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Als Laurion erwachte, war es still. Das Wasser rauschte nicht mehr um den Bug. Kein Wind heulte. Stattdessen drangen Schnarchen und fernes Vogelzwitschern an sein Ohr. Das Schiff schaukelte, als ob es vor Anker lag. Und hätte da nicht eine Hand sein müssen, die seine hielt? Nemera. Laurion schreckte auf und stieß gegen die Bank, unter der sein Kopf steckte. »Au!«

Mit dröhnendem Schädel schob er sich unter dem Brett hervor, was jähen Schmerz durch seine Schulter jagte. Ächzend ließ er den Kopf wieder auf die Planken sinken und beschloss, sich nie wieder zu rühren.

»Du musst nicht traurig sein, wenn du stirbst«, sagte Rhea. »Ich kann dich dann immer noch sehen. Und mit dir reden.«

Laurion öffnete die Augen. Das Mädchen lag direkt neben ihm und blickte ihm ernst ins Gesicht.

»Ich würde es trotzdem vorziehen, nicht zu sterben. Falls es sich vermeiden lässt. Wie geht’s den anderen? Sind wir entkommen?« Es war hell, aber nicht sonnig. Wenn Laurion den Kopf ein wenig drehte, sah er dichten Nebel.

»Die schlafen fast alle. Mentes mit den komischen Locken ist tot. Sie wollten ihn über Bord werfen, damit das Schiff leichter wird, aber das ist gemein. Er will in einer richtigen Gruft beigesetzt werden. Das hab ich ihnen gesagt.«

Jetzt müssen wir nicht nur die Wünsche der Lebenden, sondern auch noch der Toten erfüllen. »Und wo sind wir?«

»Irgendwo im Schilf. Mahanael sagt, im Nebel finden sie uns nicht.«

Laurion seufzte. Das klang nicht nach einem langfristigen Plan. »Ich muss mit ihm sprechen. Wir können uns hier nicht ewig verstecken.« Mit zusammengebissenen Zähnen stemmte er sich hoch. Das Schwanken des Boots und der Schmerz ließen ihn schwindeln, doch er schaffte es, auf den Füßen zu bleiben – er musste es, denn ein Sturz auf den Pfeil würde entsetzliche Qualen auslösen. Wie von selbst suchte sein Blick als Erstes nach Nemera. Sie saß an ihre Zofe Sirkit gelehnt, und die beiden Frauen stützten sich gegenseitig im Schlaf. Selbst Djefer war am Ruder eingenickt und lehnte schnarchend am Hintersteven.

»Emmos haben wir den Pfeil schon rausgezogen«, berichtete Otreus, der als Einziger Wache hielt. »Ich hätte auch bei Euch längst Hand angelegt, aber die Regentin wollte Euch nicht wecken.«

Noch mehr Schmerzen … Irgendwann musste es sein, und doch schob es Laurion wieder auf. »Gleich«, wehrte er ab. »Zuerst muss ich mit Mahanael besprechen, wie es weitergehen soll.«

Otreus brummte nur zustimmend. Miteinander vertäut lagen die Schiffe Bordwand an Bordwand. Auf der Kaysas Segen schliefen oder dösten alle. Laurion zögerte, aber sie mussten weiter, bevor sich der Nebel auflöste und sie neuen Angriffen preisgab. Als er stöhnend über die Bordwand stieg, öffnete Mahanael sofort die Lider. »Entschuldige«, bat Laurion. »Ich weiß, dass du Ruhe brauchst, aber …«

Mahanael winkte ab und setzte sich auf. »Wir Elfen kommen mit wenig Schlaf aus. Ich hätte mich nicht hingelegt, wenn ich noch irgendetwas ausrichten könnte, aber meine Magie war versiegt.«

»Dann kommen wir hier ohne deine Zauberkraft nicht weg?« Laurion fröstelte in der feuchten Morgenkühle.

