Читать книгу Sterbenden nahe sein - Daniela Tausch - Страница 10

Wir konnten nie darüber sprechen

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Im sonnigen Zimmer liegt schwer atmend die Sterbende. Sie ist wach, ihr Blick klar und aufmerksam. In einem danebenliegenden Raum spricht der Mann über das Sterben seiner Frau. „Das reicht doch in Tiefen, die wir selber nicht kennen. Dieses Sterben geht niemanden etwas an!“ Ich spüre, wie Recht er hat. Fast schäme ich mich meines Hierseins, auch wenn ich weiß, dass sie es waren, die mich gerufen hatten. Ich möchte gehen. Er begleitet mich zur Tür. Sein Verabschieden hat etwas Endgültiges.

Auf der Straße. – Ich fühle mich leer, aber auch erleichtert. Das war es also. „Ihr Sterben geht niemanden etwas an.“ Ich werde also nicht mehr dorthin gehen.

Schon während ich meine Haustür aufschließe, höre ich das Telefon läuten. Er ist es. „Entschuldigen Sie. Sie werden doch wiederkommen?“ Ich kann mein Staunen nicht verbergen. Ich zögere mit der Antwort. „Meine Frau, es ist meine Frau. – Sie werden doch wiederkommen? – Meine Frau bittet Sie darum.“ „Ja“, sage ich, – „ich werde wiederkommen.“

Der nächste Besuch – ich bin unsicher. Es scheinen doppelt so viele Stufen zu sein, die ich hinaufsteigen muss. Meine Hände sind kalt. Ich drücke den Klingelknopf. Wie wird es heute sein? Sein Gesicht ist blass und seine Stimme kaum hörbar. „Es – ich glaube, es – es geht zu Ende. Sie spricht nicht mehr. Kein Wort. Stumm. Nur ihr Blick. Nicht auszuhalten.“

Ich gehe hinüber. Die Kranke liegt abgewandt. Erst als wir alleine sind, wendet sie mir Kopf und Blick langsam zu. Diese Trauer im Ausdruck!

„Sie sind einsam“, sage ich, eigentlich mehr zu mir selbst, denn man hatte mir ja gesagt, dass sie nicht mehr sprechen kann. „Wer sagt das?“ kommt es heftig von ihr.

Wir schweigen lange. Dann beginnt sie: „Das ist das Ende. Schluss und aus. Nein, kein Durchgang. Ich habe ohne Kindermärchen gelebt und ohne diesen Unsinn sterbe ich auch. Es war ein gutes Leben. Für mich. Für ihn auch. Es war in Ordnung. Erst die Krankheit! Die Krankheit ist Verrat am Leben. Nichts ist mehr in Ordnung. Es ist aus. Alles Schluss. Ende.“

Lange spricht sie so, mehr zu sich selbst als zu mir. Dann schließt sie die Augen und presst die Lippen fest aufeinander. Da gibt es nichts mehr zu reden. – Nach einer Weile gehe ich leise zur Tür. Da sagt sie klar und laut: „Da ist – die Sorge um ihn. Die Sorge um ihn – wenn er am Leben bleibt.“

Er hat auf dem Flur gewartet. Er hilft mir in den Mantel.

„Sie hat wirklich gesprochen? Weiß sie denn, dass sie stirbt? Wir konnten nie darüber sprechen.“

„Ja“, sage ich, „und sie sorgt sich um Sie.“ Da beginnt er heftig zu schluchzen.

„Entschuldigen Sie“, stammelt er, „ja was wird nur, wenn sie tot ist?“

„Morgen Nachmittag komme ich wieder“, verabschiede ich mich und laufe die endlosen Stufen hinunter.

Es ist ein windiger Tag. Ich läute. Ich muss zweimal läuten, ehe geöffnet wird. Er macht nur ein stummes Zeichen zum Schlafzimmer hinüber. Im Mantel gehe ich hinein und erkenne das Gesicht der Toten kaum wieder.

Wo gestern Widerstand und Qual war, ist jetzt etwas wie leuchtende Heiterkeit. Die freudige Überraschung eines Kindes scheint sich in dem stillen Gesicht zu spiegeln.

„Schön ist sie“, sage ich leise.

„Schön geworden“, flüstert er, „aber es war hart. Ein harter Kampf. Ein schwerer Tod.“


Sterbenden nahe sein

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