Читать книгу Athanor 4: Die letzte Schlacht - David Falk - Страница 5

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Als Athanor und Akkamas Anvalon betraten, war kaum ein Elf zu sehen, aber Athanor maß den ausgestorbenen Wegen und Gärten nicht viel Bedeutung bei. Wer vor dem nahenden Giganten nicht geflohen war, hielt sich in den Häusern versteckt, und noch hatte sich der Sieg über den Riesen nicht herumgesprochen. Doch auch über Peredins Amtssitz lag ungewöhnliche Stille. Athanor hatte geschäftiges Kommen und Gehen erwartet, Heiler, die den Verwundeten halfen, ausgesandte Boten, Diener, die den geschwächten Kriegern ein Mahl bereiteten. Stattdessen standen kreuz und quer erschöpfte Pferde herum und knabberten ungestraft an den Rosen. Licht fiel nur aus einigen Fenstern privater Gemächer. Der Empfangssaal dagegen war dunkel und leer.

Neugierig blickte Akkamas zu der Decke aus silbrigen Baumkronen hinauf. »Die Elfen haben eine ungewöhnliche Art, Gäste willkommen zu heißen. Sie zeugt jedoch von großem Vertrauen«, befand er grinsend.

»Man könnte es auch abweisend und respektlos nennen«, brummte Athanor. Nach dem langen Kampf wollte er endlich eine Mahlzeit. »Gehen wir in die Küche und sehen nach, was wir finden.«

Doch auch dort begegnete ihnen niemand. Stattdessen stießen sie auf die Spuren des übereilten Aufbruchs. Aus einem umgeworfenen Krug war Wein über den bemehlten Tisch geflossen, auf dem noch gekneteter Teig herumlag, und beim Spülbottich lagen Scherben auf dem Boden verstreut. In der großen Herdstelle knisterte Glut unter der Asche. Nur deshalb war der darüber hängende Kessel mit Eintopf nicht völlig erkaltet. Athanor und Akkamas bedienten sich und fanden auch ein paar Fladen Hirsebrot, die sie mit Apfelmost hinunterspülten.

Der volle Magen stimmte Athanor gnädiger. Geflohene Elfen konnten eben keine Gäste bewirten. Offenbar hatte die Nachricht vom Erlöschen des Ewigen Lichts die Verteidiger Anvalons schwer getroffen. Sicher würde er bald wieder vernünftig mit Peredin reden können.

»Du siehst übel aus«, befand Akkamas und deutete auf Athanors blutverkrustete Stirn, wo die Platzwunde von ihrem Zusammenprall mit dem Giganten klaffte.

»Auf einen Elfenheiler kann ich wohl nicht zählen.« Mit Wehmut erinnerte er sich an Elanyas Hände, die sich so oft lindernd auf seine Wunden gelegt und sie auf magische Weise geschlossen hatten. Ohne Elanya fühlte er sich den Elfen fremder denn je. Sie hätte ihm erklärt, was hier vorging, und bei Peredin ein gutes Wort für die Flüchtlinge einlegt. Nein. Wenn sie noch leben würde, hätte ich niemals den Ozean überquert. Es hätte ihm vieles erspart. Auch Vindur wäre dann noch bei ihnen. Am liebsten hätte er den Gedanken in einem Krug Zwergenbier ertränkt.

»Ich werde es nähen«, beschloss Akkamas. »So kann ein Kaysar nicht vor den Hohen Rat Anvalons treten.«

»Wohl wahr.« Athanor fand einen Eimer sauberes Wasser, wusch das Blut ab und biss anschließend auf das Heft seines Messers, während Akkamas mit Nadel und Faden hantierte.

»Was ist mit deinen Wunden?«, fragte er dann.

»Sind an Stellen, die dieser Körper gar nicht besitzt«, erwiderte Akkamas verschmitzt. »Oder hat er neuerdings Flügel?« In gespielter Neugier lugte er über die eigene Schulter.

»Du bist gegen diesen wandelnden Felsen gekracht«, rief ihm Athanor ins Gedächtnis.

Akkamas zuckte mit den Schultern. »Ein paar Prellungen. Nichts Ernstes.«

Vor dem Eingang der Küche ertönte ein dumpfer Schlag, der den Most in Athanors Becher zittern ließ. Akkamas sprang auf, während Athanor nach dem Schwert griff.

»Kann mir hier jemand ein Pferd braten?«, grollte Orkzahn von draußen. »Das rohe Zeug bekommt mir nicht mehr so wie früher«, erklärte der Troll, als Athanor zur Tür kam. Vor der Schwelle lag ein ausgeweideter Pferdekadaver.

»Das hast hoffentlich nicht du auf dem Gewissen.« Athanor hatte wenig Lust, einen Streit um ein totes Pferd zu schlichten.

»Ich schwöre bei allen Geistern! Es lag herrenlos bei dem toten Ahnen herum.«

Athanor grinste. »Vermutlich sollte ich froh sein, dass du keinen herumliegenden Elf aufgesammelt hast.«

»Ich würde Euch das Tier rösten, werter Troll, aber leider ist mir das Feuer ausgegangen«, bedauerte Akkamas.