»Der Nebel ist Fluch und Segen zugleich. Er verbirgt uns, aber er bedeutet auch windstilles Wetter. Und ohne Wind kommen wir nicht gegen die Strömung an.«

»Du willst flussaufwärts? Wäre es nicht klüger, zum Meer zurückzukehren?«

»Ja«, gab der Elf zu. »Aber genau das erwarten sie. Und wir hätten direkt an Everea vorbeifahren müssen. Dort hätten sie uns mit Sicherheit den Weg abgeschnitten. Deshalb habe ich die Richtung stromaufwärts gewählt.«

»Und jetzt sitzen wir hier fest.«

»Ich kann keine Wunder vollbringen.« Mahanael klang zerknirscht, aber auch etwas trotzig.

»Glaub mir, ich weiß, wie es ist, wenn alle Wunder von dir erwarten. Das ist unser Schicksal als Magier. Aber wenn sie es nicht tun, fehlt es mir sogar.«

Der Elf lachte leise. »Ohne dich wären sie gestern alle gestorben. Das ist Wunder genug.«

»Ohne dich allerdings auch«, betonte Laurion.

»Jetzt kümmern wir uns erst einmal um diesen Pfeil in deiner Schulter.« Mahanael stand auf und bedeutete Laurion, sich zu setzen.

»Wird das nicht schrecklich bluten?« Was für ein armseliger Versuch, es hinauszuzögern …

»Das wäre gut«, behauptete Mahanael. »Es spült die schlechten Säfte aus dem Körper, die sonst das Fleisch faulen lassen.«

»Du verstehst es, einem Verwundeten Mut zu machen.«

»Nicht jeder kann ein Talent für alles haben. Lass den Arm einfach hängen und beiß in den Ärmel des anderen!«

Widerstrebend grub Laurion seine Zähne in den Stoff, doch im nächsten Augenblick schlug er sie mit einem gedämpften Schrei hinein, dass die Fasern knirschten. Tränen quollen ihm zwischen zusammengekniffenen Lidern hervor, während Mahanael die Pfeilspitze aus dem Loch in der Robe friemelte.

»Schon vorbei«, verkündete der Elf und zeigte ihm die blutige Spitze.

Abwehrend hob Laurion die Hand und sah weg. Über seinen Rücken rann etwas Warmes, aber es schien weniger zu sein, als er befürchtet hatte. Das neuerliche Brennen in der Wunde ließ so bald nach, dass er sich fragte, ob man sich an Schmerzen gewöhnte, wenn sie immerzu wiederkamen.

»Braucht er keinen Verband?«, fragte Rhea von der Kemethoë herüber. Auch etliche andere waren aufgeschreckt und blickten Mahanael und Laurion an.

»Später«, antwortete der Elf. »Wenn die Blutung aufgehört hat. Aber du solltest die Robe ablegen, sonst wird sie mit der Wunde verkleben.«

»An dir ist doch ein Heiler verloren gegangen«, befand Laurion und stieg zurück auf die Kemethoë.

»Ich wünschte, es wäre so. Oder Meriothin wäre noch bei uns. Denn ich weiß nicht, wie man ohne Heilmagie Wundfieber verhindert.«

Laurion seufzte. »Aufmuntern ist wirklich nicht deine Stärke.« Schon fühlte er sich fiebrig, und vielleicht erklärte es auch den Schwindel, der ihn erneut befiel.

»Djefer, aufwachen!«, rief Mahanael, während sich Laurion wieder hinlegte. »Wir brechen auf!«

»Und wie kommen wir voran?«, fragte Emmos verblüfft. An seinem Arm prangte bereits ein Verband aus Streifen eines zerrissenen Kittels.

