Читать книгу Fidibus und der Engel von Reichenau - Denise Remisberger - Страница 14
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ОглавлениеJosef von der Altenburg zu Cannstatt sass auf einem Schemel am Tisch in seiner Hütte und starrte seinem Neffen Peter, der auf der langen Bank, eingekuschelt in eine Wolldecke und angelehnt an die Wand hinter ihm, döste, ins Gesicht. Der Junge hatte ein Problem, das gelöst werden musste. Gut. Aber hier bleiben konnte er nicht. Dies war eine Einsiedlerhütte. Seine Einsiedlerhütte. Will heissen, dass er alleine hier leben wollte. Doch immer wieder brachte ihm das Schicksal irgendwelche Nasen vorbei, die seine meditative Ruhe durcheinander brachten. Richtige Störenfriede. Ausser natürlich seine Freundin Tronhilde. Ihre Gegenwart störte ihn nie. Aber sie wollte ja auch nicht hier einziehen oder für länger bleiben. Sie wohnte auf ihrer Burg. Burg Falkenhorst. Und dort hatte es Platz. Viel Platz.
„Peter, aufwachen!“, schüttelte Josef seinen Neffen an der Schulter.
„Was ist los?“
„Wir unternehmen eine Wanderung.“
„Eine Wanderung?“, rieb sich Peter die Augen und gähnte ausgiebig.
„Ja.“
„Und wohin?“
„In die Nähe von Obergoldach.“
„Und wo ist das?“
„Oberhalb von Untergoldach. Und das liegt am Bodensee.“
„Meine schöne Insel Reichenau wartet auch im Bodensee.“
„Ja, ja. Aber ich rede von der Gegend um Rorschach. Dort, wo der Alpenrhein in den See fliesst, nicht aus ihm hinaus.“
„Aha. Und was tun wir in der Nähe von diesem Obergoldach?“
„Leute besuchen.“
„Malen die auch?“
„Das bezweifle ich.“
„Was tun sie denn?“
„Abenteuer erleben?“
„Ich mag keine Abenteuer mehr. Ich bin anscheinend der bedächtige Typ.“
„Da musst du jetzt durch, Junge. Das gehört zum Erwachsenwerden.“
„Wer sagt denn, dass ich erwachsen werden will?“
„Das Leben, Peter, das Leben.“
Während ihres Gesprächs hatten sie die heimelige Hütte verlassen, Josef auf dem von den Räubern seit einer Woche und gegen Bezahlung ausgeliehenen Maulesel Tröpfchen, Peter zu Fuss, und waren auf Wildwechseln den Hügel hinunter zur Sankt Galler Strasse gelangt, auf der sie nun allen möglichen Leuten begegneten, einem edel Gekleideten auf einem Hengst, der plötzlich aus dem Novembernebel auftauchte und fast in die beiden hineintrabte, einer Fischerin, die auf einem von einem Maulesel gezogenen Karren Fässer transportierte, Godek, dem Hufschmied aus Sankt Gallen, der grüsste und erzählte, dass er gerade Siegelindes Stute Linde auf Burg Falkenhorst neu beschlagen musste, denn das werte Fräulein liess kaum einen Tag vergehen, ohne dass es ausritt.
„Immer auf der Suche nach neuen Abenteuern“, lachte Godek.
„Da wird sie sich freuen. Wir sind gerade auf dem Weg nach Falkenhorst und haben tatsächlich eine grössere Aufgabe zur Hand“, schmunzelte Josef.
„Na dann viel Spass“, verabschiedete sich Godek und liess einen grinsenden Josef und einen beunruhigten Peter zurück.