»Das Herdfeuer ist zu klein für einen solchen Braten«, stellte Athanor fest. »Kann dein Hunger bis morgen warten?«

Orkzahn nickte. »Ich hatte im Wald schon was.«

»Dann ruhen wir uns jetzt aus«, beschloss Athanor. »Morgen gilt es, einiges anzupacken.« Müde bedeutete er Akkamas, ihm zu folgen. Da sie niemand aufhielt, führte er seinen Freund zu den Gästeräumen und legte sich dort schlafen. Der kommende Tag hielt genügend Aufgaben bereit. Er würde Peredin um freies Geleit für die Dionier bitten müssen, was selbst der Erhabene wohl nicht ohne Zustimmung des Hohen Rats gewähren durfte. Außerdem wollte dieser zwielichtige Alte namens Omeon über ein Bündnis mit ihm sprechen, und Orkzahn hielt den Kerl offenbar nicht nur für heimtückisch, sondern auch für brandgefährlich. Warum war der Troll überhaupt nach Anvalon gekommen, obwohl er die Herrschaft der Elfen gerade erst abgestreift hatte? Sein Freund hatte damit Kopf und Kragen riskiert. Zumindest den Kopf, schränkte Athanor belustigt ein, denn Trolle trugen nichts als ein gegerbtes Fell um die Hüften. Doch das Schmunzeln verging ihm, als ihm die wichtigste Aufgabe einfiel. Er musste die Elfen auf einen Kampf gegen den Dunklen einschwören.

* * *

Plötzlich setzte sich die Kemethoë in Bewegung. Laurion spürte, wie ihn der Widerstand des Wassers zurückhielt, während der Schiffsrumpf vorwärtsglitt. Von einem Augenblick auf den nächsten heulte Wind in seinen Ohren. Immer schwerer hing er an den Händen, die sich verzweifelt bemühten, ihn an Bord zu hieven.

»Zieh!« Nemera klang flehend und angestrengt zugleich.

Laurion sah, dass sie gemeinsam mit Otreus an ihm zerrte, als ob sie mit dem Fluss rang, der ihn als Opfer verlangte. Immer schneller rauschte die Kemethoë durchs Wasser. Vergeblich strampelte Laurion gegen den Sog an. Seine Schulter war wie ein Klumpen, in den Feuerspeere stachen.

»Lasst mich ran, Herrin!« Neben Nemera tauchte Emmos’ entschlossene Miene auf. Er mochte schmal sein, aber er konnte volle Netze an Bord ziehen. »Auf drei!«, rief er in das Pfeifen des Winds. »Eins, zwei …!«

Mit einem Ruck wurde Laurion angehoben und über die harte Kante der Bordwand gezerrt. Irgendjemand schrie auf, irgendwo ertönte ein Knall, doch Laurion sah in der Dunkelheit nur Füße und Stiefel. Wie eine nasse Strohpuppe sank er auf die Planken.

»Sie schießen auf uns!«, kreischte Emmos’ Frau.

»Mentes ist tot!«, gellte es auf der Kaysas Segen.

»Runter!«, brüllte Otreus. »Köpfe unter die Bänke! Eine Schulter zum Feind!«

Um Laurion herum scharrte und polterte es. Seine Gefährten warfen sich zu ihm auf den Boden. Wo war die nächste Bank? Weit konnte sie nicht sein. Laurion schob seinen benommenen Schädel darunter und fand sich Nase an Nase mit Rhea wieder, nur dass ihr Gesicht auf dem Kopf stand.

»Können wir uns unsichtbar machen?«, flüsterte sie.

»Dafür ist es zu spät. Sie haben uns schon gesehen.«

Wieder verriet ein Knall einen einschlagenden Pfeil, dann ein zweiter. Jemand stöhnte. Taue und Holz knarrten unter Mahanaels magischem Wind.

»Ich hab ja gleich gesagt, dass es ’ne Falle ist«, murrte Djefer.

»Pass lieber auf, dass dich kein Pfeil erwischt!«, mahnte Otreus.

Laurion lauschte dem Rauschen des Wassers und dem heulenden Wind. Die Kemethoë fuhr so schnell … Konnten sie den Pfeilen nicht entkommen? Wie zur Antwort schlug wieder ein Geschoss in das Schiff. Als er versuchte, sich noch weiter unter die Bank zu schieben, bereitete sengender Schmerz dem ein jähes Ende. Er spürte, wie sich die Pfeilspitze in seinem Körper bewegte. Um Rhea nicht zu erschrecken, unterdrückte er einen Schrei und ignorierte ihre großen fragenden Augen.

»Wir hängen sie ab!«, jubelte jemand auf der Kaysas Segen.

»Wie kann das sein?«, wunderte sich Otreus. »Haben diese Dreckskerle etwa keine Zauberkräfte?«

Gute Frage. Was hatte Mahanael über die verschiedenen Völker der Elfen erzählt? Die Abkömmlinge Ameas beherrschten nur die Wassermagie, nicht das Luftelement. Sie konnten deshalb weder auf magische Art Pfeile lenken, noch Wind beschwören, während Mahanaels Volk aus Bastarden bestand, die sich oft auf beide Elemente verstanden. Kaum zu glauben, dass die anderen dennoch auf sie herabsahen. Sie vereinigten enorme Fähigkeiten in sich. Vielleicht verachtete man sie aus Neid umso mehr.

