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Die „Göttliche Komödie“
ОглавлениеWohl um 1307, zur Zeit seines Exils, begann Dante Alighieri mit der Abfassung seines Hauptwerks, der „Göttlichen Komödie“, die er 1320, ein Jahr vor seinem Tod, vollendete. Er selbst hatte das Werk eigentlich nur „La Commedia“ (dt. „Die Komödie“) genannt, erst sein späterer Biograph Giovanni Boccaccio versah sie mit dem Beiwort „divina“ (dt. „göttlich“), was nach dem damaligen Sprachgebrauch am ehesten im übertragenen Sinne mit „wunderbar“, „phantastisch“, „hervorragend“ übersetzt werden kann und nicht im wörtlichen Sinne auf Gott zu beziehen ist, auch wenn dieser den Endpunkt der Jenseitswanderung bildet. Auch die Bezeichnung „Komödie“ darf nicht nach dem modernen Sprachgebrauch als „Lustspiel“ interpretiert werden, sondern ist als Verweis auf die zeitgenössische Gattungstradition zu verstehen. Dante wählte den Titel „Komödie“, weil die Handlung nach einem schrecklichen Anfang ein gutes Ende nimmt, was schon Aristoteles in seiner Poetik als Kennzeichen der Gattung herausgestellt hatte. Bei dieser Einordnung seines Werkes hatte Dante zudem eine weitere aristotelische Bestimmung im Blick, der zufolge die Ausdrucksweise der Komödie „einfach und bescheiden“ („remissus et humilis“) sein muss. Auch dieses Kriterium sah Dante durch die Verwendung der Volkssprache, also des Italienischen, erfüllt. Dante bewies mit der „Göttlichen Komödie“, dass auch die Volkssprache zur Darstellung von Ereignissen mit philosophischem Anspruch geeignet war, nicht nur das Latein der „hohen“ Gattungen.
Der Höllentrichter. Frontispiz zum Inferno in „La Divina Commedia di Dante Alighieri“, vol. I, Mailand 1804.
Die Erzählung folgt einer auf den ersten Blick einfachen, aber genauestens durchdachten Struktur, die auf der Zahl Drei beruht. Die wichtigste Gliederung sind die drei Jenseitsbereiche Hölle, Fegefeuer und Paradies, welche der Ich-Erzähler auf seiner Wanderung durchschreitet. Diese drei Jenseitsbereiche entsprechen den drei großen Kapiteln („Cantiche“) der „Komödie“. Diese bestehen wiederum jeweils aus 33 Gesängen („Canti“), wobei der „Hölle“ ein zusätzlicher Gesang als Prolog vorangestellt ist. Insgesamt besteht die „Komödie“ also aus exakt 100 Gesängen. Auch die einzelnen „Gesänge“ sind nach dem Dreierprinzip durchgestaltet.
Es handelt sich um Dreierstrophen, sogenannte Terzine oder Terzarime, bei welchen die einzelnen Verse durch eine ausgeklügelte Reimverkettung miteinander verwoben sind. In dieser nach ihrem „Erfinder“ Dante auch „terza dantesca“ genannten Strophenform aus drei jambischen Elfsilbern wechseln sich die Reime dergestalt ab, dass stets der Mittelreim in der folgenden Strophe als Anfang und Ende wiederholt wird, so dass sich das Schema aba bcb cdc ded efe usw. ergibt, welches in einem Viererreim yzyz endet. Auf diese Weise entsteht eine äußerst rhythmische, nie eintönige und spannungsvolle Dichtung, welche sich bis ins Unendliche fortsetzen ließe, formal aber auf einen Höhepunkt am Ende des Gedichts ausgerichtet ist.
Diese scheinbar einfache, tatsächlich jedoch höchst kunstvolle und sprachlich komplexe Reimform ist in der deutschen Sprache kaum wiederzugeben, ohne den Rhythmus der Verse zu zerstören. Die meisten deutschen Übersetzungen verzichten daher auf die strenge Terzinenform, um die gesangsähnliche Musikalität der „Gesänge“ zu erhalten und damit auf rhythmischer Ebene eine interne Verbindung zwischen den Versen zu erreichen, wie das folgende Beispiel vom Beginn des 2. Gesangs zeigt:
„Der Tag ging dahin, und die dunkle Luft
entließ die Lebewesen, die auf Erden sind,
aus ihren Mühen, und ich einzig und allein
rüstete mich, den Kampf zu bestehen sowohl
mit dem Wege als auch mit dem Mitleid,
welchen das Gedächtnis, das nicht trügt, berichten wird.“
(2. Gesang, Vers 1–6)
Dante hat die Terzinenform sicher nicht ohne Grund gewählt bzw. speziell für die „Komödie“ entwickelt. Die Zahl Drei verweist auf die göttliche Dreieinigkeit als End- und Fluchtpunkt jeder Existenz und nach dem Verständnis der Zeit auch jeden Dichtens. Das Reimschema wird damit zum poetischen und zugleich poetologischen Spiegel einer theologischen Wahrheit. Die Terzine, welche Dante über 14.000 Verse zur Grundstruktur seiner Dichtung macht, verbinden ein statisches Prinzip, das sich als Widerspiegelung des ewigen Jenseits verstehen lässt, mit einem dynamischen Prinzip, das die Wanderung des Erzählers durch die drei Welten des Jenseits reflektiert und in der Gottesschau im Paradies kulminiert.
