Читать книгу Crime Collection IV - Danuta Reah - Страница 18

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Am Abend regnete es. Ein Spaziergänger schlenderte am frühen Dienstagvormittag einen wenig begangenen Weg über den Fluss zum Teich bei Shepherd Wheel entlang. So früh am Morgen hatte noch niemand die Enten gefüttert, die voller Hoffnung zum Ufer geflattert kamen und vor ihm herumschwammen. Er horchte auf die Vogelstimmen und wartete ein paar Minuten. Ein Freund hatte ihm von den Reihern im Park erzählt, und er dachte, zu dieser ruhigen Tageszeit könnte er vielleicht einen zu Gesicht bekommen. Er sah zum Himmel hoch. Klar und blau – es würde ein schöner Tag werden. Er schlenderte weiter und bemerkte, wie der Schlamm, der von den Enten aufgewühlt worden war, langsam wieder zu Boden sank. Er betrachtete die weiche, glänzende Oberfläche und das Wasser, das über das Wehr floss und Schlammklumpen mit sich führte, als wolle es die Uferbänke wegschwemmen. Wasservögel hatten ihre Spuren hinterlassen, und er fragte sich, welche Vögel wohl da gewesen sein mochten.

Aus dem Uferschlamm ragten kleine Äste heraus, die ins Wasser gefallen waren, eine oder zwei leere Dosen lagen herum, Papierfetzen. Ein Zweig fiel ihm ins Auge, der fast wie eine im Schlamm steckende Hand aussah, eine Hand, die sich Hilfe suchend hochstreckte. Er dachte an die Legende von Excalibur, den in Brokat gekleideten Arm, der aus dem Wasser ragte und das mystische Schwert hielt. Er lächelte und wartete beim Näherkommen, dass die Illusion verschwinden und die »Hand« zu dem werden würde, was sie war, ein Bündel von Stöckchen. Er war in Gedanken mit Problemen seiner Arbeit beschäftigt – nichts Ernstes, nur ein paar Überlegungen –, da wurde er wieder auf die Stelle im Schlamm aufmerksam.

Es war doch eine Hand! Er kniff die Augen zusammen und rieb sie, damit das Ding am Teich sich wieder in den Zweig verwandelte, denn er wusste , es war ein Zweig. Aber es war eine Hand.

Es muss eine Puppe sein, eine Schaufensterpuppe, die jemand hier weggeworfen hat, ein… Mehr fiel ihm nicht ein. Sie war grau, die Haut faltig, die Fingernägel sahen … Plötzlich spürte er seinen Magen, seinen Hals. Ihm war kalt. Er schaute auf. Die Bäume zeichneten sich scharf gegen den Himmel ab, jedes Blatt hatte klare Umrisse. Hier schaute eine Hand aus dem Uferschlamm hervor. Er wandte sich um und stolperte die Stufen hinunter, doch seine Beine wollten ihn nicht mehr tragen. Er saß auf der obersten Stufe. Die Sonne schien, seine Hände zitterten, und er glaubte nicht, dass ihm jemals wieder warm werden würde.

Sie dachten zuerst, sie hätten einen richtigen Spinner vor sich, einen Mann, der in gepflegter Sprache über mystische Waffen und Brokat oder Ähnliches fabulierte. Als er es endlich schaffte, seine Geschichte zusammenhängend zu erzählen, schickte man jemanden hin, und schließlich fand sich McCarthy wieder bei dem Teich ein und sah auf die Männer hinunter, die im nassen Schlamm gruben und das flache Grab öffneten. McCarthy trat vom Rand zurück. Er bemühte sich, keine Reaktion zu zeigen, aber der Gestank war überwältigend. Er schaute in die sommerlichen Bäume hinauf, die über dem Teich hingen, und atmete tief die Luft ein, die nach Wasser und gemähtem Gras roch. Dann wich er zurück und sah auf die Leiche hinunter, Gesichtszüge und Formen waren durch die Verwesung entstellt, sahen aber trotzdem noch erschreckend menschlich aus, erschreckend real. Die Leiche lag schon seit zwei oder drei Wochen dort, vermutete die Pathologin. »Ich kann es exakter sagen, wenn ich sie mir genauer angesehen habe.«