»Ist es wirklich sicher? Können wir rauskommen?«, fragte Nemera.

»Wie soll ich das in dieser Finsternis sehen?«, beschwerte sich Djefer.

»Wenn wir noch in ihrer Reichweite wären, hätten sie nicht aufgehört zu schießen«, schätzte Otreus.

Laurion war es gleich. Er hatte nicht vor, sich zu bewegen. Jede Regung bedeutete Schmerz. Je mehr die Anspannung von ihm abfiel, desto schwerer wurden seine Lider. Rheas Gesicht vor seiner Nase verschwand. Er hörte Kleidung rascheln und Sohlen schaben.

»Gütige Urmutter!«, entfuhr es Emmos’ Frau. »Du bist getroffen!«

Schmeichelhaft, dass sie das so berührt, dachte Laurion schläfrig.

»Ist zum Glück nur der Arm«, sagte Emmos. »Ohne Otreus’ Rat hätte mich der Pfeil vielleicht ins Herz getroffen.«

»Auch ’n blinder Fischer fängt mal ’nen Thun«, höhnte Djefer. »Uns schützt die Urmutter, sonst wären wir jetzt hin.«

Dankt mir nur nicht alle auf einmal … Aber woher sollten sie wissen, dass Mahanael nur seinetwegen rechtzeitig zur Stelle gewesen war?

Jemand kniete sich neben Laurion und spähte unter die Bank. »Der Göttin sei Dank! Du bist am Leben«, freute sich Nemera. »Für einen Moment habe ich das Schlimmste gefürchtet.«

»Ich auch«, seufzte Laurion. In der Dunkelheit glaubte er ein Lächeln zu erkennen.

»Da steckt ein Pfeil in seinem Rücken«, stellte Rhea fest. »Muss er jetzt sterben?«

»Nein, aber wir müssen seine Wunde versorgen. Nur geht das auf dem fahrenden Schiff nicht so leicht.«

»Wenn ich Euch einen Rat geben darf, Herrin, dann lasst den Pfeil stecken«, mischte sich Otreus ein. »Jedenfalls bis wir in Sicherheit sind.«

Und wann soll das sein?, wollte Laurion fragen, doch die Stimme zu heben, kam ihm zu anstrengend vor. Die Aussicht darauf, dass jemand den Pfeil herausriss, war nicht verlockend. Er wollte nur hier liegen und irgendwann aus diesem Albtraum erwachen. Nemera strich ihm über Haar und Nacken. Vielleicht war der Traum doch nicht so schlecht.

»Wir können nur auf Mahanael vertrauen und beten.« Vorsichtig nahm sie seine Hand. Ihre Finger waren von Sonne und Seewasser rau, aber seine waren es auch. Fast schien ihm der Moment zu kostbar, um darüber einzunicken, doch sein Körper fragte nicht danach. Bevor er einschlief, streifte ihn ein letzter Gedanke. Der magische Wind in ihrem Segel würde nicht ewig andauern. Was dann?

* * *

Entsetzt spürte Leones Danaels Hand erschlaffen. Wenn sie ihm entglitt, würde sein Kamerad in die Tiefe stürzen. Hastig packte er fester zu. Der harte Griff ließ Danael die Augen aufreißen. Schon seit einer Weile drohte er vor Entkräftung ohnmächtig zu werden, doch sie hatten bereits zu viel Zeit verloren, um ein zweites Mal zu landen. Zum Glück zeichneten sich die Türme Nehoras bereits vor ihnen gegen den Nachthimmel ab.

»Wir sind gleich da«, versicherte Leones. »Hältst du noch durch?«

Danael richtete den müden Blick auf die Festung. In der Dunkelheit lauerte sie auf dem Hügel wie ein zum Sprung geduckter Greif. Menschen und Elfen hatten sie einst gemeinsam errichtet, auf der steilsten Erhebung eines Höhenzugs, der die Elfenlande von den Sümpfen des Fallenden Flusses trennte.

»Ich versuch’s«, flüsterte Danael. Der Schwerelosigkeitszauber kostete ihn zu viel Magie. Obwohl Sturmlöwes nachlassende Kräfte sie gezwungen hatten, tagsüber zu rasten, war der Sohn Heras am Ende.

Leones wünschte, er hätte sich ebenfalls leicht machen können. Greife hassten Nachtflüge. Mit der Sonne schwanden die warmen Aufwinde, auf denen sie tagsüber segelten. Er konnte spüren, wie sehr sich Sturmlöwe anstrengte, um sie alle drei am Himmel zu halten – auch wenn Danael wie eine Fahne hinter ihnen wehte. Wäre ihr Anhängsel nicht gewesen, hätte er sich wenigstens flach hinlegen können, um den Greif möglichst wenig zu stören. Doch dann hätte Danael vor Sturmlöwes Brust herabhängen müssen, wo ihn der Wind ständig gegen den Greif gedrückt hätte.

»Gleich ist es geschafft.« Wie zur Entschuldigung strich Leones über Sturmlöwes Mähne. Der alte Junge hatte etwas Zuwendung und ein paar Leckerbissen verdient, doch Leones durfte sich nicht damit aufhalten. Sein Bericht duldete keinen weiteren Aufschub.

