Читать книгу Im Schatten der Prophezeiung - Daniela Hochstein - Страница 4
Prolog
ОглавлениеSelara wartete. Sie hatte sich unter dem Vorwand, Beeren suchen zu wollen, von zu Hause fortgestohlen und nun war sie hier und wartete. Ein kleines geflochtenes Körbchen, pflichtschuldig gefüllt mit wilden Erdbeeren, stand zu ihren Füßen, während sie ungeduldig auf dem Stamm eines umgestürzten Baumes hin und her rutschte und Ausschau hielt. Ihre Schuld war ihr dabei wohl bewusst, doch ihre Begierde und ihre Leidenschaft hatten über sie gesiegt. Nicht, dass sie zu Hause nicht glücklich gewesen wäre. Ihr Mann war stets gut zu ihr; er war ein angesehener Bürger in ihrer kleinen Stadt, ein Drachentöter. Ihre Mutter wäre stolz auf Selara gewesen, wenn sie noch lebte. Und ihr Vater... Nun, an ihn wollte sie nicht denken. Er war ein begabter Magier gewesen und sie hätte nur zu gern von ihm gelernt. Doch als er ihr diese Gunst versagte – einer Frau stand diese Gabe einfach nicht zu, auch wenn sie genau wusste, dass sie sie in sich trug – hatte sie ihm und ihrer Heimat auf immer den Rücken gekehrt. Ob ihr Vater um sie trauerte oder nicht, war ihr gleichgültig. Inzwischen jedenfalls.
Als Unbekannte war sie damals in die Stadt gekommen und Per war es gewesen, der sie gesehen und sich in sie verliebt hatte. Durch ihn hatte sie es so angenehm leicht gehabt, hier heimisch zu werden. Nach ihren Wurzeln wurde sie nie gefragt und bald hatte auch sie gelernt, sie zu vergessen.
Ein paar Jahre waren seither vergangen. Per hatte den Lebensbund mit ihr geschlossen und es schien, als fehlte bloß noch das ersehnte Kind zu ihrem Glück. Doch so sehr Selara Per schätzte, ja auch liebte, so war sie erleichtert um jeden Mond, an dem ihre Blutung einsetzte. Zu endgültig wäre das Urteil einer Schwangerschaft gewesen, und sie wollte sich so gern wenigstens die Hoffnung bewahren, dass es noch etwas anderes in ihrem Leben geben könnte. Etwas, das sie mit Sehnsucht erfüllte; etwas, das sie nicht beim Namen zu nennen vermochte, was aber immerzu an ihrem Herzen zog. Etwas, das jetzt, vor wenigen Tagen erst, plötzlich vor ihr aufgetaucht war und diese gewöhnliche Lichtung von einem Moment auf den anderen in einen Ort der Verheißung, einen Ort des Zaubers verwandelt hatte.
Es war ein Mann gewesen, nicht viel älter als sie selbst mit ihren sechsundzwanzig Jahren. Selara hatte Brennholz gesammelt und sich gerade noch am Rande einer einsamen Lichtung nach einem trockenen Ast gebückt. Doch als sie sich wieder aufrichtete, hatte sie sich diesem Mann gegenüber gefunden, der ihr mit einem belustigten Lächeln ein Stück Holz entgegenhielt.
„Kann ich dieser hübschen jungen Dame behilflich sein?“, fragte er und Selara war unmittelbar in den Bann seiner vollen Stimme geraten. Verlegen erwiderte sie sein Lächeln, vergaß dabei jedoch völlig ihre Sprache. Fasziniert starrte sie in seine Augen, die wie zwei hellblaue Gletscher leuchteten, wobei dieser Eindruck sicherlich noch durch sein pechschwarzes Haar verstärkt wurde. Es fiel ihm in widerspenstigen Strähnen über ein Band, das er um die Stirn trug und das am Hinterkopf zusammengeknotet war. Stumm griff sie nach dem Holz und ertappte sich dabei, wie sie den Zufall herausforderte und seine Hand währenddessen scheinbar flüchtig berührte. Noch nie hatte sie so etwas getan. Aber ebenso wenig hatte sie jemals solch eine Begierde in sich gespürt, wie sie jetzt innerhalb weniger Augenblicke aus dem Nichts heraus ihren ganzen Körper in Flammen gesetzt hatte. Verwirrt zog sie ihre Hand zurück und ließ das Holz dabei fallen.