Die Dame aus dem See . McCarthy, der sich als Junge für die Artussage begeistert hatte, verstand die Anspielung des verwirrten Spaziergängers. Aber diese Frau, die Pathologin, war nur bereit, sich auf etwas festzulegen, was sie alle sowieso wussten: Diese Frau hatte nicht einem König ein mystisches Schwert entgegengehalten. Ihre Hand sah aus, als hätte sie verzweifelt im Schlamm gewühlt und nach der Oberfläche gesucht. McCarthy hoffte, dass dies nur eine Illusion war. Zwei Frauen, eine im Teich, eine unter dem Rad, beide im Wasser umgekommen. Was hatte Draper gesagt? Wenn man Wasser durchlaufen lassen würde, ohne dass sich das Rad bewegt, könnte man natürlich vermuten, dass der niedrigere Wasserspiegel dies bewirken würde. Aber wenn man den Schlamm des Teichs nur ein wenig austrocknen wollte, wäre das Absenken des Wasserspiegels auf jeden Fall möglich. McCarthy sah zu, wie sie die Leiche behutsam aus dem Schlamm hoben und in einen Leichensack legten. Für die Pathologin war es nur noch ein rein wissenschaftliches Problem.

Suzanne legte den Hörer auf. Keith Liskeard, der Direktor des Alpha-Centre, hatte an die Betreuerin ihrer Magisterarbeit, Maggie Lewis, geschrieben. Das Forschungsprojekt war unterbrochen. Auf unbestimmte Zeit. Eine Kopie des Briefes war an Suzanne gegangen. Sie warf einen Blick auf die noch ungeöffnete Post, die sie an diesem Morgen erhalten hatte. Der Brief war da. Sie las ihn, während sie mit Maggie sprach, und hielt den Hörer an ihre Schulter gepresst. Im Brief war die Rede von Problemen mit der Gruppe , aber auch mangelnder Erfahrung mit Forschungsarbeit in diesem Rahmen . Diese Ironie erzürnte Suzanne. »Ich möchte Sie sprechen«, hatte Maggie entschieden gesagt.

Suzanne hatte Termine vorgeschoben, und es war ihr gelungen, das Treffen auf die folgende Woche zu verschieben. Sie wusste, was Maggie wollte, ein Gespräch, eine dieser »netten Unterhaltungen«, die dann irgendwie festgehalten wurden und in den Unterlagen auftauchten, die einem ein ganzes Berufsleben lang nachhingen. Sie wollte Maggie etwas vorzeigen können, das ihre Arbeit bestätigte. Sie wusste, warum Maggie so ärgerlich reagierte. Die Forschungsmittel waren begrenzt. Suzanne hatte sie mit der Begründung, dass es viel zusätzliches Geld einbringen werde, wenn sie erst einmal konkrete Ergebnisse hätten, überredet, das Programm am Alpha-Centre zu unterstützen. Und jetzt, was konnten sie jetzt mit dem Geld machen, das sie für Suzanne bestimmt hatten? Es war zu spät, um ein anderes Forschungsprogramm zu beginnen, um es woanders noch einmal zu versuchen.

Suzanne hatte Maggie gegenüber zugeben müssen, dass sie sich des Problems schon seit Samstagabend bewusst gewesen war. »Ich wollte morgen kommen und es Ihnen sagen«, argumentierte sie, wusste aber, dass es dürftig klang, und hatte ohne viel Hoffnung hinzugefügt: »Richard, Richard Kean meinte, das Problem würde sich lösen lassen.«

»Als ich Keith Liskeard anrief, klang das etwas anders.« Maggie war wirklich verärgert, und Suzanne konnte es ihr nicht verübeln. »Er sagte, es sei ihnen klar geworden, dass das Alpha-Centre nicht der Ort für Grundlagenforschung sei.« Sie diskutierten ein bisschen hin und her, und am Ende des Gesprächs hatte Maggie sich erweichen lassen und zugegeben, dass man Suzanne Unrecht getan habe, aber unausgesprochen hing das Wort unprofessionell in der Luft. Maggie setzte einen Termin für eine Besprechung in der folgenden Woche an und drohte mit einem Treffen mit dem Leiter der Abteilung, das folgen könne. Suzanne wusste, dass ihr Ruf als eine in der Forschung tätige Wissenschaftlerin schweren Schaden genommen hatte.

Sie war müde und schaute das Foto auf ihrem Schreibtisch an. Michael mit seinem breiten Lächeln für die Kamera, das aufgetaucht war, sobald er alt genug gewesen war, sich der Kamera bewusst zu sein. Sein erstes Schulfoto. Sie starrte die Wand darüber an. Adam lächelte sie an.