Auf der Plattform des Nordturms hob die Nachtwache grüßend eine Hand. Es war zu dunkel, um auf die Entfernung ein Gesicht zu erkennen, aber das blonde, im Mondlicht weiß aussehende Haar und der ebenso helle Mantel aus gesteppter Rohseide verrieten Die Faust. Leones erwiderte den Gruß der Tochter Heras. Mittlerweile hatte er sich gemerkt, dass sie Rhayuna hieß, doch hinter ihrem Rücken wurde sie Die Faust genannt, weil sie im Nahkampf allen überlegen war.

Danael wurde schwerer. Rasch zerrte Leones ihn näher, versuchte, ihn auf den Rücken des Greifs zu ziehen, damit er der Schwinge nicht in die Quere kam. »Bleib wach!«, herrschte er ihn an, doch Danael hob kaum noch die Lider. Sturmlöwe sank, obwohl sie die Mauern noch nicht erreicht hatten. Hektisch lehnte sich Leones nach hinten, das Zeichen für den Greif, höher zu fliegen. »Komm schon! Du schaffst das!«

»Was ist los?«, gellte Rhayunas Stimme. »Willst du dir an der Mauer den Dickschädel einrennen?«

Leones stand der Sinn nicht nach dummen Scherzen. Sturmlöwes Muskeln zitterten unter ihm. Selbst wenn es der Greif noch auf den Wehrgang schaffte, würde es eine unsanfte Landung werden. »Wir brauchen den Heiler!«, brüllte er und hielt die Luft an, während die Mauer näher und näher kam. Wenigstens gewann Sturmlöwe wieder an Höhe.

»Perian!«, rief Die Faust und eilte vom Nordturm herab. »Perian, wach auf!«

»Hoch!«, schrie Leones. Schon streckte Sturmlöwe die Vorderpranken aus und langte nach der Mauerkrone. Krallen kratzten über Gestein. Leones warf sich nach vorn, als könnte er sie alle drei damit über die Kante katapultieren. Einen Lidschlag lang hingen sie senkrecht an der Mauer. Leones’ Linke krampfte sich in Sturmlöwes Mähne, während seine Rechte Danaels Hand umklammert hielt. Bewusstlos baumelte der Sohn Heras über dem Abgrund, doch im gleichen Moment krümmte sich Sturmlöwes Rücken. Der Greif stieß sich mit den Hinterbeinen von der Mauer ab, schlug gleichzeitig mit den Flügeln und wuchtete sich mitsamt seinem Reiter auf den Wehrgang hinauf. Nur Danael hing noch immer davor und riss Leones fast von Sturmlöwes Rücken. Hastig umschlang Leones den Hals der Chimäre, die unter ihm zusammengebrochen war. Selbst wenn sie nur dalag, war sie zu schwer, um über den Rand in die Tiefe gezogen zu werden.

Eilige Schritte näherten sich, dann tauchten Stiefel in seinem Blickfeld auf. Fluchend fiel Die Faust auf die Knie und beugte sich über die Kante. »Ich hab ihn. Zieh!«

Leones richtete sich auf, um mit beiden Händen zupacken zu können.

»Bei allen Alfaren«, knurrte Rhayuna. »Ist er etwa tot?«

»Nur ohnmächtig«, presste Leones zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Zumindest hoffte er das. Es wäre so viel leichter gewesen, ihn heraufzuziehen, wenn Danael aufgewacht wäre, doch er blieb schlaff und schwer wie ein Sack Getreide. Gemeinsam zerrten sie ihn auf den Wehrgang und rollten ihn von der Kante und dem Greif weg, der noch immer schnaufend auf den Steinen lag.

Währenddessen drang Theremons dunkle Stimme aus dem Hof herauf. Der Erste Nehoras pochte an die Tür des Heilers, dass es von den Mauern widerhallte. »Perian! Aufstehen!«

Leones beugte sich über Sturmlöwe. Für einen Moment berührte seine Stirn den klobigen Schädel. Danke, alter Krieger. Er wusste, dass Worte dem Greif nichts bedeuteten. Sie konnten nicht wettmachen, was er Sturmlöwe abverlangt hatte, und Greife waren nachtragend, sehr nachtragend. »Ich schieß dir morgen einen Hirsch«, versprach er und wandte sich wieder Rhayuna zu, die bereits ihre Arme unter Danaels Achseln geschoben hatte und ungeduldig die schmalen Lippen verzog.

»Hoch mit ihm!«, ächzte sie beim Anheben.

Rasch griff Leones unter Danaels Knie und half ihr, ihn zur Treppe zu tragen. In Gedanken durchlebte er die knappe Landung noch einmal. Beinahe hätte der Greif die Mauer nicht erreicht. Dann lägen sie jetzt mit gebrochenen Knochen auf dem steinigen Hang – oder wären tot. Schaudernd versuchte er, den Schreck abzuschütteln, der ihn wie ein Raubtier im Nacken gepackt hielt.

