich die Ptolemäer mit den in Antiochien über Syrien herrschenden griechisch-sprachigen SeleukidenSeleukiden um das Grenzgebiet Judäa. In der Schlacht von Panium 200 v. Chr. gelingt es dem seleukidischen König Antiochos III. dem Großen (241–187 v. Chr.) endgültig, Judäa, Samaria und Galiläa zu erobern. Die Eliten in Jerusalem müssen ihre Allianzen umbauen und sich nach Norden statt nach Süden orientieren. In seiner Regierungszeit beginnen die Römer sich für den Orient zunächst diplomatisch, dann auch militärisch zu interessieren und schließlich neben den seit Urzeiten die Geschicke der Pufferzone Kanaan bestimmenden Reichen Mesopotamien, Ägypten und Syrien als vierte Großmacht zu fungieren.
|67|175 v. Chr. putscht sich Antiochos IV. EpiphanesAntiochos IV. Epiphanes in Syrien an die Macht und greift stärker in die judäische Politik ein. Eine jüdische Partei, die hellenistische Reformen in Jerusalem vorantreibt, wird von ihm unterstützt. Er setzt den amtierenden Hohepriester Onias III. ab und ernennt zunächst Jason (174–171?), dann Menelaos (171–162) und schließlich Alkimos (162–159), drei stärker hellenisierende Hohepriester. Die beiden letzteren gehörten nicht einmal zur einzig legitimen Priesterfamilie, den Zadokiten. Auch der Wille, den weiter bestehenden ptolemäischen Einfluss zu begrenzen, wird eine Rolle gespielt haben. Als im Frühjahr 168 Antiochos bei seinem Vorhaben, Ägypten zu erobern, scheitert, versuchen der inzwischen abgesetzte Jason und eine unbenannte andere jüdische Gruppe simultan, die Macht in Jerusalem an sich zu reißen (Tcherikover; D. Schwartz, 254f zu 2. Makk 5,7). Auf seinem Rückzug aus Ägypten durchquert Antiochos Judäa, läßt den Aufstand blutig niederschlagen und raubt den Tempelschatz (2. Makk. 5,11–23; Josephus, Ant. Iud. 12,246f). Das Land kommt nicht zur Ruhe, und ein Jahr später verbietet Antiochos sogar die Ausübung des jüdischen Kultus (Schabbat und Beschneidung) und entweiht den Jerusalemer Tempel (1. Makk. 1,41–67; 2. Makk. 6,1–9; Diodoros 34–35,1.3–4, etc.). Da flammt der Aufstand erst richtig auf.
Der Anführer des Aufstandes, Judas „Makkabäus“Judas „Makkabäus“ aus der Priesterfamilie Jehojariv (1.Chr. 24,7) schafft es, sich gegen die seleukidischen Truppen zu behaupten, erobert nach drei Jahren Jerusalem (mit Ausnahme der Stadtfestung Akra), reinigt den Tempel und weiht ihn am 25. Kislev 164 v. Chr. wieder ein. Dieses Ereignis wird von Juden heute noch am Chanukkafest gefeiert. Spätere seleukidische Versuche, wieder Herr der Situation in Judäa zu werden, scheitern immer wieder am hartnäckigen Widerstand judäischer Gruppen unter und um Judas, aber auch an innersyrischen Machtkämpfen zwischen zwei Familienteilen, deren jeweilige Vertreter die Herrschaft beanspruchen.
Als Judas 160 v. Chr. in einer Schlacht fällt, folgt ihm sein Bruder JonathanJonathan. Er schafft es, sich so mit den seleukidischen Herrschern und ihren jeweiligen Gegenherrschern zu arrangieren, dass sie ihn 152 v. Chr. zum Hohepriester, später auch zum General und Gouverneur (2. Makk 10) ernennen. Es ist nicht klar, ob es in den sieben Jahren zwischen dem Tod des Alkimos und Jonathans Ernennung (159–152) („intersacerdotium“„intersacerdotium“) (Ant. Iud. 20,237) einen Hohepriester gab. Nach einer Theorie soll der in einigen Qumrantexten als Gründerfigur genannte „Lehrer der Gerechtigkeit“ in diesen Jahren das Hohepriesteramt ausgeübt haben, bis er von Jonathan zur Seite gedrängt wurde (Stegemann). Diese Theorie hat nach der Veröffentlichung von 4QMMT ein wenig an Unterstützung verloren. |68|4QMMT, das von vielen als Dokument aus der Anfangszeit angesehen wird, scheint positive Beziehungen zwischen Jachad und den Jerusalemer Machthabern vorauszusetzen und erwähnt halakhische Probleme, nicht dynastische Streitigkeiten als Hauptpunkte der Auseinandersetzung (s.u. S. 390f). Für Jonathans Regierungszeit erwähnt Josephus das erste Mal die Parteien der Pharisäer, Sadduzäer und Essener (Ant. Iud. 13,171–173). Erstere werden als so einflussreich beschrieben, dass sie schon früher entstanden sein müssen.