Ihre Mutter hätte ihr zweites Kind nie bekommen sollen. Adam war ein Nachzügler gewesen. Ihr Vater musste über fünfzig gewesen sein, als Adam zur Welt gekommen war, und ihre Mutter… Natürlich hat Adam die Gesundheit deiner Mutter ruiniert , sagte ihr Vater öfter, während der kleine Junge still am Tisch saß und behutsam die Kruste von seinen Sandwichs abzupfte. Multiple Sklerose – Suzanne konnte die Krankheit benennen, die ihre Mutter den größten Teil der Zeit, die Suzanne mit ihr verbracht hatte, zur Invalidin gemacht hatte. Sie starb daran, als Suzanne dreizehn war. Und es stimmte, dass die Belastung einer späten Schwangerschaft die schon fortgeschrittene Krankheit im Körper ihrer Mutter noch verschlimmert hatte. Kümmere dich um ihn, Suzanne …

Als es feststand, dass Eleanor Milner schwanger war, hatten die Ärzte ihr zu einer Abtreibung geraten, aber sie wollte nichts davon hören. Der schlimmste Fehler, den wir je gemacht haben , sagte Suzannes Vater, als er Adam wieder einmal nach einem Vorfall mutwilliger Zerstörung oder wegen Diebstahls von der Polizeiwache abgeholt hatte. Ich dachte, ich hätte dich so erzogen, dass du Recht und Unrecht unterscheiden kannst! Dieser Vorwurf war an Suzanne gerichtet, die Adam offenbar diesen Unterschied nicht mehr vermitteln konnte. Sie hatte es versucht, aber trotz größter Anstrengungen war alles vergeblich gewesen oder – schlimmer noch – es hatte sich als schädlich erwiesen.

Wie beim letzten Mal. Sie erinnerte sich an das schon vertraute Gesicht der Polizistin, die mit den Jugendlichen arbeitete. Wieder ein Einbruch, diesmal in einem Lager. Adam und seine Freunde, die hinter Süßigkeiten, Kisten voller Süßigkeiten, her waren. Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. Bei dem Gedanken daran begannen ihre Augen immer noch zu brennen. Diesmal war es schlimmer gewesen. Der Wachtposten hatte sie gesehen und verfolgt. Einer der Jungen hatte zugeschlagen, und der Mann war verletzt. Adam, erschrocken über die Folgen, war weggerannt und hatte sich versteckt.

Sie erinnerte sich an die Stimme der Polizistin, ruhig und unerbittlich. Sagen Sie uns einfach, wo Adam ist. Wir wollen dem Jungen doch helfen , Suzanne . Aber er bekam nur die Art von Hilfe, die die Polizei geben konnte. Sie hörte noch immer Adams verzweifelten Schrei, als der Richter das Urteil verkündete, die Zeitspanne, die für den einsamen und verängstigten Adam wie eine Ewigkeit erscheinen musste, mit der er sich nicht abfinden konnte. Hör mir zu, Suzanne … Sie hatte ihnen gesagt, dass Adam mit dem nicht fertig werden würde, was mit ihm geschah. Sie hatten sie kurz abgefertigt und mit allgemeinen Sprüchen beruhigt.

Und sie hatte ihn im Stich gelassen, hatte Rechtsanwälte und Sozialarbeiter ausfindig gemacht, Menschen, die ganz klar sagten, Adam brauche Hilfe und Unterstützung. Und sie ließ Adam zurück, ließ es zu, dass er allein und voller Angst weggeführt wurde. Sie erinnerte sich an den Zeitungsbericht, nicht einmal auf der ersten Seite, sondern versteckt auf Seite drei: DRITTER SELBSTMORD IN JUGENDGEFÄNGNIS. Sie wusste noch, wie das Gesicht ihres Vaters aussah, als die Polizeibeamten an jenem Morgen gekommen waren und sie es ihm sagen musste. Dafür bist du verantwortlich!

Sie sah Michaels Bild an. Du bist verantwortlich … verantwortlich … verantwortlich … Sie hatte versucht, auf die einzige Art und Weise, die sie kannte, Michael Sicherheit und Geborgenheit zu geben. Hör mir zu, Suzanne …

Sie richtete sich auf, denn etwas war ihr eingefallen. Die Tonbänder im Alpha-Centre! Ashleys Bänder! Sie rannte in ihr Arbeitszimmer unter dem Dach und schaute sich die Reihe von Kassetten auf dem Regal hinter ihrem Schreibtisch an. Als sie sah, welches Durcheinander hier herrschte, runzelte sie die Stirn. Dann wusste sie es wieder. Sie hatte die Bänder in ihrem Schreibtisch in der Abteilung liegen lassen. Sie sortierte die Notizen in der Ablage, bis sie die Abschrift fand. Hier war sie. Sie ging wieder hinunter und begann zu lesen.