»Würdest du mich … vielleicht einweihen?«, murrte Die Faust. Auf jeder Stufe stieß sie einen Satzbrocken heraus. »Werdet ihr verfolgt?«

»Ich glaube nicht.« Konnte er sich dessen sicher sein? »Jedenfalls … ist uns niemand auf den Fersen.«

Von unten kam ihnen Theremon entgegen und drängelte sich an Leones vorbei zu Rhayuna. »Ich übernehme. Zurück auf deinen Posten!«

Die hagere Kriegerin nickte nur, während sie Danael vorsichtig ihrem Befehlshaber übergab. Wie befreit eilte sie die Stufen wieder empor. Theremon musste wach gewesen sein, als er ihre Rufe vernommen hatte, denn er war bekleidet und trug den Harnisch aus verleimtem Leinen, den die Abkömmlinge Ardas anderen Rüstungen vorzogen. Er hatte sogar Zeit gefunden, den Schwertgurt anzulegen, bevor er auf den Hof hinausgerannt war. »Was ist passiert?«, verlangte er zu wissen.

Unter dem Vorwand, auf die Stufen achten zu müssen, wich Leones Theremons bohrendem Blick aus. Dass er es unverletzt mit Sturmlöwe zurückgeschafft hatte, während Danael bewusstlos und dessen Greif tot war, warf kein gutes Licht auf ihn. Zumal ihn ohnehin alle für einen Verräter hielten. »Wildfang wurde im Nebel angegriffen. Es hat ihn erwischt, bevor wir den Feind überhaupt sehen konnten. Sturmlöwe musste uns beide da rausholen, also hat Danael mit Magie nachgeholfen.«

Bevor sie ihn zum Ersten Nehoras ernannt hatten, war auch Theremon Fernspäher gewesen. Er musste wissen, dass kein Greif zwei Reiter tragen konnte. »Das erklärt seine Verwundung nicht«, stellte er jedoch fest. In seiner Stimme lag die Schärfe des unausgesprochenen Vorwurfs.

»Er ist nicht verletzt!«, blaffte Leones. Der Erste mochte sein Vorgesetzter sein, aber das gab Theremon noch lange kein Recht, ihm grundlos Feigheit oder Verrat zu unterstellen.

»Was ist dann mit ihm?«, fragte Perian, der am Fuß der Treppe auf sie wartete. Der Heiler hatte eine Laterne mitgebracht und leuchtete ihnen den Weg in das kleine Lazarett, das seit Jahren nicht mehr genutzt worden war.

»Er hat seit gestern Abend fast ununterbrochen Magie angewandt.« Obwohl er in der Schlacht vor Theroia gesehen hatte, wie vom Zaubern entkräftete Elfen zusammengebrochen waren, wusste Leones nicht, ob es lebensgefährlich war oder bleibende Schäden hinterließ. Er fürchtete das Schlimmste. Vielleicht hätte er Danael und Sturmlöwe doch eine zweite Rast gönnen sollen. Aber sie waren Späher. Es war ihre verdammte Pflicht, den Ersten so schnell wie möglich vor Gefahren zu warnen.

Perian stieß die Tür zum Lazarett auf und tänzelte trotz seiner für einen Elf ungewöhnlich stämmigen Figur aufgeregt umher. »Legt ihn hier ab!« Hektisch zerrte er die eingestaubte Decke vom Krankenbett. »Ich werde nachsehen, ob ihm noch etwas anderes fehlt. Wenn ich nichts finde, sollte es ihm bald besser gehen.«

»Dann ist es nicht gefährlich?«, vergewisserte sich Theremon.

Leones hatte dieselbe Frage auf der Zunge gelegen. Auch wenn Danaels Haut immer blass und durchscheinend aussah, wirkte sie selbst im gelblichen Licht der Laterne noch bleicher als sonst.

»Das kann ich erst mit Sicherheit sagen, wenn ich ihn untersucht habe«, wehrte der Heiler ab. »Helft mir lieber, es ihm bequemer zu machen!«

Zu dritt richteten sie Danaels Oberkörper auf, damit Perian ihm den umgehängten Bogen, den Köcher und die Provianttasche abnehmen konnte. Danach legten sie ihn wieder ab, und der Heiler öffnete die Schnalle des Schwertgurts, während Theremon nach einem von Danaels Stiefeln griff. Wortlos bedeutete er Leones, ihm zur Hand zu gehen. Jemand musste gegenhalten, denn sie saßen so fest, dass er den Ohnmächtigen sonst mitsamt dem Schuhwerk vom Bett gezogen hätte. Je länger sie an Danael herumzerrten, ohne dass er erwachte, desto besorgter wurde Leones. Musste es nicht übel um seinen Kameraden stehen, wenn er nichts davon bemerkte? Und je schlimmer es Danael ging, desto verdächtiger war seine eigene Unversehrtheit.

»Sag mir Bescheid, wenn du mehr weißt«, forderte Theremon. »Du findest mich in meinem Quartier. Leones, mitkommen!«

Widerstrebend folgte Leones seinem Vorgesetzten. Er wäre lieber geblieben, bis der Heiler bestätigte, dass Danael nur etwas Ruhe brauchte, doch dann erinnerte er sich an seine Pflichten. Womöglich drohte den Elfenlanden schon wieder Gefahr, obwohl sie gerade erst diese verheerende Flutwelle heimgesucht hatte. Die Küste war zwar mehrere Tagesritte entfernt, aber die Nachricht hatte Nehora per Botenfalke erreicht – zusammen mit dem Befehl, die Hälfte der Besatzung als Nothelfer nach Süden zu schicken.

