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Kapitel 2 - Aufbruch

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Der Sonnenaufgang war nur dadurch zu erkennen, dass das unheilvolle Schwarz des Himmels in ein tristes Dunkelgrau überging. Schwere Nebelschwaden hingen wie eine stickige Decke über dem Land und verdeckten seine Brandwunden. Per war heute früh aufgestanden. Nicht, dass ihm das schwer gefallen wäre, denn er war die ganze Nacht nicht zur Ruhe gekommen. Zu viele Gedanken waren wie Aasgeier in seinem Kopf umhergekreist. Nun schaute er zu, wie sich die ihm zugestandene Gruppe von vier Soldaten und drei jungen Magiern im Hof der Burg versammelten. Die Stallburschen hatten bereits die Pferde gesattelt und gezäumt. Jedem der Reisenden war eines zugeteilt worden, das sie jetzt mit ihrem Gepäck beluden.

Ihre Gesichter waren angespannt, denn jeder wusste, dass in Zeiten wie diesen eine Gruppe von insgesamt acht Menschen ein all zu leichtes Ziel für den Gegner war. Aber der hohe Rat hatte großzügiger Weise drei seiner besten Lehrlinge bereitgestellt, um die Gruppe durch einen Bannkreis unsichtbar zu machen. Wie gut ihnen das gelingen würde, war fraglich, denn Dämonen ließen sich so leicht nicht täuschen. Aber mehr als die Hoffnung blieb ihnen nicht.

Per hatte nicht viel erwartet. Dafür allerdings war das Entgegenkommen des hohen Rates doch überraschend freigebig ausgefallen. Sie hatten ihm sogar den verlangten Weltenschlüssel überlassen – einen Ring, von denen es nur drei Exemplare gab. Die Schriftrolle, die sie anfangs noch für eine Fälschung hielten, hatte sie allem Anschein nach doch überzeugen können. Die Schriftrolle und wohl mehr noch das Wissen um Zmaydraks wahren Namen.

Ja, die Prophezeiung versprach Erfolg, aber ob Per je so weit kommen würde, sie wirklich zu erfüllen, stand in den Sternen. Und wieviel Seelen wirklich daran glaubten, sah er in den Gesichtern derjenigen, die ihn begleiteten, ebenso wie in denen, der sich Verabschiedenden. Würde er scheitern, wäre das Ende der Menschheit nah und unausweichlich. Diese Tatsache las er in ihrer aller Augen, in denen die Hoffnung beinahe verloren schien. Diese Tatsache las er selbst in seinem eigenen Herzen, dem diese Reise so unendlich schwer fiel.

Bald war es soweit und der kleine Trupp setzte sich in Bewegung. Die Torflügel schwangen schwerfällig auf und die Zugbrücke senkte sich rasselnd über den Burggraben, sodass bald der Weg in die trostlose Landschaft offen stand. Der Nebel dämpfte das Schallen der Hufe, als die Pferde nervös über die hölzerne Brücke tänzelten, und die Reiter hatten alle Mühe, ihre Tiere von ihrer Marschrichtung zu überzeugen. Unnachgiebig trieben sie sie an, bis sie die Brücke überquert und den Weg Richtung Wald verlassen hatten. Dann endlich hatten die Pferde ihren Widerstand aufgegeben.

Quer Feld ein war die beste Route, so hatte Per entschieden, denn die Wege waren nicht mehr sicher. Es wimmelte überall von den Spähern des Tyrannen; sichtbare, wie beispielsweise abtrünnige Menschen, die sich Zmaydrak zugewandt hatten, und mit denen sie noch fertig werden könnten, sowie unsichtbare, die Per weit mehr fürchtete, denn sie kamen nicht von dieser Welt und nährten sich von den Seelen ihrer Opfer. Daher war Per überaus erleichtert, als sie in das braune Dickicht des Waldes eintauchen konnten, auch wenn es das Vorankommen nicht gerade beschleunigte. Vier Tagesmärsche hatte Per sich ausgerechnet und vor jeder Nacht graute es ihm. Denn es gab keine sicheren Höfe mehr, wo sie um ein Nachtlager hätten bitten können. Sie würden gezwungen sein, unter freiem Himmel zu schlafen, all den Gefahren der Nacht ausgeliefert. Selbst auf die wärmende Zuversicht eines Feuers würden sie verzichten müssen. Es wäre zu riskant und könnte sie verraten. Allein der Glaube an die Prophezeiung schenkte Per ein wenig Mut. Allein dieser Glaube sagte ihm, dass die Menschheit überleben würde, und das tröstete ihn.

Für die erste Nacht fanden sie einen kleinen Felsvorsprung, unter dem sie ihr Lager aufschlugen. Sie fütterten die Pferde und genehmigten sich selbst eine kleine Ration Trockenfleisch und Brot, bevor sie sich unter ihre Decken verkrochen und versuchten, ein wenig Schlaf zu finden. Per hatte die erste Wache übernommen und während er anfangs noch angestrengt in die hereinbrechende Nacht lauschte und mit zusammengekniffenen Augen nach bedrohlichen Schatten suchte, versank er bald in Erinnerungen an eine Zeit, in der er glücklich gewesen war, auch wenn sich dieses Glück am Ende bloß als Trugbild herausstellte.

