Читать книгу Das Antikrebs-Buch - David Servan-Schreiber - Страница 24
Teil 2
»Krebs – eine Wunde, die nicht heilt« Die zwei Gesichter der Entzündung
ОглавлениеAlle lebenden Organismen sind von Natur aus in der Lage, nach einer Verletzung ihr Gewebe zu reparieren. Bei Tieren und Menschen liegt diesem Vorgang ein Entzündungsprozess zugrunde. Discurides, ein griechischer Arzt im ersten Jahrhundert nach Christus, beschrieb die Entzündungszeichen so prägnant und einfach, dass die Definition noch immer an allen medizinischen Fakultäten gelehrt wird: Rubor, Tumor, Calor, Dolor – Rötung, Schwellung, Wärme und Schmerz. Hinter diesen schlichten äußeren Merkmalen verbergen sich komplizierte Vorgänge von großer Tragweite.
Sobald das Gewebe verletzt wird, etwa durch einen Stoß, einen Schnitt, durch Gift, eine Verbrennung oder Infektion, treten die Blutplättchen in Aktion. Sie sammeln sich um den beschädigten Abschnitt und setzen eine chemische Substanz frei, den sogenannten PDGF (Platelet-derived Growth Factor = Blutplättchen-Wachstumsfaktor). Der PDGF alarmiert die weißen Blutkörperchen des Immunsystems. Diese produzieren verschiedene Botenstoffe mit seltsamen Namen und vielen Wirkungen: Cytokine, Chemokine, Prostaglandine, Leukotriene und Thromboxane koordinieren die Reparaturvorgänge. Zunächst weiten sie die Blutgefäße in der Umgebung der Verletzung, um den Zufluss weiterer Immunzellen zu erleichtern, die als Verstärkung herbeigerufen werden. Dann versiegeln sie die Öffnung, indem sie die angesammelten Blutplättchen zur Blutgerinnung bringen. Nun machen sie das umliegende Gewebe durchlässig, damit die Immunzellen eindringen und die Angreifer verfolgen können. Und schließlich veranlassen sie das Wachstum der beschädigten Gewebezellen. Das Gewebe kann dann die fehlenden Stücke regenerieren und kleine Blutgefäße aufbauen, die Sauerstoff und Nährstoffe an die Baustelle liefern.
Diese Mechanismen sind für die Gesundheit des Körpers und seine permanente Regeneration angesichts der unvermeidlichen, ständigen Angriffe lebenswichtig. Wenn die Vorgänge richtig eingestellt und an die anderen Zellfunktionen angepasst sind, laufen sie sehr harmonisch ab und regulieren sich selbst. Das bedeutet, dass neues Gewebe zu wachsen aufhört, sobald die verletzten Stellen repariert sind. Die Immunzellen, die zur Bekämpfung der Eindringlinge mobilisiert wurden, kehren in ihren Stand-by-Modus zurück. Das ist sehr wichtig, damit die Immunzellen nicht einfach weitermachen und gesundes Gewebe angreifen.
In den letzten Jahren haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Krebs ähnlich wie ein Trojanisches Pferd diesen Reparaturvorgang ausnutzt, um in den Körper einzudringen und ihn zu zerstören. Das sind die zwei Seiten der Entzündung: Eigentlich ist der Entzündungsvorgang dazu gedacht, beim Aufbau des neuen Gewebes zu helfen und die Heilung voranzubringen, er kann aber dazu umfunktioniert werden, das Krebswachstum zu fördern.