»Für ein wenig Wind kann ich wieder sorgen, nur werden wir nicht annähernd so schnell sein wie zuvor.«

»Aber was machen wir, wenn sich der Nebel lichtet?«, wollte Nemera wissen. »Auf dem breiten Fluss werden wir weithin zu sehen sein.«

»Das ist wahr, Herrin«, pflichtete Otreus ihr bei. »Aber wir dürfen unseren Vorsprung nicht gänzlich verspielen.«

Rasch setzten die Seeleute der Kaysas Segen das Segel und lösten die Boote bis auf ein Tau voneinander. Mahanael lenkte sein Schiff aus dem Seitenarm hinaus und zog die Kemethoë hinter sich her. Wachsam spähte Otreus in den Nebel, doch im grau-weißen Dunst rührte sich nichts. Laurion streifte die Robe ab und fror augenblicklich. Hastig breitete er sie wie eine Decke über sich. Bald hob sich der Nebel schneller als erwartet. Zwar blieb die Sonne eine blasse Scheibe, aber die Sicht reichte weiter, als ihnen lieb war. Und wie Mahanael befürchtet hatte, blieb natürlicher Wind aus. Laurion fiel ein, dass Eleagon kein Segel brauchte, um ein Schiff anzutreiben. Es ging zwar langsamer als mit Mahanaels magischem Wind, aber wenn die Abkömmlinge Ameas Wassermagier waren, hielt sie die Flaute demnach nicht auf. Bei dem Gedanken trat Laurion Schweiß auf die Stirn. Oder hielt ihn nur das Wundfieber fester im Griff?

»Ich muss uns unsichtbar machen«, murmelte er. Zwei Schiffe, so viele Menschen, das große Segel … Wenn er eines schaffte, dann auch zwei, oder nicht?

»Das ist gut«, lobte Rhea. Seit wann saß sie wieder bei ihm? »Ich helfe dir.«

Laurion rang sich ein Lächeln ab. Immerhin meinte sie es gut. Eifrig streckte sie sich neben ihm aus und legte den Kopf so dicht an den seinen, dass sich ihre Stirnen beinahe berührten. Woher hatte sie diesen Einfall? Ah, die fahrenden Seherinnen! Auf Märkten boten sie ihre Dienste als Wahrsagerinnen feil und taten so, als würden sie sich mit den Gedanken der Kunden verbinden. Natürlich hatten diese Darbietungen nichts mit echter Magie zu tun. Nie hätte der Magierorden diese Scharlataninnen aufgenommen. Sie zogen den Gutgläubigen nur die Münzen aus den Beuteln.

»Hast du das auf dem Markt in Ehala gesehen?«, fragte Laurion.

Rhea schien einen Augenblick überlegen zu müssen. »Ja. Mama hat es immer gemacht.«

»Deine Mutter war eine fahrende Seherin?« Ich hätte sie längst nach ihrer Familie fragen sollen. Doch es war ihm zu grausam erschienen, sie an diesen Verlust zu erinnern.

»Sie hat den Leuten in den Kopf gesehen«, erklärte Rhea stolz.

Und Rhea sieht Geister. War an diesen Wahrsagerinnen doch mehr, als er ihnen zugetraut hatte? Aber mit Hellseherei verbarg man noch lange kein Schiff vor feindlichen Blicken. »Gut, äh, dann erinnere dich daran, was wir geübt haben. Woran musst du denken?«

Rhea schloss die Augen. »Ihr seht uns nicht«, flüsterte sie. »Wir sind der Fluss.«

»Sehr gut. Mach im Stillen weiter!« Schaden konnte es schließlich nicht. Auch Laurion schloss die Lider und stimmte sich ein. Es war leichter, etwas verschwinden zu lassen, das er berührte, deshalb machte ihm die Kemethoë wenig Sorgen, aber er konnte sich nicht auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren. Irgendwie musste er es schaffen, sie als Einheit zu betrachten. Das Tau. Wie eine Nabelschnur verband es die Schiffe. Perlen auf einer Schnur. So könnte es gehen. Deutlich sah er das Bild jetzt vor sich. Nun musste er nur noch seine Magie darauf lenken. Innerlich ließ er sich fallen. Ihr seht uns nicht, denn wir sind der Fluss. Der Rest Morgennebel, der nicht weichen will.