Leones ging schneller, um Theremon einzuholen. »Wenn es nicht dringend gewesen wäre, hätte ich Danael mehr geschont, aber wir waren beide der Ansicht, dass Ihr schnellstens von dem Vorfall erfahren müsst.«

Der Erste fuhr herum. »Todverdammt, Leones, ihr habt einen Greif verloren! Jetzt haben wir nur noch einen einzigen, und wer weiß, ob er sich je wieder erholen wird.« Wütend gestikulierte er zum Wehrgang hinauf, wo sich Sturmlöwes Umriss abzeichnete. Der Greif lag immer noch so da, wie Leones ihn verlassen hatte.

Sogleich meldete sich Leones’ schlechtes Gewissen. »Ich sollte ihm Wasser und etwas Fleisch bringen.«

»Herr des Seins!«, fluchte Theremon. »Perian soll sich um ihn kümmern, wenn er mit Danael fertig ist. Du wirst mir jetzt endlich Bericht erstatten!« Ohne sich noch einmal umzusehen, stürmte er über den Hof.

Zornig ballte Leones die Fäuste, doch auch er befand sich im Zwiespalt. Es gab niemanden, dem sie auftragen konnten, sich sofort um Sturmlöwe zu kümmern. Die berittene Patrouille würde erst im Morgengrauen von ihrer Wache zurückkehren. Leones schlug die Tür zu Theremons Quartier hinter sich zu, dass es krachte. Wie sollten sie ihre vielen Pflichten erfüllen, wenn die Hälfte der Besatzung im Süden aushalf?

Der Erste trat hinter seinen Schreibtisch und warf Leones einen strafenden Blick zu. Seine Tür durfte wohl nur er misshandeln. Gereizt verschränkte Leones die Arme vor der Brust. Als Befehlshaber stand Theremon neben privaten Räumlichkeiten auch dieses Arbeitszimmer zu, das ihm zugleich als bescheidener Empfangssaal diente. Bei Tag fiel genug Sonnenlicht durch die kunstvoll geflochtenen Fenstergitter, doch jetzt wurde es nur von einer Kerze erhellt. Offenbar hatte der Erste hier gesessen und gelesen, sonst hätte sie nicht mehr gebrannt.

»Wer hat euch angegriffen?«

Leones machte eine vage Handbewegung. »Wegen des Nebels konnten wir sie nicht genau sehen, aber ich glaube, dass es Untote waren.«

»Untote?« Theremon runzelte die Stirn. Wie Leones hatte er vor Theroia gekämpft, hatte dort Freunde und Kameraden verloren – und seinen Greif. Die Chimäre war in den Flammen des untoten Drachen verbrannt.

»Sie müssen unter Wasser gelauert haben, und nachdem sie Wildfang geschnappt hatten, hielten sie ihn fest, ohne nach oben zu kommen«, berichtete Leones. »Wenn sie atmen würden, hätten sie niemals so lange dort ausharren können.«

Die steilen Falten zwischen Theremons Brauen wurden immer tiefer. Obwohl der Erste noch längst nicht das Alter dafür hatte, waren sie stets da – als hätte er von Kindesbeinen an Tag für Tag gegrübelt oder gar Schmerzen erlitten. Selbst wenn er lächelte, verliehen sie ihm einen grimmigen Ausdruck, und er lächelte fast nie. »Könnten es nicht irgendwelche Nymphen gewesen sein? Oder Flussmänner?«

Leones zögerte. Von Nymphen und Wassermännern verstand er nichts. Er hatte stets fern von großen Flüssen und Seen gelebt und kannte diese Wesen nur aus Geschichten. »Sagt man Nymphen nicht nach, ihre Opfer mit Zauberei zu umgarnen?« Außerdem sollten sie sehr anmutig sein. Energisch schüttelte er den Kopf. »Nein, das waren hässliche, dunkle Gestalten, und es waren verdammt viele. Um uns herum waren die Tümpel voll von ihnen.«

»Es gab nie viele Menschen in den Sümpfen. Wo sollten die Leichen also herkommen?«, zweifelte Theremon.

»Aber sie waren da! Allein schon diese gespenstische Stille … Nur Untote greifen so lautlos an.«

Mit feindseliger Miene kam der Erste um seinen Schreibtisch herum. In seinen Bewegungen lag etwas Lauerndes, so als ob er Leones jeden Moment anfallen würde. »Der Menschenkönig hat die Untoten gebannt. Er hat sie zurück ins Nichts geschickt. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie gehorsam in ihre Gräber gewankt sind.«

Ja, und? Leones hatte es ebenfalls gesehen, aber was änderte das? »Vielleicht handelt es sich um ein anderes Volk.«

Theremon baute sich vor ihm auf und deutete auf ihn. »Ich sag es dir jetzt geradeheraus: Ich traue dir nicht. Ich stand daneben, als Kavarath sein Geständnis abgelegt hat. Woher weiß ich, dass du seine Intrigen nicht weiterspinnst? Wer garantiert mir, dass du Danaels Greif nicht irgendwelchen dunklen Mächten geopfert hast, um neues Unheil heraufzubeschwören?«

Einen Moment lang war Leones sprachlos. Er hatte geahnt, dass sie ihn für einen Verräter hielten. Schließlich war er genau das. Doch diese Vorwürfe … Er rang nach Worten. »Danael hat alles gesehen. Er …«