F: Was machst du denn gern? In deiner Freizeit .

A: So …?

F: Was machst du dann ?

A: Ich dachte, wir wären zusammen.

F: Was? Tut mir Leid, Ashley, das hab ich nicht mitgekriegt .

A: So, es tut mir Leid.

F: Ashley, willst du das machen? Aber…

A: Ich sag es dir doch!

Er hatte es gesagt Ich sag es dir doch!, wie eine Bitte, so wie Adam gesagt hatte: Hör mir zu! Und sie hatte nicht zugehört, sie hatte den Text aufgeschrieben und war zufrieden, weil Ashley nicht vermitteln konnte, was er sagen wollte. Und jetzt war er in Schwierigkeiten. Aber dieses Mal würde sie auf ihn hören. Dieses Mal würde sie etwas tun.

Es klopfte an der Tür, und sie schreckte zusammen. Es war abgeschlossen, und sie brauchte einen Moment, bis sie den Schlüssel fand. Es war Jane; sie hatte eine schäbige Strickweste übergezogen, und ihre Arbeitsjeans waren mit Farbspritzern bekleckst. Sie sah sehr aufgeregt aus.

»Im Park«, sagte Jane, »wieder im Park …«

Suzanne starrte sie bestürzt an. Jane holte Luft und versuchte es noch einmal. »Die Polizei, wieder überall im Park. Suzanne, sie haben wieder etwas gefunden, eine andere Person.« Jane war zum Einkaufen gegangen und hatte die Autos vor dem Park gesehen. Aus Neugier ging sie näher ran. »Ich dachte, es hätte vielleicht etwas mit Emma zu tun«, sagte sie. Aber an beiden Toren war Polizei, und man ließ sie nicht durch. »Sie sagten mir auch nichts.« Sie war schließlich zum Zeitungshändler gegangen, ihrem ursprünglichen Ziel, und die Frau dort hatte es ihr erzählt. »Sie sagte, sie hätten eine Leiche im Shepherd- Wheel-Teich gefunden.«

Suzanne hatte ein Bild im Kopf, das Bild einer großen dunkelhaarigen Gestalt, das blasse Gesicht hatte zu ihr zurückgeschaut, als er sich zu den Schrebergärten umdrehte. An das Gesicht, das sie gesehen hatte, konnte sie sich nicht mehr erinnern. »Ashley …«, sagte sie.

»Was?«

»War es ein junger Mann?«

»Ich weiß nicht. Sie wusste es auch nicht.« Jane drehte ihre Haare um die Finger.

In Suzannes Kopf ging alles hektisch durcheinander. Was hatte McCarthy gesagt? Wir glauben, dass er vor Ort war. Nur war er nicht dort gewesen… Oder doch? McCarthy hatte gesagt, Ashley werde vermisst. Und jetzt war im Park eine Leiche aufgetaucht. Ashley, es tut mir Leid!

Die Temperatur von Schlamm ist gleich bleibend kühl. In Schlamm vergrabene Leichen sind oft gut erhalten, der Prozess der Verwesung wird verlangsamt. Die Gesichtszüge der Frau waren noch erkennbar, zwar aufgedunsen und wächsern, aber jemand, der sie im Leben gut gekannt hatte, würde sie auch jetzt im Tod erkennen. Barraclough erkannte sie. Sie hatte sie nur auf einem Foto gesehen, aber die Verwandlung der munteren jungen Frau auf dem Schnappschuss bei Discobeleuchtung in die stinkende Leiche auf dem Tisch im Leichenschauhaus erfüllte sie mit Mitgefühl und ihre Augen brannten. Für EM. Sie schniefte, um ihre Nase frei zu machen. In den Obduktionsräumen zu weinen war nicht sehr professionell. Sie wischte sich die Nase mit dem Handrücken ab und schielte zu McCarthy hinüber, der die Leiche mit teilnahmslosem Interesse betrachtete.