Als Jonathan im Jahre 143 v. Chr. durch Hinterlist gefangen genommen und umgebracht wird (2. Makk 12–13), wird sein älterer Bruder SimonSimon der nächste Hohepriester und Anführer (Ant. Iud. 13,201). Auch dieser schlägt aus den Dynastiestreitigkeiten in Syrien Kapital, indem es ihm gelingt, nicht nur sein Hohepriesteramt vom Seleukiden Demetrios bestätigt zu bekommen, sondern auch Judäa von der Steuerpflicht zu lösen, eigenes Münzrecht zu erhalten und die Akra in Jerusalem zu erobern, so dass Judäa quasi unabhängig wird (1. Makk. 13–15). Simon ist der wahre Begründer der hasmonäischen Dynastie.
134 v. Chr. wird Simon bei einem Bankett durch seinen Schwiegersohn Ptolemäos hinterlistig getötet. Ihm folgt sein Sohn Johannes Hyrkanos I.Johannes Hyrkanos I. (hebr. jochanan horqanos), der Judäa 30 Jahre lang als Hohepriester beherrschen sollte. Er nutzt die innersyrischen Fehden, um gegen Ende seiner Herrschaft sein Reich durch Kriege nach Norden (Samaria und Skythopolis = Bet Shean), Osten (Madaba) und Süden (Idumäa) zu erweitern. Die unbeschnittenen Bewohner werden zwangsjudaisiert (Ant. Iud. 13,255–258). Im Laufe seiner Herrschaft ist Johannes Hyrkanos I. erst mit den Pharisäern, dann mit den Sadduzäern alliiert. Anlass für diesen Umschwung soll angeblich gewesen sein, dass ein Pharisäer ihn aufforderte, vom Hohepriesteramt zurückzutreten. Das Hohepriesteramt sei mit politischer Herrschaft unvereinbar und seine Mutter sei Kriegsgefangene gewesen (Ant. Iud. 13,288–298; mMSh 5,15; vgl. bQid 66a).
Johannes Hyrkanos’ Sohn Aristobulos I.Aristobulos I. (104–103 v. Chr.), der erste Hasmonäer, der sich König nennt, erobert Galiläa und Gebiete der Ituräer im Libanon, stirbt aber schon nach sehr kurzer Zeit an einer schmerzhaften Krankheit. Sein Sohn Alexander JannaiAlexander Jannai (hebr. Name Jonathan; 103–76 v. Chr.) herrscht danach für 27 Jahre als König und Hohepriester. Auch Jannai erweitert das Territorium durch Eroberungszüge gegen freie Städte im Kernland (z.B. Ptolemais = Akko; Gaza), im Ostjordanland und im Golan (Gadara, Pella, Gerasa) und macht die Moabiter und Gileaditer im Ostjordanland tributpflichtig. Im Jahre 88 kreuzigte er 800 Pharisäer |69|(Ant. Iud. 13,380). Übertriebener Alkoholgenuss scheint zu seinem Tod beigetragen zu haben.
Nun wird seine Frau Salome AlexandraSalome Alexandra (hebr. Schlomzion Hamalka, 76–67 v. Chr.) Königin. Sie lässt einen Sohn Johannes Hyrkanos (II) zum Hohepriester ernennen und alliiert sich wieder mit den Pharisäern. Währenddessen wird das seleukidische Syrien erst von den aufstrebenden Armeniern, dann von Rom erobert und als unabhängiger Machtfaktor völlig ausgeschaltet. So hat das hasmonäische Reich eine relativ ruhige Blütephase.