Der Mann lachte, als wisse er um seine Wirkung auf sie, und dafür schämte Selara sich.
„Vielen Dank, aber ich brauche keine Hilfe“, wies sie ihn schroff zurück und wollte sich fluchtartig davon machen.
„Es tut mir leid, wenn ich Euch zu nahe getreten bin. Das war nicht meine Absicht.“
Selara hielt inne.
„Ich hatte dort vorne gesessen und meine Gedanken schweifen lassen, als ich Euch das Holz sammeln sah...“ Der Mann führte den Satz nicht zu Ende, bedachte Selara aber stattdessen mit einem Blick, in dem sie glaubte, die gleiche Bewunderung lesen zu können, wie sie für ihn empfand. Scheu wich sie seinen Augen aus.
„Es wäre mir eine Freude, Euch zu helfen. Allein, um vielleicht ein paar Worte mit Euch wechseln zu können...?“ Erwartungsvoll schaute er Selara an. Dann streckte er plötzlich seine Hand aus und ergänzte hastig: „Oh, Verzeihung, mein Name ist Garion.“
Selara blickte auf seine Hand herab und schlug schließlich zögerlich ein.
„Ich bin Selara. Das Holz kommt in diesen Korb.“ Sie hielt Garion den Korb entgegen, worauf er grinsend das Holz wieder aufhob und hinein plumpsen ließ.
Es folgten viele Tage, an denen Selara sich heimlich auf dieser Lichtung mit Garion traf, und jedes Mal war sie aufgeregt wie ein kleines Mädchen. Anfangs sprachen sie bloß miteinander. Gebannt lauschte Selara Garions Worten und nahm dabei den Klang seiner Stimme in sich auf, wie ein wohlschmeckendes, sprudelndes Getränk, das ein herrliches Kitzeln in ihrem Bauch hinterließ. Doch bald genügte ihr die Stimme nicht mehr und sie verzehrte sich danach, einmal bloß seine Haut zu berühren. Wie hätte es anders sein können: es kamen die Momente, in denen sie auf ihren Spaziergängen durch den Wald so eng nebeneinander her schritten, dass sich gelegentlich rein zufällig ihre Hände streiften, und irgendwann wurde es zu einer Absicht. Eine Absicht, die auf einem sonnigen Fleckchen Wiese mit dem ersten Kuss endete.
Das war bei ihrem letzten Treffen gewesen. Nun wartete Selara hier auf dem Baumstamm auf Garion. Sie wartete auf seine ungewöhnlich warmen Hände, die ihre Wangen, ihren Hals, ihren Busen streicheln würden. Sie wartete auf die elektrisierenden Wellen, die dabei durch ihren Leib rollen würden. Sie wartete auf das Ungewisse, das sich daraus ergeben würde. Sie wartete auf das Verbotene, das sie tun würde. Sie wartete auf den Hauch von Abenteuer, das Garion in ihr Leben gebracht hatte.
Und da endlich war er. So unglaublich schön, wie sie fand. So angenehm fremd. Schon von weitem konnte sie sein verschwörerisches Lächeln sehen und doch war es ihr diesmal, als blitze auch noch etwas anderes dabei auf. Etwas, das nicht passen wollte. Etwas..., ja Böses?
Schnell wischte Selara diesen Gedanken fort. So etwas passte nicht zu Garion. Er liebte und begehrte sie ebenso, wie sie ihn. Dessen war sie sich vollkommen sicher.
Ihre Begrüßung fiel nicht annähernd mehr so schüchtern aus, wie sie es noch zu Anfang getan hatte. Vielmehr gaben sich beide nur zu gerne ihrer Leidenschaft füreinander hin, sodass sie sich eng umschlungen und immer wieder für gierige Küsse innehaltend ein warmes Plätzchen in der Sonne suchten, wo sie sich dann auf das weiche Moos sinken ließen. Andächtig, als wolle er ein verheißungsvolles Geschenk auspacken, begann Garion, Selara über die Schultern zu streicheln und ihr dabei die Träger ihres Kleides herunter zu streifen, bis er ihren Busen in voller Blöße betrachten konnte. Derweil schob Selara ihre Hände unter sein Hemd und zog es ihm schließlich über den Kopf. Neugierig tasteten nun ihrer beider Hände über die nackte Haut des anderen, immer fordernder, bis sie sich zuletzt in einer Umarmung vereinten. Endlich konnte sie ihn an ihrer Brust, an ihrem Bauch spüren. Er war so warm. Noch nie hatte sie so warme Haut gefühlt. Selara wollte noch mehr davon. Viel mehr. Ja, sie war so durstig nach seinen Küssen, so hungrig nach seinem Körper, der sich Stück für Stück vor ihr entblößte und dabei auch sie von ihrem Kleid befreite.