Sie fragte sich, ob ihn bei seiner Arbeit je irgendetwas bewegte. Sie hatte ihn schon oft gesehen, wie er Unfallopfer betrachtete, Berichte über Kindesmissbrauch las oder sich, wie jetzt, mit kühlem, ungerührtem Blick die Opfer brutaler Verbrechen ansah und mit den Verwandten redete, die ihre Lieben durch diese Gewalttat verloren hatten. Früher hatte sie gedacht, dass er seine Gefühle einfach besser als die meisten anderen verbergen konnte. Denn sie wusste, wie wichtig Härte für die Beamten war – sogar für die Frauen. Trotzdem kamen die Gefühle irgendwie heraus, bei makabren Scherzen, beim Trinken, im Zorn auf die Täter. Aber sie hatte nie erlebt, dass McCarthy durch irgendetwas erschüttert wurde.

Die Pathologin begann, rasch und nüchtern zu sprechen. »Ich kann Ihnen nicht sagen, ob es derselbe Mörder ist oder nicht. Aber trotzdem«, fügte sie hinzu, »können wir vielleicht etwas aus den Laborresultaten entnehmen. Ich kann noch nicht feststellen, ob es so ist.«

Diese bedächtige Vorsicht irritierte McCarthy, der die Frau zur Äußerung von Vermutungen veranlassen wollte. »Was können Sie uns denn sagen?«, drängte er.

»Sie war jung – unter fünfundzwanzig. Soweit ich das feststellen kann, war sie bei guter Gesundheit.«

Ach was!, dachte McCarthy verärgert. »Wie ist sie also gestorben?«

Die Pathologin hob ihr Klemmbrett hoch. »Das wird alles in meinem Bericht stehen.«

McCarthy fragte sich, warum er bei ihr immer nur an die Pathologin dachte, statt an – wie hieß sie noch mal? – Anne, oder offiziell Dr. Hays. Er sah sie nie außerhalb ihrer beruflichen Umgebung. Sie schien kein privates Leben zu haben, nur das mit den Toten. Vielleicht war dies der Grund dafür. »Wir brauchen vor der Einsatzbesprechung eine Zusammenfassung«, sagte er.

Sie sah ihn über die Brille hinweg an. Er fragte sich, ob sie sich dieser Geste bediente, um ihre Autorität geltend zu machen. Er wartete. »Ganz kurz, Inspektor«, sagte sie. »Es gibt sehr wenig zu berichten. Die Todesursache ist zurzeit unklar. Sie scheint im Schlamm ertrunken oder erstickt zu sein. Wie das geschah, darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Es gibt Hinweise, dass es einen Kampf gab, aber nicht viele. Wie das vorhergehende Opfer, Ihr jüngster Fall, hat sie sich nicht sehr gewehrt, wenn man bedenkt, dass sie offenbar eine gesunde junge Frau war. Die Laborergebnisse werden uns vielleicht mehr Informationen geben.« Einen Augenblick lang dachte McCarthy, dies sei alles, aber sie runzelte die Stirn, schaute in die Ferne und fuhr fort: »Wir haben hier ein Mordopfer, und ich glaube, es ist ein Opfer desselben Mörders. Aber das ist nicht offiziell.« Sie sah die beiden Beamten an, und zum ersten Mal erschien McCarthy dies als Zeichen ihrer persönlichen Meinung. »Man muss in diesem Schlamm nicht ertrinken, wenn man einfach hineinfällt, oder man müsste schon großes Pech haben. Wenn man bewusstlos geworden und mit dem Gesicht nach unten gelandet ist und bei besonders weichem Schlamm… könnte die Luftzufuhr unterbrochen worden sein. An ihren Armen sind blaue Flecken, als hätte jemand sie hinuntergedrückt.« Sie sah McCarthy an. »Wie bei der Ersten«, fügte sie hinzu.

McCarthy versuchte sich den Kampf am Teich auszumalen, jemand, der im Schlamm feststeckt, und eine andere Gestalt, schattenhaft, aber mit deutlicher werdenden Umrissen, jemand mit der Absicht, zu töten. Das Grauen des Opfers, das … was fühlte wohl der Angreifer? Welche Gefühle hatte ein Killer in einem solchen Moment? Er zwang seine Gedanken, zu den praktischen Gegebenheiten der Situation zurückzukehren. Es musste schmutzig und laut zugegangen sein und war wahrscheinlich nicht unbemerkt geblieben. »Wie schnell würde so etwas gehen?«

»Nicht schnell genug, glaube ich«, sagte die Pathologin rasch.