Die Anfangsstrophe der „Hölle“ versetzt den Leser bereits mitten in die Geschichte. Gemeinsam mit dem im Walddickicht verirrten Ich-Erzähler besteigt er anschließend einen Hügel, wo ihnen drei Raubtiere begegnen, welche sich als Sinnbilder der sündhaften Neigungen von Mensch und Gesellschaft verstehen lassen. Dann tritt Vergil, der von Beatrice gesandte Retter auf, der sich als Führer bei der nun folgenden Jenseitswanderung anbietet. Die Wahl Vergils geschieht nicht ohne Grund: Der spätantike Autor der „Aeneis“ galt im Mittelalter als ein Prophet des Christentums, dessen Schriften viel gelesen, kopiert und früh in die Volkssprachen übersetzt wurden.
Im 3. Gesang tritt die kleine Reisegruppe in die Hölle ein. Sie ist gemäß antiken Hadesvorstellungen trichterförmig gestaltet und unterhalb der heiligen Stadt Jerusalem gelegen. Die „Hölle“ ist in neun Schichten bzw. konzentrische Kreise unterteilt, in welchen gemäß der aristotelischen Ethik die Verdammten ausharren. Je tiefer man in die Hölle hinabsteigt, umso schlimmer werden die Verbrechen der Verdammten und umso größer ist die Schuld, die sie auf sich geladen haben. Den Einstieg bildet die Vorhölle („vestivolo“) als Ort der Gleichgültigen. Es folgt der erste Kreis („limbus“), in welchem sich die Ungetauften und die Heiden der Antike mit Minos als Richter befinden. Im zweiten bis fünften Kreis schmoren die unwillentlichen Übeltäter, im sechsten Kreis die Ketzer. Der siebte bis neunte Kreis beherbergt die willentlichen Übeltäter, unter ihnen die Verräter. In der Spitze des Höllentrichters, der zugleich die Erdmitte darstellt, befindet sich ein See. Er bedeutet als Sitz Luzifers zugleich die äußerste Entfernung von Gott und die ewige Dunkelheit.
Im „Purgatorio“, dem Läuterungsberg, können sündhafte Neigungen gesühnt werden. Durch das Emporsteigen werden schwere Sünden leichter. Auch der Jenseitswanderer Dante nimmt an dem Läuterungsweg teil. Ziel ist es, die traditionellen sieben Todsünden („peccata“) zu tilgen und so die Seele zu reinigen und auf die kommende Erlösung vorzubereiten. An der Spitze des „Fegefeuers“ steht das irdische Paradies. Hier übernimmt nun Beatrice die Führerrolle von Vergil. Der Ich-Erzähler erlebt die Vision eines allegorischen Triumphzugs, der sich als Rückschau auf die Kirchengeschichte verstehen lässt.
Auch das Paradies ist aus neun konzentrischen Kreisen aufgebaut, die in Umkehrung der Hölle jedoch nicht in ab steigender Trichterform, sondern als Aufstieg dargeboten werden. Indem sich der Erzähler gemäß den Maximen des „dolce stil novo“ in den Blick Beatrices versenkt, kann er die innere Verbindung zum Göttlichen herstellen und in die höchste Sphäre aufsteigen. Die Form des himmlischen Paradieses spiegelt das ptolemäische Weltbild, in dem ebenfalls neun konzentrische Sphären beschrieben werden. Sie sind bei Dante zugleich Sinnbilder der Tugenden. Im höchsten Himmel, dem Empyraeon, erlebt der Ich-Erzähler die ersehnte Gottesschau. Die Dichtung bedeutet die Darstellung einer mentalen Wirklichkeit, wobei die Schilderung der persönlichen Heilsgeschichte des Erzählers zugleich die Erkenntnismöglichkeiten des Lesers herausfordert und im Idealfall die Geschichte des Erzählers im eigenen Nachvollzug erleben lässt.