Nach Salomes Tod beenden Erbfolgestreitigkeiten zwischen ihren beiden Söhnen, dem Hohepriester Johannes Hyrkanos II. und Aristobulos II.Johannes Hyrkanos II. und Aristobulos II., die Erfolgsgeschichte der hasmonäischen Dynastie. Profiteure sind dritte: die aufstrebende Familie des idumäischen Gouverneurs Antipater, dem Vater von Herodes dem Großen, und die Römer unter ihrem Feldherrn PompejusPompejus (106–48 v. Chr.), die mit wechselnden Allianzen die beiden Brüder immer weiter schwächen, bis Pompejus im Jahre 63 v. Chr.63 v. Chr. nach Syrien auch das hasmonäische Königreich und Jerusalem fast kampflos erobert. Einzige Ausnahme ist der Tempelberg, der erst nach dreimonatiger Belagerung genommen wird; gefolgt von Pompejus’ legendärer Besichtigung des sonst nur dem Hohepriester am Jom Kippur reservierten Allerheiligsten. Die großen reichen hellenistischen Städte werden direkt dem Gouverneur von Syrien unterstellt. Hyrkanos II. erhält als römischer Vasall nur das Hohepriesteramt zurück. Die kurze Zeit der judäischen Unabhängigkeit, nicht einmal ein Jahrhundert, ist vorbei.
Unruhen und Bruderkriege innerhalb der hasmonäischen Familie gehen noch etwas weiter. 54 v. Chr. plündert Crassus, der Prokonsul für Syrien, den Jerusalemer Tempelschatz. 53–51 v. Chr. wird ein Aufstand unter einem gewissen Pitholaus niedergeschlagen. Dann erobern die PartherParther, die seit dem Zusammenbruch der Seleukiden das große mit Rom rivalisierende Reich im heutigen Irak-Iran beherrschen, im Jahre 40 v. Chr. für eine kurze Zeit Syrien, Judäa und das Küstenland. Mit ihnen verbündet sich Antigonos, der Sohn von Aristobulos II. Er lässt Hyrkanos gefangen nehmen und ihm die Ohren abschneiden, um ihn für das Hohepriesteramt untauglich zu machen. Die Parther ernennen Antigonos (hebr. Matitjahu) zum König und Hohepriester, während in der gleichen Zeit Herodes, der Sohn eines idumäischen Administrators in Judäa, im Senat zum (Gegen-)König ausgerufen wird.
Mit römischer Hilfe schafft es Herodes 37 v. Chr.37 v. Chr., Antigonos zu bezwingen und umzubringen. Die herodianische Periode beginnt. HerodesHerodes (ca. 74 – 4 v. Chr.4 v. Chr.) herrscht mit Unterstützung der Römer und dank einer gnadenlosen Ausmerzung potentieller Konkurrenten |70|innerhalb seiner Familie über 30 Jahre lang. Es gelingt ihm, mit Rom bei allen Machtwechseln alliiert zu bleiben. Relativ zu Beginn seiner Regierung findet 31 v. Chr. ein Erdbeben statt, das auch in Qumran wichtige Spuren hinterlässt. Seine Regierungszeit zeichnet sich durch eine ausgiebige Baupolitik aus. Nicht nur der Jerusalemer Tempel, sondern viele Festungen (Herodium, Hyrkania, Masada) und ganze Städte werden stark ausgebaut, neubefestigt (Jerusalem, Samaria) oder überhaupt erst gegründet (Cäsarea Maritima). Einerseits schafft er es im Gegensatz zu Alexander Jannai, selbst bei so schwierigen halakhischen Angelegenheiten wie dem Tempelumbau und trotz seiner wegen der idumäisch-nabatäischen Ahnen umstrittenen jüdischen Identität, direkten Konfrontationen mit jüdischen Religionsparteien aus dem Weg zu gehen. Andererseits ist er ein starker Verfechter römischer und hellenistischer Kultur und Politik.