Es war wie das Eintauchen in ein wunderbar heißes Bad, als Garion sich schließlich zu ihr legte und sich an sie schmiegte. Sie schloss die Augen und fühlte, wie seine Lippen sanft ihr Gesicht erkundeten, ihren Hals hinab, über ihre Brüste hinweg zu ihrem Bauch, begleitet von seinen Händen und schließlich gefolgt von seinem Oberkörper, der sich auf den Ihren schob, sodass sie zuletzt unter ihm lag. Sie öffnete ihre Augen wieder und blickte geradewegs in seine. Ein Lächeln umspielte seine Lippen und dann konnte sie ihn in sich spüren. Zuerst langsam und zart, dann immer kräftiger, ohne dass sich ihre Blicke voneinander trennten. Versunken in seine eisblauen Augen, glaubte sie das Spiegelbild eines Feuers in ihnen tanzen zu sehen. Eines Feuers, das sie mit sich nahm in eine ferne Welt. Eines Feuers, das sich plötzlich wie eine emporschießende Flamme in sie ergoss und ihren Leib durchspülte wie ein roter Fluss. Betäubt nahm sie ihn in sich auf, hieß ihn willkommen und während sie ihn durch ihren Unterleib kriechen spürte, wurde sie sich gewiss, dass er dort einziehen und wachsen würde. Unwiderruflich wachsen.
Per hatte gute Laune. Selara erwartete ein Kind. Sie würden einen Sohn haben, davon war er überzeugt. Die Kräuterfrau hatte es vorausgesagt. Er war jetzt schon ein kräftiges Kind und strampelte munter in seinem kleinen zu Hause, in freudiger Erwartung, bald das Licht der Welt zu erblicken. Umso mehr hob es Pers Laune, dass er und seine Jäger nun auch endlich den Drachen getötet hatten, den er schon seit Monaten in der Nähe der Stadt gespürt hatte. Der Drache war schlau gewesen, hatte sich gut verborgen gehalten und war immer wieder erfolgreich unter ihrem Gespür hinweggetaucht, sodass sie ihn nicht zu fassen bekamen. Bei allen Männern, die Pers Weg kreuzten, hatte er hoffnungsvoll nach den Stigmata, insbesondere dem unverkennbaren Mal auf der Stirn gesucht. Vergebens. Ja, selbst seine Drachengestalt hatte er nur selten angenommen, um zu jagen, und so war es schwierig gewesen, seinen Spuren zu folgen. Glücklicherweise waren ihm daher auch nur wenige Menschen zum Opfer gefallen.
Aber dann war der Drache leichtsinnig geworden, und doch war es ein Zufall gewesen, der Per geholfen hatte, ihn zur Strecke zu bringen. Per hatte wach gelegen, nachdem Selaras unruhiger Schlaf ihn in den frühen Morgenstunden geweckt hatte. Ein Geräusch, das er nicht zuordnen konnte, und ein beunruhigendes Gefühl, das sich seiner plötzlich bemächtigte, hatten ihn veranlasst, aus dem Fenster zu schauen, und da konnte er im Dämmerlicht den Schatten eines Mannes zwischen den Häusern umher huschen sehen. Er griff nach Bogen und Köcher, vergaß auch das Horn nicht und schlich hinaus. Per war ein geübter Kämpfer und der Mann rechnete nicht damit, entdeckt zu werden. So konnte Per sich ihm unbemerkt nähern, bis er Gewissheit hatte. Das Stirnband, das der Mann trug, verbarg das Mal zwar, aber Per brauchte es nicht zu sehen, um zu wissen, dass er einen Drachen vor sich hatte. Er hatte gelernt, es zu spüren. Nach Abschluss seiner Ausbildung hatte er das Blut eines Drachen bei der Weihe getrunken und während es so manchen tapferen Kämpfer in den Wahnsinn getrieben hatte, so hatte er es unbeschadet überlebt. Das Blut hatte ihm die Gabe geschenkt, die ihn auf immer mit den Drachen verband, sobald sie ihre erste Reife erlangt hatten.