Plötzlich glaubte er, Rhea flüstern zu hören, doch nicht mit seinen Ohren. »Ihr seht uns nicht, denn wir sind das Wasser. Das Wasser, auf dem sich die Sonne spiegelt.«

Er war so überrascht, dass er die Augen öffnete und ihm das Bild entglitt. Konnte sie wirklich …

»Gütige Urmutter!«, entfuhr es Sirkits Tante. »Was ist das?« Sie klang so alarmiert, dass sich Laurion hastig aufsetzte. Ihr ausgestreckter Arm wies zum Himmel.

Otreus sprang auf. »Ein fliegendes Schiff!«

* * *

Athanor versuchte, möglichst gelassen zwischen Flügel und Stachelkamm zu sitzen, wo der Drachenrücken am breitesten war, doch gegen Mahaleas Furchtlosigkeit kam er sich lächerlich vor. Immer wieder stand sie aufrecht im Wind, den der schnelle Flug mit sich brachte, und um auf die Elfenlande hinunterzusehen, trat sie dorthin, wo es bereits abschüssig war.

Kunststück. Sie kann eben nicht fallen. Mit ihrer Magie würde sie einen Sturz in sanftes Hinabschweben verwandeln oder sich womöglich wieder auf Akkamas’ Rücken schwingen. Er dagegen … sah immer noch Eleagons zerschmetterten Körper am Fuß der Ordensburg liegen. Die vielen Brüche waren im zerfressenen Leichnam des Elfs deutlich zu erkennen gewesen. Nur die seltsame Kraft, die die Untoten in einem Stück hielt, hatte die Knochen zusammengefügt.

»Ich habe Euch noch nicht gedankt«, stellte Mahalea unvermittelt fest.

Athanor blickte auf. »Mein Verdienst war es nicht. Gegen dieses Ungetüm hätte ich rein gar nichts ausrichten können.« Verfluchte Wiedergänger. Er musste den Grund dafür herausfinden, sonst würden sich offenbar immer mehr erheben.

»Mein Dank gilt natürlich dem Drachen«, erwiderte die Kommandantin. »Es war selbstlos, dass Ihr Euch zwischen Anvalon und den Giganten geworfen habt. Mein Volk steht in Eurer Schuld, Akkamas.«

»Schmeichelt Ihr mir, um in Zukunft auf Greife verzichten zu können?«

Mahalea lachte bitter auf. »Ich wünschte, das wäre alles, worum ich mich sorgen muss.«

»Verzeiht mir«, bat der Drache. »Ich wollte es nicht an Respekt vor dem Unheil mangeln lassen, das Euer Volk getroffen hat. Aber ich habe nicht selbstlos gehandelt. Hinter diesen Untoten steht eine Macht, die der Feind allen Lebens ist. Ich habe meine Seite in diesem Kampf längst gewählt.«

Der untadelige, gute Held. Und schneidig anzusehen obendrein. Mahaleas kratzbürstige Art war sicher genau nach Akkamas’ Geschmack. Eine kleine Herausforderung nebenbei. Dann wollen wir es dir mal nicht zu einfach machen. »Glaubst du, dass du den untoten Riesen auch allein überwunden hättest?«

Irritiert sah sich Mahalea nach Athanor um. »Habt Ihr nicht gesagt, dass es allein sein Verdienst war?«

»Ich rede nicht von mir.«

»Der Kaysar spielt auf den Geist eines toten Drachen an, der uns zu Hilfe gekommen ist«, erklärte Akkamas. »Und ich fürchte, dass Eure Elfenmagier und ich ohne diese Unterstützung bald unterlegen wären. Mein Feuer allein hätte nicht ausgereicht, um sein aufgeschwemmtes Fleisch so großflächig in Brand zu setzen.«

»War es wirklich nur einer?«, hakte Athanor nach. »Ich frage mich nämlich, ob wir diese verfluchten Kletten mit über den Ozean gebracht haben.«

»Ich bin sicher, dass es lediglich einer war«, antwortete Akkamas. »Ich glaube, die Gegenwart meiner Schwester Berekket gespürt zu haben.«

Der einzige Drache, der sich dem Verrat an Theroia verweigerte. Und dafür starb. Athanor fand keine Worte dafür, was sein Freund dabei empfinden musste.