Nach Herodes’ Tod gab es zunächst eine kurze Phase großer Unruhen in Jerusalem, Galiläa und Peräa, deren Rom nur mit der eisernen Hand von Publius Quintilius Varus, damals Gouverneur Syriens, Herr wird. (Dies ist der gleiche Varus, der später in der sogenannten Hermannsschlacht in Germanien mit seinen drei Legionen vernichtend geschlagen werden sollte). Dann wird das Land zwischen Herodes’ drei Söhnen als TetrarchenTetrarchen aufgeteilt. (Herodes) Archelaos (28 v. Chr. – 18 n. Chr.) erhält Judäa, Samaria und Idumäa, also das Kernland; (Herodes) Antipas (geb. vor 20 v. Chr. – gest. nach 39 n. Chr.) bekommt Galiläa und Peräa, während Philippos nur Iturien, den Golan und die Trachonitis erlangt, ein Gebiet, das in etwa dem Golan, Südsyrien und Nordjordanien entspricht. Dazwischen liegen die unabhängigen Städte der Dekapolis. Keiner trägt den Titel König.
Wer in Jerusalem herrscht, bestimmt den Hohepriester. Doch schon im Jahre 6 n. Chr. wird Archelaos abgesetzt und nach Gallien verbannt. Seine Ländereien werden zur römischen Provinz Judäa mit einem PräfektPräfekten in Cäsarea Maritima an der Spitze (darunter Pontius Pilatus 26–36 n. Chr.). Herodes Antipas – der Herodes der lukanischen Passionsgeschichte in den Evangelien, der auch Johannes den Täufer hinrichten ließ – baut die Hauptstadt Galiläas, Sepphoris (hebr. Zippori) stark aus und gründet Tiberias am See Genezareth zu Ehren des Kaisers Tiberius. Auch er endet – bei Caligula in Ungnade gefallen – im gallischen Exil. Einzig Philippos bleibt bis zu seinem Tode im Jahr 34 an der Macht.
Mit der direkten Fremdherrschaft durch Präfekte sind die verschiedenen Religionsparteien und -zirkel gezwungen, sich mit vorgesetzten Nichtjuden auseinanderzusetzen, die sogar den wichtigsten religiösen Funktionär, den Hohepriester, ernennen dürfen. |71|Auch ein anderes wichtiges religiöses Vorrecht, die Aufbewahrung der Kleider des Hohepriesters, ist dreißig Jahre lang (6–36) in römischer Hand.
Mit der Machtergreifung von Caligula im Jahre 37 beerbt (Herodes) Agrippa IAgrippa I (10 v. Chr. – 44 n. Chr.), ein Enkel Herodes’ des Großen, den Tetrarchen Philippos, erhält die Gebiete des Antipas und die bisherige Präfektur und darf den Königstitel tragen (Ant. Iud. 18,143–19,359). Im Winter 39–40 kommt es beinahe zu einer Katastrophe. Auf die Zerstörung eines Kaiseraltars in Jamnia durch Juden reagiert der Kaiser Caligula mit dem Befehl, seine Statue im Jerusalemer Tempel aufzustellen. Nur durch die kluge Verzögerungstaktik des syrischen Gouverneurs Petronius, der die Brisanz des Befehls versteht, und durch die Ermordung des Kaisers in Rom wird in Judäa ein Aufstand vermieden. Sein Nachfolger Claudius schließt auch Judäa und Samaria in Agrippas Königreich ein. Da Agrippa kurz zuvor schon die Ländereien des in Ungnade gefallenen Antipas geerbt hat, ist das Reich Herodes’ des Großen fast wieder hergestellt. Die Pharisäer stehen seiner Regierung nahe und er wird als äußerst observant beschrieben. Doch währt dies nur drei Jahre.
Mit Agrippas plötzlichem Tod im Jahre 44 (Apg. 12,18–23) macht Kaiser Claudius das gesamte Gebiet zu einer römischen Provinz unter Prokuratoren, die wenig Feingefühl für die Besonderheiten jüdischer Identität, stattdessen aber Tendenzen zur Selbstbereicherung an den Tag legen. Immer wieder versetzen nun messianische und sozialrevolutionäre Bewegungen und kriminelle Bandenmessianische und sozialrevolutionäre Bewegungen und kriminelle Banden das Land in Unruhe: Theudas (Ant. Iud. 20,97–99; Apg. 5,36), Jakobus und Simon (Ant. Iud. 20,102; Apg. 5,37), der „ägyptische“ Prophet (BJ 2,261–263; Ant. Iud. 20,169–172; Apg. 21,38), Zeloten und sicarii („Dolchträger“ von lat. sica „Dolch“). Josephus beschreibt den Zustand als stetig zunehmende Anarchie.