Die Duttons wohnten in einem kleinen Dorf außerhalb von Hull. Die M-18 war ruhig, und McCarthy war froh, dass Barraclough fuhr, während er sich die Einzelheiten des Falls durch den Kopf gehen ließ. Wie wahrscheinlich war es, dass beide Frauen Opfer des gleichen Mörders waren? Sie waren eng befreundet, einander körperlich ähnlich und am gleichen Ort gestorben, oder zumindest waren ihre Leichen an annähernd der gleichen Stelle gefunden worden. Das war ziemlich überzeugend. Wie sah es mit Ashley Reid als dem Hauptverdächtigen aus? Die Vorstellung eines einzelnen Mordes war für McCarthy kein Problem. Seine eigene Interpretation ging von einer missglückten sexuellen Belästigung und einem plötzlichen, bösartigen Angriff aus. Aber die Beweise, die einerseits auf genaue Planung und andererseits auf Drogengeschäfte hinwiesen, hatten ihn seine Meinung ändern lassen. Reid war offenbar nicht sehr intelligent. Ein zweiter Mord, und zwar einer, den zu verbergen ihm bis jetzt gelungen war, passte nicht dazu, und McCarthy war dabei, seine Auffassung zu korrigieren, um sie mit den Fakten in Einklang zu bringen.

»Was meinen Sie?«, fragte er Barraclough aus heiterem Himmel.

Die plötzliche Unterbrechung des langen Schweigens verwirrte sie zunächst. »Was den neuesten Fall betrifft, meinen Sie?«

»Vom letzten Budget hab ich nicht gesprochen.«

»Es ist nicht…« Er bemerkte den kurzen Ausdruck von Ärger über seinen Tonfall auf ihrem Gesicht und überlegte, dass er nicht besonders fair gewesen war. Er hatte nicht vor, sich zu entschuldigen, und wartete. »Na ja«, sagte sie vorsichtig, »es sieht aus, als ob es derselbe Täter – oder dieselben Täter – gewesen ist.« Sie sah in den Spiegel und scherte aus, um einen schweren Lkw zu überholen. »Es war ja einige Planung nötig, was darauf hinweist, dass der erste Mord – ich meine, die Erste, die wir gefunden haben, Emma – auch geplant war.«

»Nicht unbedingt.« Aber McCarthy nickte, um zu zeigen, dass er ihrer Logik folgte.

»Wir denken, dass der Mörder Emma kannte. Hat er also Sophie auch gekannt? Oder war nur Sophie als Opfer vorgesehen, und Emma ist irgendwie dazwischengekommen?« Sie schwieg einen Moment und dachte nach. »Sophie lag schon seit drei oder vier Wochen im Schlamm, sagten sie. Sie war im Mai noch an der Universität. Haben wir einen Zeitpunkt, an dem sie zuletzt gesehen wurde?«

McCarthy schüttelte den Kopf. »Sie versuchen, das herauszufinden.«

»Okay.« Barraclough ging in Gedanken noch einmal die Einzelheiten durch.

»Die Drogenkontakte sind am offensichtlichsten. Wenn Emma auf dem Campus gedealt hat und jemandem ins Gehege gekommen war …«

»Das ist möglich. Aber vergessen Sie nicht, es gibt eine Menge Gelegenheitsdealer an der Uni. Wenn sie jemandem im Weg war, hätte man sie vielleicht zusammengeschlagen, aber warum das Risiko eingehen, sie zu ermorden?«

»Meinen Sie, dass Sophie weglief, weil jemand sie bedroht hat?« Barraclough sah einen Moment zu ihm hinüber, dann wieder auf die Straße.

McCarthy zuckte die Schultern. »Etwas ist passiert. Aber vergessen Sie nicht die Schwierigkeiten in der Familie Allan.«

Barraclough sagte: »Emma ist im März von zu Hause weggegangen, nach einem Streit mit ihrer Mutter. Ein paar Wochen später wird Sophie umgebracht. Glauben Sie, dass es da eine Verbindung gibt?«

McCarthy nickte. »Vielleicht hat alles wieder mit den Drogen zu tun. Sie haben Streit, weil sie vielleicht herausgefunden haben, dass Emma sich auf eine schwierige Situation eingelassen hat? Es gibt Ärger, weil sie ihren Anteil nicht bekommen? Oder ist es etwas ganz anderes?«

Sie mussten Dennis Allan mehr unter Druck setzen, um zu erfahren, was er verheimlichte. McCarthy dachte erneut über die verschiedenen Möglichkeiten nach, während Barraclough sich den Weg durch die Stadtmitte von Hull suchte. Zu viele Verbindungen.