»Aber das bedeutet nicht, dass wir vor Verfolgern sicher sind«, gab Akkamas zu. »Ich verstehe zu wenig von Geistern, um es beurteilen zu können.«

»Dann seid Ihr mit diesen anderen Menschen vor Geistern geflohen?« Mahaleas Ton verriet, dass sie an solche Gespenster nicht glaubte.

»Jedenfalls nehmen wir an, dass es die Geister toter Drachen sind«, schränkte Akkamas ein. »Das Gefährliche an ihnen ist ja, dass wir sie nicht sehen.«

»Sie speien verdammt heiße Flammen, und fliegen können sie auch!«, fuhr Athanor auf. »Was zum Dunklen sollen sie sonst sein?«

»Wie dem auch sei«, sagte Mahalea. »Nun seid Ihr hier und stehlt meine Zeit.«

»Ich werde Euch daran erinnern, wenn Ihr mal wieder meine Hilfe braucht.«

»Davor mögen uns sämtliche Astare bewahren.«

»Ist das der Everos?«, fragte Akkamas so beiläufig, als hätte er den Streit nicht bemerkt.

Mahalea sah auf die hügelige Landschaft hinab, durch die sich ein breites silbriges Band schlängelte. »Ja, das ist er. Folgt einfach dem Fluss! Er führt uns direkt nach Everea, von wo aus meine Leute ihre Spähflüge wieder aufnehmen sollen.«

»Wurde die Stadt auch von der Flutwelle getroffen?«, erkundigte sich Athanor.

»Nein, sie liegt weit genug von der Küste entfernt.«

Mehr einfühlsame Fragen wollten ihm nicht einfallen. Wenn Mahalea kein Mitleid kannte, würde er sie mit Freundlichkeit auch nicht erweichen. Schweigend starrte er auf den Fluss hinab und hing düsteren Gedanken über ihren Gegner nach. Sollte der Dunkle die Elfenvölker durch diesen heimtückischen Angriff bereits besiegt haben, bevor sie begriffen, dass sie sich im Krieg befanden? Würden sie überhaupt noch kämpfen, wenn sie alles verloren glaubten? Er musste mit diesem Omeon sprechen, um mehr zu erfahren. Erst dann würde er Peredin von einem Bündnis überzeugen können.

Im ersten Augenblick hielt er den weißen Fleck über dem Fluss für eine ungewöhnlich niedrig hängende Wolke, doch irgendetwas an der Form erregte seine Aufmerksamkeit. Schon waren sie ein Stück näher, sodass er das Gebilde besser erkennen konnte. Für eine Wolke war es an einigen Stellen zu kantig.

»Ah, eine der Luftbarken, mit denen Euer Volk einst die Orkheere das Fürchten lehrte«, rief Akkamas.

»Wohl eher ein gefundenes Fressen für Drachen«, spottete Athanor.

Mahalea warf ihm einen bösen Blick zu, bevor sie sich wieder Akkamas zuwandte. »Diese Barke sollte nicht hier sein, sondern die Küste abfliegen. Ich muss wissen, warum sie gegen meine Befehle verstößt.«

Hinter der fliegenden Barke kamen am Ufer mehrere Schiffe in Sicht. Eines unterschied sich in seiner Form von den Elfenbooten, ein anderes besaß ein aus unterschiedlichen Farbtönen zusammengestückeltes Segel. Athanor merkte auf. »Das ist die Kemethoë! Und die Kaysas Segen! Eure Leute haben die Dionier gestellt!«

Allmählich kamen sie nah genug, um neben den angelandeten Schiffen etliche Gestalten zu erkennen. Doch selbst auf der Barke schienen alle zu sehr von den Geschehnissen am Boden gefesselt, um den nahenden Drachen zu bemerken.

