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Zwischen Hoffnung und Resignation
ОглавлениеDer Weg des Sterbens ist oftmals ein sehr langer, mühsamer Weg mit vielen Höhen und Tiefen, die durchschritten werden müssen. So durchlebt der sterbende Mensch Zeiten, in denen er plant und hofft, neugierig auf das Leben ist, noch so vieles erfahren und lernen will – ja, gegen die Erkrankung und das Sterben ankämpft. Manchmal drückt sich dieser Kampf, die Auflehnung gegen den Tod, gegen die Ungerechtigkeit des Schicksals in Wut und Ablehnung gegen die Begleiter oder andere Personen aus.
Dann gibt es Zeiten, in denen eine große innere Ruhe und Frieden eintritt – ein vertrauensvolles Loslassen in das Geschehen, sich übergeben, sich überantworten – manchmal mit der Erleichterung, nun nichts mehr leisten zu müssen, sondern einfach nur so sein zu dürfen, wie man ist.
Manchmal schwingt in diesem Sein eine stille Wehmut mit, nicht mehr leben zu dürfen, ein Abschiednehmen vom Leben mit einem stillen Einverständnis, gehen zu müssen.
Und dann gibt es auch Zeiten, in denen der Weg zu lang, zu mühsam erscheint und der Wunsch, doch endlich sterben zu dürfen, stark ist. Viele sind mürbe von den vielen, manchmal nicht enden wollenden Behandlungen, noch müder von der Unsicherheit, wie es weitergeht und der bangen Frage, was denn noch alles auf sie zukommen wird. Sie fühlen sich resigniert bei dem Gedanken, immer weniger zu können, immer schwächer zu werden, immer mehr auf die Hilfe Anderer angewiesen zu sein, müde, ihr eigenes Sterben so miterleben zu müssen. Manchmal wünschen sie sich, den gefürchteten Moment des Todes schon hinter sich zu haben.
Diese so unterschiedlichen, ja oftmals gegensätzlichen Gefühle können zeitlich sehr nah beieinander sein – so kann in ein und demselben Satz von Hoffnungen und Zukunftsplänen gesprochen werden und dann wieder im nächsten Moment von dem Wunsch zu sterben.
Zu diesen seelischen Schwankungen kommen oft noch große körperliche Schwankungen hinzu. Der Sterbende erfährt, dass er sich nicht mehr auf seinen Körper verlassen kann – er kann auch keine kurzfristigen Pläne mehr machen, da sich sein Befinden sehr schnell verändert. Und oftmals fällt es uns schwer, nicht mehr planen zu können, ohne Perspektiven zu sein, anzunehmen, „dass es dann doch ganz anders kommt.“ Diese körperlichen Schwankungen gibt es auch noch in den letzten Lebenstagen.
Die wechselnden Schwankungen stellen für uns als Begleiter eine große Herausforderung dar. Wir können den Anderen nicht mehr fest einordnen, müssen alle unsere Erwartungen und Vorstellungen loslassen. Wir müssen uns immer wieder neu auf ihn einlassen. Wichtig ist auch, dass wir die unterschiedlichen Gefühle des sterbenden Menschen nicht bewerten, wie z. B. „er ist noch in der Auflehnung“, sondern den Anderen mit all seinen unterschiedlichen Gefühlen annehmen, ohne ihn „weiter“ oder anders haben zu wollen.
Es ist für uns auch sehr schwierig, wenn der sterbende Mensch sich einmal Nähe wünscht, unsere Zuwendung braucht und dann ein anderes Mal uns wegstößt, vielleicht aus einer Auflehnung gegen sein Schicksal, gegen die „Ungerechtigkeit der Welt“. In solchen Momenten braucht es viel Kraft und persönliche Stärke, dass wir unser Herz aus der Verletzung heraus nicht verschließen, die Ablehnung nicht persönlich nehmen, sondern versuchen, den Anderen in seinem Erleben zu verstehen und so wieder unser Herz für ihn öffnen können.
Und auch wir als Begleiter erleben sehr unterschiedliche Gefühle – auch wir schwanken zwischen Hoffnung, Planen, Zuversicht einerseits und andererseits Resignation, Verzweiflung, Einsamkeit. Oftmals, besonders als pflegender Angehöriger, kommen wir auch an unsere eigenen Grenzen, fragen uns, wie lange denn noch unsere Kräfte reichen werden und wünschen uns aus dieser Erschöpfung heraus, dass der Andere bald sterben möge – aber gleichzeitig sind wir erschrocken über diesen Gedanken, und uns belasten deswegen Schuldgefühle. Wichtig ist, dass wir auch uns selbst in diesen unterschiedlichen Gefühlen verstehen und uns nicht verurteilen.
Auch wenn der Andere gestorben ist, erleben wir ganz unterschiedliche Gefühle: Einerseits sind wir erleichtert, dass er den Weg geschafft hat, vielleicht von Schmerzen erlöst ist – dann ist da tiefster Schmerz in uns, abgrundtiefe Verzweiflung, wie wir denn ohne ihn leben können, und oftmals sind wir auch ganz erschöpft von der Zeit der Begleitung – manchmal belasten uns Schuldgefühle ...
In kaum einer anderen Zeit unseres Lebens erleben wir so unterschiedliche, manchmal widersprüchliche Gefühle in uns, wie in der Zeit des Begleitens und des Abschiednehmens. Wir werden herausgefordert, uns selbst und den Anderen so anzunehmen wie wir sind, mit allen unseren Gefühlen, Stimmungen, Problemen und Schwankungen.