Die Duttons lebten in einem alten Bauernhaus ungefähr eine halbe Stunde von der Stadtmitte von Hull entfernt. Das Dorf, Penby, war typisch für die Gegend: klein, die Häuser weit verstreut, inmitten von flachen Feldern gelegen, die durch Deiche voneinander getrennt waren. Die Häuser waren aus rotem Backstein mit Hohlziegeln, dazu passend separate Wirtschaftsgebäude. Die Straßen waren schmal und in gutem Zustand. »Die dritte«, sagte Barraclough, als sie an die Kreuzung kamen, wendete das Auto und fuhr auf die Grasnarbe. Der Boden war matschig. Vor dem Haus zog sich eine kurze Einfahrt an der Küchentür vorbei zur Garage. Die Tür stand offen, aber niemand war in Sicht.

»Erwarten sie uns?« Barraclough dachte, es sei wahrscheinlich dumm, diese Frage zu stellen, und da McCarthy sie nicht beachtete, bestätigte er sie darin. Er klopfte an die Tür, wartete und klopfte dann noch einmal

»Tut mir Leid. Ich habe gerade die Hühner gefüttert.« Eine Frau kam von hinten um das Haus herum. Sie eilte lächelnd auf sie zu, was ihre Besorgnis verbergen sollte. Sie trug eine Hose und Gummistiefel. Ihr kurzes Haar war tiefschwarz. Barraclough fragte sich, woher Sophie ihre Haarfarbe hatte, wenn dies Sophies Mutter war. Barraclough sah keinerlei Ähnlichkeit.

»Mrs. Dutton?«

Sie nickte und gab McCarthy die Hand. »Maureen«, sagte sie.

»Ich bin Detective Inspector McCarthy von der South Yorkshire Police …« Barraclough beobachtete das Gesicht der Frau. »Mrs. Dutton, ist Ihr Mann da?« McCarthy näherte sich dem Zweck seines Besuchs, und Barraclough wäre lieber nicht dabei gewesen, wollte nicht sehen, wie das freundliche, besorgte Gesicht der Frau sich vor Kummer und Entsetzen veränderte. Für sie war ihre Tochter noch am Leben, dachte Barraclough. Für McCarthy und Barraclough selbst war Sophie Dutton mit fast absoluter Sicherheit tot.

Die Augen der Frau fingen an, im Zimmer umherzuirren, als suche sie nach etwas Normalem und Alltäglichem, an dem sie sich festhalten konnte. »Er hat Sie bestimmt kommen sehen. Er hat Sie erwartet«, sagte sie. »Möchten Sie eine Tasse Tee? Oder Kaffee?« Während sie sprach, ging sie in der Küche umher, füllte den Wasserkessel und sah sie fragend an.

»Sollen wir warten, bis Ihr Mann hier ist?«, fragte McCarthy, und sein untypisch sanfter Tonfall überraschte Barraclough.

Maureen Dutton sah sich um, räusperte sich und sagte: »Wir könnten ins Zimmer gehen. Es ist ein bisschen bequemer.« Sie führte sie in ein Wohnzimmer im vorderen Teil des Hauses. Es hatte dasselbe, ziemlich schäbige Aussehen wie die Küche. Ein Paar Stiefel stand auf dem niedrigen Tisch. Bücher und Zeitschriften waren in den Ecken aufgestapelt. Eine Couch in der einen Ecke gegenüber dem Schreibtisch bildete eine gemütliche Insel mit einem Strickzeug, das unter ein Kissen gestopft war, einem offenen Buch auf der Lehne und Hausschuhen auf dem Boden.

Maureen Dutton schaute durch das Fenster hinter ihnen, und ihr Gesicht entspannte sich. »Hier kommt Tony«, sagte sie. Barraclough sah den großen, kräftigen Mann übers Feld auf das Tor zukommen. Dichte schwarze Haare, grauer Bart, Arbeitskleidung wie seine Frau. Sie warteten schweigend, während er seine Stiefel auszog und durch die Küche hereinkam. Er schüttelte McCarthy die Hand, und nach einer kurzen Pause auch Barraclough. »Sie brauchen nicht verlegen zu sein«, sagte er und sah sie an. »Sie sind gekommen, um uns zu sagen, dass es mit unserer Sophie Ärger gibt. Wir wissen, dass sie in schlechte Gesellschaft geraten ist. Sie ist ein bisschen … eigensinnig in letzter Zeit.« Sie hatten sich vorbereitet, sich auf das Schlimmste gefasst gemacht. Sophie war in Schwierigkeiten, und sie würden damit fertig werden. Sie würden zu ihr halten und ihr helfen, es durchzustehen. Barraclough sah am Gesichtsausdruck des Mannes und der Art, wie die Frau den Rücken gerade hielt: Wir wollen es nicht hören, aber wir sind bereit.