»Dann sind sie weit gekommen«, ärgerte sich Mahalea. »So etwas darf uns nicht mehr passieren!«

Am Ufer konnte Athanor nun mehrere Gruppen unterscheiden. Einige Bewaffnete hielten die Flüchtlinge in Schach, die sich ängstlich zusammendrängten. Zwischen den anderen Elfen schien es jedoch Streit zu geben, denn sie standen sich unverkennbar drohend gegenüber. Gerade als Athanor anfing, zornige Stimmen zu hören, entdeckte jemand am Boden den Drachen und schrie eine Warnung. Alle Blicke richteten sich auf Akkamas. Auch die Besatzung der Barke fuhr aufgeschreckt herum.

»Nicht schießen!«, rief Mahalea. »Ich befehle Euch, unverzüglich zur Küste zurückzukehren und sie zu sichern! Was fällt euch ein, von meinen Anweisungen abzuweichen? Der nächste Riese könnte bereits gen Anvalon stampfen!«

Verdattert starrte die Mannschaft ihre Kommandantin und den Drachen an, der auf Augenhöhe vor ihnen in der Luft stand.

»Ihr habt gehört, was sie gesagt hat«, brüllte ein Elf im Heck. »Abdrehen! Kurs auf Everea!«

»Aber wir haben doch nur …«, begann ein anderer an Mahalea gerichtet.

»Schon zwei Giganten haben unser Land verwüstet!«, brüllte sie. »Sollen es mehr werden, während ihr ein paar harmlose Menschen jagt?«

Harmlos. Aha. Darauf kommen wir zurück.

Der Elf blieb die Antwort schuldig, und die Barke nahm rasch Fahrt auf. Unten am Ufer erkannte Athanor Grenzwächter, aber vor allem Krieger der Abkömmlinge Ameas, von denen es nur wenige bei der Wache gab. In Anvalon galten sie deshalb als besonders friedliches Volk, aber bei diesem Anblick bekam Athanor Zweifel.

Ohne auf eine Anweisung zu warten, landete Akkamas neben den Schiffen. Die Bewaffneten starrrten ihn teils entsetzt, teils feindselig an, während die Flüchtlinge ihm und ihrem Kaysar zujubelten. Dennoch wagten sie nicht, den Kreis der auf sie gerichteten Speerspitzen zu durchbrechen. Ihre Erleichterung rührte Athanor und schürte zugleich seine Wut auf die Elfen. Zornig blickte er auf sie hinab, doch nur Mahalea würde sie zur Vernunft bringen können.

Geschickt nutzte die Kommandantin, dass sie auf einem Drachen stand, und starrte die fremden Krieger förmlich nieder, bevor sie etwas sagte. »Ich verlange, auf der Stelle zu erfahren, was hier vorgeht!«

Einer der Grenzwächter, die sich mit den Amea-Kriegern angelegt hatten, brachte als Erster eine Antwort heraus. »Wir haben erfahren, dass zwei Schiffe mit menschlichen Eindringlingen gesichtet wurden. Deshalb sind wir ihnen gefolgt, um sie festzunehmen, wie es unsere Aufgabe ist.«

»Wir wurden an einem mit Ameahim vereinbarten Lagerplatz bei Nacht überfallen und beschossen!«, ertönte Nemeras Stimme. Sie war vorgetreten und hatte eine Speerspitze direkt vor der Brust. »Mentes ist tot!«, rief sie und deutete zu den Schiffen hinüber, wo vermutlich die Leiche lag. »Zwei weitere Männer wurden verwundet! Hätten wir etwa nicht fliehen, sondern uns erschießen lassen sollen?«

»Der Kerl soll den Speer runternehmen, sonst sorge ich dafür, dass er nie wieder einen in der Hand halten wird!«, knurrte Athanor.

»Du da!«, rief Mahalea und deutete auf den Amea-Krieger. »Waffe runter! Die Menschenfrau wird dich wohl kaum mit bloßen Händen umbringen.«

»Sie ist unsere Gefangene!«, gab der Kerl trotzig zurück.

»Eindringlinge sind Angelegenheit der Grenzwache, und solange die Söhne und Töchter Ameas nichts anderes im Hohen Rat geltend gemacht haben, fallen diese Menschen in meine Verantwortung. Soll diese Frage unsere Völker ausgerechnet in diesen schweren Tagen entzweien?«

»Sie sind schuld an unserem Unglück!«, schrie jemand empört.