„Darf ich mich dazu setzen?“, wurde Per wieder aus seinen Gedanken gerissen. Überrascht blickte er auf und erkannte im Schein des fahlen Lichts der beiden Monde Loreena. Sie war die einzige Frau unter den Magiern und eine Besonderheit schlechthin, denn eigentlich war es Frauen ein unausgesprochenes Verbot, diese Kunst auszuüben. Aber die Zeiten hatten sich geändert und die Regeln gelockert. Jeder, der Begabung zeigte, war mittlerweile gut genug. Den Luxus, noch nach dem Geschlecht zu fragen, besaßen die Menschen schon lange nicht mehr.

„Bitte“, antwortete er wortkarg, worauf sie sich ihm schräg gegenüber niederließ. Sie warf ihm ein scheues Lächeln zu, das er pflichtbewusst erwiderte.

„Ich kann nicht einschlafen...“, rechtfertigte sie sich ungefragt und überließ Per die Entscheidung, darauf einzugehen oder nicht. Per betrachtete Loreena daraufhin etwas genauer. Wie alt mochte sie sein? Sie erschien ihm noch so jung.

„Ich weiß, dies ist eigentlich kein Unterfangen für eine so junge Dame wie Euch... Wie haben Eure Eltern darauf reagiert?“

Loreena schwieg für einen betretenen Moment. Dann schaute sie hinauf in den Himmel, durch dessen schwarzgraue Wolkendecke die verzerrten Konturen der beiden Vollmonde schimmerten.

„Ich habe keine Eltern mehr... Die Drachen haben sie getötet.“

Nun schwieg Per. Anders konnte er seine Betroffenheit nicht ausdrücken, weckte sie doch auch die eigenen schmerzlichen Erinnerungen.

„Habt Ihr Kinder?“, fragte Loreena plötzlich in diese Stille hinein und Per zuckte zusammen. Nicht, weil ihre Frage so unvermittelt kam, nein, vielmehr, weil sie eine alte Wunde aufriss, die sich in den letzten Monaten bereits neu entzündet hatte. Seine Stimme war belegt, als er antwortete.

„Ich hatte einst welche...“

„Sind sie auch getötet worden?“

Per schüttelte den Kopf.

„Nein, meine Tochter, Mara, ist noch im Kindesalter an Fieber gestorben... Nur ein Heiler hätte sie noch retten können, doch wir waren zu arm, um ihn zu bezahlen.“

Loreena wartete mitfühlend und hoffte, dass Per fortfuhr. Doch er schwieg.

„Ihr hattet von mehreren gesprochen. Was ist aus den anderen geworden?“, fragte sie schließlich leise.

Per seufzte. Die Last der Vergangenheit drückte schon so lange auf seine Schultern, auch wenn er nicht ständig daran dachte. Sie war sein ewiger, stiller Begleiter geworden, seit jenem Tag, als er die Wahrheit erkannte und sie den Stein ins Rollen brachte, der zuletzt nicht nur sein Leben, sondern die ganze Welt verändern sollte.

„Ich hatte noch einen Sohn...“

Ja, er hatte auch einen Sohn gehabt. Selaras und sein Sohn. Zumindest sieben Jahre lang war er es gewesen. Seine Geburt hatte Selara das Leben gekostet und Pers Herz mit großer Trauer erfüllt. Doch zu dieser Trauer hatte sich stets auch die Liebe gesellt. Kein Tag war vergangen, an dem Per nicht stolz auf seinen kleinen Jungen blickte. Vielleicht sogar umso mehr, als dass er in ihm einen Grund sehen wollte, aus dem Selaras Tod nicht umsonst gewesen war. Der Kleine war flink, geschickt und intelligent, und Per hatte ihn gern dabei beobachtet, wie er sich mit seinen Spielkameraden im Kampf probte, denn auch dabei stellte er sich gar nicht schlecht an. Sobald er alt genug sein würde, hatte Per vorgehabt, ihn mit in den Orden zu nehmen, damit er dort seine Lehre als Drachentöter beginnen und zuletzt in seine Fußstapfen treten konnte...

„Wie hieß er?“, unterbrach Loreena Pers Erinnerungen. Müde richtete er seinen Blick in die Dunkelheit.

„Toran... Sein Name war Toran.“

„Und was ist aus ihm geworden?“

Per sog den Atem ein.

„Ich weiß es nicht“, log er.

„Ihr wisst es nicht? Wie kann das sein?“

Per seufzte.

„Das ist eine lange Geschichte...“

„Würdet Ihr sie mir erzählen?“

Warum Loreena ihn darum bat, vermochte Per nicht einzuschätzen. War es Neugier? Oder wollte sie sich lediglich von dem unsichtbaren Schrecken ablenken, der gerade überall lauerte, ohne dass sie in der Lage gewesen wären, ihn zu sehen. Gleich, was es war, Loreena konnte jedenfalls nicht ahnen, was ihre Bitte für Per bedeutete. Für einen Moment überlegte er, ob er das Gespräch nun beenden und sie schlafen schicken sollte, doch dann kam ihm der Gedanke, dass es vielleicht gar nicht verkehrt war, wenn jemand anderes aus ihrer kleinen Gesandtschaft jene Geschichte ebenfalls kannte. Also beschloss er, sie Loreena zu erzählen.

Im Schatten der Prophezeiung

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