»Inwiefern, Mr. Dutton?«, fragte McCarthy.

»Sagen Sie Tony. Also, sie war …« Er schaute seine Frau an.

»Sie wollte ihre Mutter suchen«, sagte Maureen Dutton nüchtern. »Wir haben immer gewusst, dass sie das vielleicht einmal tun würde, und haben nie versucht, sie daran zu hindern.«

»Sie haben Sophie adoptiert?« McCarthy klärte nur eine Tatsache ab, aber Barraclough entdeckte einen leicht scharfen Unterton in seiner Stimme.

»Ja, wir haben sie genommen, als sie vier Jahre alt war. Aber es kam für uns nie in Frage, dass sie es nicht wissen sollte.« Maureen Dutton sah ihren Mann an, und die beiden rückten ein wenig zusammen. »Damals, als sie anfing zu suchen, gab es einen Brief. Ihre Mutter hatte einen Brief geschrieben, der ihr gegeben werden sollte, wenn sie jemals versuchen sollte, die Familie zu finden, aus der sie stammte. Deshalb ist sie nach Sheffield gezogen, glaube ich. Ihre Familie kam von dort.«

»Und hat sie ihre Mutter gefunden?«

»Nein. Ich weiß nicht … Sie schreibt oder telefoniert fast nie.« Maureen Dutton biss sich auf die Lippe.

»Hat es eine« – McCarthy versuchte, einen diplomatischen Ausdruck zu wählen – »hat es eine Meinungsverschiedenheit darüber gegeben?«

»Nein.« Sie sah traurig aus. »Von unserer Seite nicht. Aber ich glaube, Sophie hatte Schuldgefühle, sie meinte, dass sie uns enttäuschte und dass wir vielleicht versuchen würden, sie davon abzubringen.«

»Ich hab das schon versucht.« Tony Dutton sah grimmig drein. »Wer immer ihre Mutter ist, na ja, sie hat sich nicht für Sophie interessiert, als sie klein war. Hat Sophie in Pflege gegeben. Man macht das nicht mit einem Kind.« McCarthy bemerkte Barracloughs zustimmendes Nicken. »Ich mach mir nur Sorgen, dass sie verletzt wird, sonst nichts.«

»Tony hat Recht.« Maureen Dutton schüttelte den Kopf. »Aber Sophie kann man nicht davon abbringen, wenn sie sich mal was in den Kopf gesetzt hat. Ich würde nur gern wissen, was los ist. Ich dränge sie nicht, weil sie in der Beziehung sehr empfindlich ist. Sie wird reden, wenn sie so weit ist.«

Tony Dutton scharrte nervös mit den Füßen. »Hören Sie, es bringt nichts, um den heißen Brei herumzureden«, sagte er einen Augenblick später. »Sie sollten uns sagen, in was sie hineingeraten ist.«

Bevor McCarthy antworten konnte, nahm Maureen ein kleines Foto vom Kaminsims. »Sophie«, sagte sie. McCarthy sah das Foto an und zeigte es Barraclough. Das Mädchen auf dem Foto, das in Emmas Tasche gefunden worden war, sah sie an. Auf diesem Bild hier sah sie jünger und weniger altklug aus. Es war draußen vor dem Haus aufgenommen worden, und sie stand lächelnd, in schmutzigen Stiefeln und mit einem kleinen weißen Hund in den Armen, unter der Küchentür. Barraclough sah plötzlich das schemenhafte, wächserne Gesicht auf dem Obduktionstisch vor sich. Sie nahm alle Kraft zusammen.

McCarthy schaute die Duttons an, die mit offensichtlicher Spannung warteten und wissen wollten, wieso er hier bei ihnen war. »Mr. Dutton, Mrs. Dutton. Ich bin nicht hier, weil Sophie mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist. Leider ist es ernster. Wir untersuchen einen zweiten Todesfall.« Barraclough sah, wie das Gesicht der Frau starr wurde und sie schweigend die Lippen bewegte. »Die Leiche eines jungen Mädchens ist heute Vormittag in Sheffield gefunden worden, und wir glauben,« – Barraclough sah, dass die Hand des Mannes den Arm seiner Frau umklammerte – »dass es Ihre Tochter Sophie ist.«

Crime Collection IV

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