»Wer weiß, was sie uns noch antun werden!«, stimmte eine Kriegerin ein.

»Menschen sind Meuchler! Deshalb dürfen sie unser Land nicht betreten!«, rief ein Grenzwächter, der zu den selbsternannten Henkern übergelaufen war.

»Macht euch nicht lächerlich!«, brüllte Mahalea. »Diese in Lumpen gehüllten Jammergestalten sollen eine Bedrohung sein? Wo ward ihr ach so tapferen Krieger, als der Gigant das Ewige Licht auslöschte? Wo ward ihr, als andere für euch in Theroia gegen ein Heer von Untoten kämpften? Lieber mordet ihr Kinder und Schwangere? Ihr seid eine Schande für euer Volk!«

Einige wichen beschämt zurück, andere blickten finster, aber nur einer hatte den Mut, etwas zu entgegnen. »Wenn die Grenzwache versagt, müssen wir uns eben selbst verteidigen!«

»Ihr solltet lieber hoffen, dass ihr nicht bald einen echten Grund habt, um zu den Waffen zu greifen«, gab Mahalea erstaunlich kühl zurück. »Die Grenzwache ist hier und bringt diese Gefangenen nach Anvalon. Der Hohe Rat wird über ihr Schicksal entscheiden. Geht nach Hause und haltet nach wahren Bedrohungen Ausschau!«

»Der Everos ist Amea-Gebiet«, protestierte der Krieger, der eine mit Perlmutt verzierte Rüstung trug. »Wir werden erst umkehren, wenn sie keine Töchter und Söhne Ameas mehr gefährden können.«

»Ihr seid freie Elfen und könnt gehen, wohin ihr wollt«, gab Mahalea zu. »Aber ich warne euch. Haltet eure Waffen von diesen Gefangenen fern! Ihr werdet unter den Augen der Grenzwache nicht wider das Sein freveln!«

* * *

Erst als keine Speere mehr auf sie gerichtet waren, atmete Laurion auf. Nur widerwillig wichen die Amea-Krieger zurück. Fröstelnd schlang er die Robe enger um sich, die an der Schulter vom getrockneten Blut steif geworden war. Lag es am Wundfieber, oder war dieses Land so kalt wie seine Bewohner?

»Lang lebe der Kaysar!«, rief jemand, als Athanor auf sie zukam.

»Unser Retter!«, jubelte Sirkit, und andere stimmten mit ein.

»Wird ja auch Zeit«, murrte Laurion leise. Immerhin hätten sie ihn beinahe erschossen, und Mentes war tot. Dass Nemeras Lächeln für Athanor dennoch die Sonne überstrahlte, presste ihm das Herz zusammen.

»Es tut gut, Euch lebend wiederzusehen, Herr.« Wie es ihr als Regentin zukam, verneigte sich Nemera vor dem Kaysar. »Wir waren erleichtert, als wir hörten, dass Ihr schon eingetroffen seid.«

»Ich bedaure, was Ihr durchmachen musstet«, versicherte Athanor und umarmte sie kurz, ohne jede Wärme. Sah sie denn nicht, dass dieser Mann nur Pflichtgefühl für sie empfand? Verächtlich verzog Laurion den Mund. Um das Lager mit ihr zu teilen, reichte es natürlich.

»Ich wollte Euch in Sianyasa erwarten, aber dann ereilte uns die Nachricht von einem gewaltigen Riesen, der die Hauptstadt der Elfen zu verwüsten drohte«, erklärte Athanor.