Lautlos legte Per den Pfeil auf den Schaft seines Bogens, visierte sein Ziel an und spannte die Sehne. Der Drache hielt inne, als würde er die Gefahr wittern, in der er schwebte. Diesen kurzen Moment nutzte Per, zog noch einmal an der Sehne, die nun bloß noch widerwillig knirschend nachgab, und ließ schließlich los. Surrend schoss der Pfeil durch die Luft, direkt auf den Drachen zu, der sich nun abrupt Per zuwandte. Seine Reaktion war übermenschlich schnell und es genügte, um dem todbringenden Pfeil auszuweichen. So traf er ihn nicht in den Rücken, wie Per es beabsichtigt hatte, bohrte sich dafür jedoch in seine rechte Schulter. Der Drache stöhnte auf vor Schmerz, starrte den Pfeil an, der aus seinem Körper ragte, packte ihn dann allerdings mit seinen Händen und zog ihn mit einem Ruck heraus. Blut sickerte aus der Wunde und der Drache schien zu überlegen, ob er fliehen oder Per angreifen sollte. Die Verwandlung war ihm nun nicht mehr möglich, dafür sorgte das magische Gift, mit dem die Pfeilspitze benetzt war. Bevor er jedoch zum Angriff übergehen konnte, hatte Per schon sein Horn an die Lippen gelegt und kräftig hineingestoßen. Dumpf schob sich der dunkle, lange Ton durch die Stille und im Nu waren die Bewohner der Stadt erwacht. Pers Jäger wussten, was sie zu tun hatten und noch während der Drache sich für die Flucht entschied, sprangen sie aus ihren Betten, griffen zu den Waffen und eilten hinaus, um gemeinsam mit Per die Verfolgung aufzunehmen.
Der Drache war zwar schnell, doch seine vergiftete Wunde und der Blutverlust schwächten ihn, sodass Per und die Jäger ihn nach einer anfangs wilden Jagd bald eingeholt hatten. Schließlich schien der Drache einzusehen, dass es für ihn kein Entkommen mehr gab. Er blieb stehen, drehte sich zu ihnen um und ... lächelte. Ja, er lächelte Per an. Er lächelte und breitete seine Arme aus, als Per und seine Jäger die Pfeile auflegten, um ihn zu erschießen. Jeder ihrer Pfeile traf ihr Ziel. Tot sackte der Drache zusammen.
Triumphierend brachten Per und seine Männer den Leichnam des Drachens zurück in die Stadt, um ihn den Bürgern zu präsentieren. Besonders freute sich Per auf das staunende Gesicht seiner Frau. Als sie aus dem Haus trat und sich neugierig dem Toten näherte, war Per aufgeregt wie ein kleiner Junge. Aber es kam alles ganz anders.
Als Per stolz das Tuch zurückschlug, mit dem der Drache bedeckt gewesen war, entfuhr Selara ein entsetzter Aufschrei. Bleich wie der Tote selbst, starrte sie ihn an, die Hand vor den Mund gepresst. Dann floh sie zurück ins Haus. Verständnislos lief Per ihr hinterher, bloß um sie in Tränen aufgelöst auf ihrem Bett vorzufinden. Er versuchte, sie zu trösten, aber allem Anschein nach stellte er sich dabei sehr ungeschickt an, denn sie geriet außer sich, bis er schließlich wie ein geprügelter Hund die Schlafkammer verließ.
Per schob diesen Gefühlsausbruch auf die Schwangerschaft, in der Frauen ja zu so manchen Launen neigten, und so wartete er ab, in der Hoffnung, sie würde sich bald wieder beruhigen. Das tat sie, doch seit jenem Tag hatte sie sich verändert. Sie schien sich mehr um das Kind in ihrem Leib zu sorgen als je zuvor und manchmal sprach sie zu Per, als könne er ihm ein schlechter Vater sein. Immer wieder nahm sie ihm das Versprechen ab, stets gut für das Kind zu sorgen und es zu beschützen, komme was wolle. Komme was wolle!
Bei der Geburt ihres Sohnes starb Selara.