Im Jahre 66 setzen sich antirömische Kräfte zunächst im Tempel durch, dann in Jerusalem und schließlich in ganz Judäa und Galiläa, und der größte Aufstand im römischen Imperium nimmt seinen tragischen Lauf. Galiläa fällt schon 67 in die Hände des römischen Oberbefehlshabers Vespasian, Peräa nur wenig später. Einige Städte, wie Sepphoris und Tiberias, öffnen dabei ihre Tore und bleiben verschont. Der spätere Historiker Josephus (gest. um 100 n. Chr.), zunächst General der Aufständischen in Galiläa, wird von den Römern gefangen genommen. Seiner Autorentätigkeit in den nächsten Jahrzehnten haben wir die großen Hauptquellen für diese Zeit zu verdanken (s.u., S. 75–85).
Im Juni 68 erreichen Vespasians Truppen Jericho und somit auch Qumran (BJ 4,450–451). Im darauffolgenden Jahr wird Vespasian |72|zum Kaiser ausgerufen. Ihm folgt als neuer Oberbefehlshaber sein Sohn Titus, der im Tempelzerstörung (Sommer 70 n. Chr.)Sommer 70 nach langer Belagerung Jerusalem erobert und den Tempel zerstört. Letzte Bastionen, die Festungen Herodium und Machaerus, halten die Aufständischen noch länger, Masada gar bis 73/74.
Mit der Zerstörung des Tempels verliert das antike Judentum sein geographisches, architektonisches, kulturelles und kultisches Zentrum. Gleichzeitig gewinnt es an Manövrierfähigkeit, da Extremisten nicht mehr einfach die Kontrolle dieses Zentrums an sich reißen können. Schon in den letzten beiden Jahrhunderten zuvor hatten Synagogenliturgie und Torastudium begonnen, für einige Juden neue Identifikationspunkte zu werden. Nolens volens galt dies nun für alle.
Zwei weitere jüdische Aufstände datieren ins zweite Jahrhundert n. Chr. Diasporaaufstand 115–117Zwischen 115 und 117 erheben sich aus unbekannten Gründen Juden der ägyptischen, libyschen und zypriotischen Diaspora gegen Kaiser Trajan. Ihre Vernichtung bedeutet einen schweren Schlag für das hellenistische Judentum vor allem in Alexandrien, dem New York der Antike, aber lange nicht sein Ende. Vor allem in Griechenland und in Kleinasien haben Griechisch sprechende Gemeinden weiter existiert, ihre Texte sind aber leider nicht weiter überliefert worden.
Nur fünfzehn Jahre später revoltieren wieder Juden in Judäa, vielleicht weil Hadrian die Beschneidung verboten hat oder weil er auf den Ruinen Jerusalems eine neue heidnische Stadt namens Aelia Capitolina zu errichten befohlen hat. Der Anführer dieses zweiter jüdischer Aufstand in Judäa (132–135)zweiten jüdischen Aufstandes in Judäa (132–135) ist ein gewisser Bar KosbaBar Kosba (oft Bar Kochba genannt). Er lässt sich zum eschatologischen Prinzen ausrufen und erobert, was von Jerusalem noch steht. Ein zweiter Historiker wie Josephus fehlt uns für diese Zeit, doch scheint der Aufstand auf entsetzlich blutige Weise niedergeschlagen worden zu sein. Jerusalem zu betreten, wird Juden verboten. Widerstandsnester in Wüstenhöhlen werden ausgehungert. Einige von diesen Fluchthöhlen werden in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts etwa zur gleichen Zeit wie Qumran entdeckt und ausgegraben; sie enthalten Briefe von Bar Kosba. Jüdisches Kernland wird nun Galiläa, wo im zweiten und dritten Jahrhundert die Tannaiten beginnen, die mündlichen Werke der rabbinischen Literatur zu redigieren und eine völlig neue Periode der jüdischen Geschichte einläuten.