»Wir wurden schrecklich behandelt«, beklagte sich Nemera. »Wären Laurion und Mahanael nicht gewesen, hätten sie uns gestern alle ermordet! Nur dank des magischen Winds in unseren Segeln konnten wir entkommen.«

Athanor wandte sich dem Elf zu, der als Verräter mit ihnen gefangen genommen worden war. Auch ihn schloss er kurz in die Arme. »Wie es aussieht, hast du Leben und Seele für sie riskiert. Dafür werden wir dir nie genug danken können. Wenn ich irgendetwas tun kann, um dein Leid zu lindern, lass es mich wissen! Ich stehe tief in deiner Schuld.«

»Niemand kann die Toten meines Volks wieder lebendig machen«, erwiderte Mahanael ernst. »Deine Hilfe gegen unsere Feinde ist mir Dank genug.«

»Ich werde Peredin weitere Unterstützung anbieten, wenn er unseren Freunden im Gegenzug freies Geleit gewährt«, versprach der Kaysar.

»Das ist das Mindeste, was wir Elfen dir schulden. Ich schäme mich dafür, wie dein Volk aufgenommen wurde.«

Die strenge Elfenherrin, mit der Athanor hergekommen war, näherte sich, ohne den Flüchtlingen Beachtung zu schenken. »Meine Leute haben genaue Anweisungen erhalten, wie mit diesen Gefangenen zu verfahren ist«, teilte sie dem Kaysar in ruppigem Ton mit. »Darüber hinaus habe ich angeordnet, nach den drei übrigen Schiffen Ausschau zu halten und sie gegebenenfalls umgehend nach Anvalon zu eskortieren. Damit habe ich meinen Teil der Vereinbarung erfüllt. Nun erfüllt Euren und lasst uns umgehend nach Anvalon zurückkehren.«

»Ihr wollt uns schon wieder verlassen?«, entfuhr es Nemera entsetzt.

»Die Kommandantin wird dringend im Hohen Rat benötigt«, erklärte Athanor bedauernd. »Und ich muss den Erhabenen davon überzeugen, uns endlich als Verbündete in diesem Krieg zu betrachten.«

Krieg? Sind wir etwa vom Skorpion auf die Natter gestolpert?

Die Regentin hob anklagend die Hände. »Aber diese Krieger haben uns …«

»Sie werden Euch ab jetzt besser behandeln«, fiel der Kaysar ihr ins Wort, bevor er sich wieder an die Elfenherrin wandte. »Eine Forderung habe ich allerdings noch: Ich erwarte, dass sich Eure Heiler der Verwundeten annehmen. Wenn es noch mehr Tote gibt, betrachte ich unsere Vereinbarung als gebrochen.«

Die Kommandantin streifte die Flüchtlinge mit einem angewiderten Blick. »Ich werde es befehlen, obwohl mir die Vorstellung nicht behagt. Aber wagt es nicht, Wiedergutmachung für diesen Toten zu fordern! Sie waren es, die ohne Erlaubnis bei uns eingedrungen sind.« Abrupt wandte sie sich ab, um noch einmal mit den Grenzwächtern zu sprechen.

»Habt keine Sorge, sie werden euch nichts mehr antun«, behauptete Athanor an die Dionier gewandt. »Ich sorge dafür, dass man euch in Anvalon als Gäste empfängt.« Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er zu dem Drachen zurück, der schweigend alles beobachtet hatte.

Nemera schien zu bestürzt, um etwas zu erwidern. Mit bleichem Gesicht sah sie zu, wie Akkamas eine Schwinge senkte, um dem Kaysar und der Kommandantin einen würdevollen Weg auf seinen Rücken zu bereiten.

Ich war ihm nicht einmal einen Blick wert. Laurion spürte Enttäuschung und ärgerte sich über sich selbst. Vom ersten Tag an hatte ihn der Kaysar als dummen Jungen betrachtet. Magie war für Athanor nur ein notwendiges Übel. Mit leeren Versprechungen hatte er sie über den Ozean gelockt, und nun ließ er sie mit diesen Mördern allein. Wie aufs Stichwort schwang sich Akkamas in die Luft. Nicht einmal Rhea winkte dem Kaysar nach, während der Drache allmählich gen Horizont verschwand. Laurion sah sich um. Die Amea-Krieger starrten ihn hasserfüllt an.

Athanor 4: Die letzte Schlacht

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