»… ist halb tot«, schnappte Theremon. »Du solltest hoffen, dass er bald aufwacht und dich entlastet. Bei allen Astaren, du bist der einzige verbliebene Fernspäher. Ich sollte dich bei Sonnenaufgang ausschicken, um mehr über diese Untoten zu erfahren, aber wie soll ich dir unter diesen Umständen vertrauen?«

»Das weiß ich nicht«, erwiderte Leones kalt. Innerlich zitterte er vor Wut und wandte sich rasch ab. »Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet, ich muss mich um Sturmlöwe kümmern.«

* * *

In der Morgendämmerung schreckte Athanor aus einem Albtraum auf. Überall hatten Flammen gewütet, und Elanya hatte um Hilfe geschrien. Doch das Schlimmste war der große schwarze Schatten gewesen, in dessen Klauen sie sich gewunden hatte. Hadons Fluch! Er konnte nur wünschen, dass die elfischen Legenden der Wahrheit entsprachen und Elanyas Seele in dieses Ewige Licht gegangen war – bevor es der Riese zerstört hatte. Aber was war dabei mit den Seelen der Elfen geschehen? Athanor entwich ein Knurren. Er hatte genug davon, sich für jedes Unheil der Welt verantwortlich zu fühlen. Das Ewige Licht ging ihn nun wirklich nichts an.

Als er aufstand, pochte es in seinem Schädel wie nach einer durchzechten Nacht. Durch die Wunde auf der Stirn fuhren scharfe Stiche wie von einer Nadel, doch er hatte schon Übleres ausgestanden. »Ist der Himmel bedeckt?«, erkundigte er sich bei Akkamas, der bereits angezogen an einem der Fenster stand.

»Dunstiger denn je. Aber die Sonne scheint ohnehin noch hinter den Gipfeln verborgen zu sein.«

»Hast du auch den Eindruck, dass sie schwächer wird?«, fragte Athanor, während er sich anzog. Mit dem vernarbten Arm war es noch immer nicht leicht. Die Haut spannte nicht nur über dem Ellenbogen, aber dort am meisten. Kurzerhand rieb Athanor sie mit dem elfischen Duftöl ein, das neben der Waschschüssel stand, und hoffte, dass es sie geschmeidiger machte.

»Betörend«, spottete Akkamas. »Du riechst wie ein Jasminbusch in voller Blüte.«

»Dann halt mir besser die gefräßigen Pferde vom Leib«, brummte Athanor und ging in den Garten hinaus. Orkzahn lag noch schnarchend unter einer großen Linde, aber einige Elfen waren bereits auf den Beinen. Sie bewegten sich jedoch wie Schlafwandler und schenkten ihnen keine Beachtung.

Ungeduldig lief Athanor vor Peredins Gemächern auf und ab und wartete darauf, dass ihn der Erhabene hereinbat. Durch die Fenster hatte man ihn sicher längst gesehen. Bleibt er aus Verzweiflung im Bett liegen, oder was? So konnte es nicht weitergehen. Gerade als er beschloss, ungehalten an die mit geschnitzten Blumenranken geschmückte Tür zu klopfen, öffnete sie sich, und Peredin hastete über die Schwelle. Mit einem Nicken wollte er an Athanor vorübereilen.

Das kann doch nicht wahr sein! Entschieden schnitt ihm Athanor den Weg ab. »Erhabener, ich muss Euch unbedingt sprechen.«

Peredins Gefolge warf ihm finstere Blicke zu.

»Ich bedaure, Athanor, aber Ihr begreift nicht, was gestern geschehen ist. Mein Volk ist dem Untergang geweiht. Der Hohe Rat muss schnellstens herausfinden, ob es noch Rettung für uns gibt«, erklärte der Erhabene und hastete weiter.

Athanor wollte ihn am Arm festhalten, doch ein anderer Elf packte sein Handgelenk mit eisernem Griff.

»Du wirst den Erhabenen nicht anfassen, Mensch!«

Einen Moment lang starrte Athanor dem Fremden in die Augen. Da war er wieder – dieser Blick, der ihm sagte, dass er ein unreines, haariges Tier war. Widerwillig geduldet, bis es einen Grund lieferte, es endlich zu beseitigen. Wütend riss er sich los und wich zurück, bevor ihm die Faust ausrutschen konnte. Denn Omeon hatte recht. Gegen den Dunklen würden sie nur gemeinsam bestehen – falls es nicht längst zu spät war.

Der Fremde schoss ihm einen letzten bösen Blick zu, bevor er Peredin eilig folgte.

»Ist es Gesandten anderer Völker nicht gestattet, dem Hohen Rat ihre Anliegen vorzutragen?«, erkundigte sich Akkamas.

»Ich bin nicht sicher«, gab Athanor zu. »Aber heute werden sie gewiss niemanden anhören. Alles dreht sich um dieses Ewige Licht.«

»Dann warten wir bis morgen?«

»Dafür fehlt uns die verdammte Zeit! Die Flüchtlinge könnten die Küste schon erreichen, und die Elfen werden sie nicht willkommen heißen. Nicht einmal in Sianyasa, das meine einzige Hoffnung war.«

»Was befürchtest du?«

»Dass die Grenzwächter ihren Zorn über die Wiedergänger an ihnen auslassen. Sie hassen Menschen. Wäre Elanya nicht gewesen, hätte mich Davaron schon bei unserer ersten Begegnung getötet. Ich durfte die Elfenlande nur betreten, weil sie mehr über die Vernichtung der Menschen erfahren wollten.«

»Und dieser Erhabene könnte verfügen, sie als Gäste zu behandeln«, folgerte Akkamas. »Dann sollten wir ihm …«

Athanors Aufmerksamkeit schweifte ab, als jemand aus einer anderen Tür des Anwesens trat. Der Waffenrock aus mehreren Lagen Rohseide und die strengen Züge waren unverkennbar. »Mahalea!«

Die Elfe warf ihm nur einen geringschätzigen Blick zu und wollte davongehen.

»Kommandantin!«, rief Athanor und eilte an ihre Seite.

»Fall mir nicht lästig! Ich habe jetzt keine Zeit für dich.«

»Ich bin König eines Menschenvolks und euer Retter vor Theroia. Ich habe verflucht noch mal mehr Respekt verdient!«

»Bleibt Ihr mir vom Hals, wenn ich höflich zu Euch bin, König der Toten?«

»Das Volk, von dem ich spreche, lebt und ist auf dem Weg hierher – zumindest ein paar Schiffe voll.«

»Was?« Abrupt blieb Mahalea stehen und sah ihn an.

Ah, jetzt habe ich deine Aufmerksamkeit. »Es sind nur wenige Dutzend Menschen. Ihr Land wurde von Drachen zerstört, und sie sind dort noch immer in Lebensgefahr.«

»Wie könnt Ihr es wagen …«

»Elfische Seeleute von den Abkömmlingen Thalas bringen sie über den Ozean. Sie sollen auch nicht lange bleiben«, versicherte er. »Ich will sie weiter nach Theroia führen.«

Mahalea stemmte die Hände in die Hüften und starrte ihn an. Er konnte förmlich spüren, wie ihre Aufregung zu kaltem Zorn abkühlte. »Durch die Elfenlande. Obwohl Ihr genau wisst, dass es verboten ist.«

»Sie zu umgehen, bedeutet einen Umweg von mindestens einem Mond – wenn man Verpflegung hat. Die haben wir aber nicht, und es wird bald Winter.«

»Das hättet Ihr Euch vorher überlegen sollen. Auch mein Volk steht am Rande der Vernichtung. Ich kann nichts für Euch tun.« Schon wollte sie sich abwenden, doch dieses Mal war es Akkamas, der sich ihr in den Weg stellte. Kühl maß sie den dionischen Krieger mit ihren Blicken.

»Das könnt Ihr sehr wohl!«, fuhr Athanor auf. »Weist die Grenzwache an, meinen Leuten freies Geleit zu geben!«

»Ohne mir selbst ein Bild von den Truppen zu machen, die Ihr mir womöglich unterjubeln wollt? Wer sagt mir, dass sie nicht alle verwandelte Drachen sind, die sich unerkannt nach Anvalon schleichen wollen?«, fragte sie mit einer Geste gen Akkamas.

»Ich versichere Euch, dass ich einmalig bin«, erklärte der Dionier schmunzelnd und verneigte sich. »Mich mit den hilflosen Menschen auf diesen Schiffen zu vergleichen, grenzt an eine Beleidigung.«

Irritiert musterte Mahalea ihn noch einmal, bevor sie sich wieder an Athanor wandte. »Wann sollen sie eintreffen?«

»Heute, gestern, morgen. Sie könnten bereits hier sein.«

Mahalea schüttelte den Kopf. »Dann habt Ihr zu verantworten, wenn die Grenzwache sie tötet. Angesichts der Lage kann ich nicht einfach für ein paar Tage davonreiten. Und da ich meinen Greif misshandeln musste, um schnellstmöglich hier zu sein, kann ich auch nicht fliegen.«

»Ist er tot?«, fragte Akkamas überrascht.

»Nein, aber er wird nicht zu mir zurückkommen.«

Verdammt! Ich hatte sie fast so weit!

»Hm, ich könnte Euch hinbringen«, schlug Akkamas vor. »Wenn es keine Verzögerungen gibt, könntet Ihr Euren Wächtern neue Anweisungen geben und schon morgen wieder hier sein.«

Sie sah ihn an, als ob er um ihre Hand angehalten hätte. »Ich soll auf einem Drachen fliegen? Die Kommandantin der Wache?«

»Es ist erst wenige Jahrtausende her, dass es eine Streitmacht aus Elfen und Drachen gab«, behauptete Akkamas.

»Der Krieg gegen Imeron ist lange vorbei, und nicht alle Drachen standen auf der richtigen Seite«, erwiderte Mahalea kühl.

»Das tun wir nie«, gestand Akkamas freimütig. »Wir sind nun einmal ein Volk von Einzelgängern, denen die eigene Meinung über alles geht.«

»Also warum nicht?«, drängte Athanor. »Habt Ihr etwa Angst?« Das würde sie sich bestimmt nicht nachsagen lassen.

Tatsächlich straffte Mahalea die für eine Elfe breiten Schultern. »Ich bin eine Tochter Heras. Ich fürchte das Fliegen nicht.«

»Dann sollten wir endlich aufbrechen«, riet Akkamas.

Athanor 4: Die letzte Schlacht

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