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I. Teil
„von Aenderung eins Staads“ – Kritik des politischen Handelns 1. Grimmelshausens politische Argumentation: Für und Wider den absolutistischen Staat I

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Die neuere historische Forschung zur Entstehung des frühmodernen Staates im 16. und 17. Jahrhundert hat auch die literaturwissenschaftliche Fragehaltung gegenüber literarischen Texten des 17. Jahrhunderts verändert.56 Es ist vor allem die Frage nach der (intendierten und tatsächlichen) Funktion der Literatur bei der Durchsetzung und inneren Festigung der absolutistischen Staatsordnung in den einzelnen deutschen Territorien und im Reich, die zu einer Überprüfung der Rahmenbedingungen bisheriger autorbezogener, form- und quellengeschichtlicher Interpretationen und Wertungen zwingt und den Blick stärker auf die argumentative Funktion auch der poetischen Texte in den zeitgeschichtlichen Zusammenhängen des 17. Jahrhunderts lenkt. Für wen, aber auch gegen wen ein Autor argumentiert hat, verspricht dabei als Leitfrage Einsichten in das bewegte literarische Leben dieses Jahrhunderts, in dem die Grundlagen des modernen, alle Lebensbereiche des Staatsbürgers reglementierenden, zentralistisch gelenkten Staates gelegt wurden und die Staatsloyalität des Künstlers und Poeten zu einem bis heute sich ständig verschärfenden Problem wurde.57

Von diesem pragmatischen Ansatz her gewinnt, methodisch gesehen, die „inhaltliche“ Seite von poetischen Texten neues Interesse: denn in ihr ist die politisch-zeitgeschichtliche Argumentation des jeweiligen Autors ja letztlich greifbar. Doch geht es dabei nicht um motiv- und stoffgeschichtliche Abhängigkeiten und Weiterentwicklungen, sondern eben um deren argumentative Funktion, wenngleich der bisher wenig beachtete Quellencharakter der staatstheoretischen und staatsrechtlichen Literatur gerade in diesem Zusammenhang zuvor zur Kenntnis zu nehmen ist.58

Grimmelshausens schriftstellerisches Werk scheint diesen Untersuchungsaspekt in besonderer Weise zu rechtfertigen. Weitläufiger und unkonventioneller als andere hat er sich mit Legitimationsproblemen absolutistischer Herrschaft und mit den aus dem Staatsumbau resultierenden moralischen Problemen von Herrscher, Funktionsträgern und Untertanen auseinandergesetzt. Grimmelshausen ist der Redaktor einer „Teutschen Politica, oder Regenten-Kunst“ (Teutscher Friedens-Raht, 1670);59 er ist der Verfasser eines antimachiavellistischen Traktats über die Staatsräson eines theologisch legitimierten „Politischen Regiments“ (Simplicianischer Zweyköpfiger Ratio Status, 1670);60 er hat sich nicht gescheut, zu tagespolitischen Ereignissen Stellung zu nehmen (Der stolze Melcher, 1672; Deß Wunderbarlichen Vogelnests Zweiter theil, 1675), und er hat im übrigen als gefürchteter „homo Satyricus in folio“ (Quirin Moscherosch)61 in allen seinen Schriften, gerade auch in seinen „Historien“, angefangen vom Joseph in Egypten (1666) über das simplicianische Werk bis hin zu Proximus und Lympida (1672) sich deutlich genug mit den grundsätzlichen Problemen des absolutistischen Herrschaftssystems auseinandergesetzt, dem er als ein durchaus nicht immer bequemer Funktionsträger auf der unteren Verwaltungsebene (Regimentssecretarius, Verwalter, Schultheiß) diente.62

Daß dieser auffällige Sachverhalt dennoch wenig beachtet worden ist und wenn, dann zu allzu durchsichtigen Vereinnahmungsversuchen,63 liegt nicht zuletzt an dem seit langem zu beobachtenden Interesse für das im 17. Jahrhundert übliche Allegoreseverfahren und dessen Konsequenzen für Grimmelshausens Textherstellung und das von ihm intendierte Textverstehen. Die Entdeckung entsprechender Quellentexte zur allegorischen Hermeneutik, insbesondere zum hermetischen „sensus astrologicus“ der poetischen Texte hat andere Aspekte zurücktreten lassen.64 Das ist jedoch schon deshalb nicht einsichtig, weil die allegorische Betrachtungsweise auch eine politische Sinnebene kennt. Garzoni spricht in diesem Zusammenhang von der „species typica“: „wann etwas auff die enderung der zeiten/der Regimenten/vnd auff die restitutionem seculorum wirdt gezogen“,65 Grimmelshausen in einer ähnlich formulierten Leseanweisung von „Aenderung eins Staads“.66

Doch muß die Frage nach Grimmelshausens politischer Argumentation nicht unbedingt auf der allegorischen Ebene beantwortet werden, wenngleich hierbei auch die Gattungseigentümlichkeiten der poetischen Historia im 17. Jahrhundert zu berücksichtigen wären. Schon der Literalsinn der Texte, der „sensus historicus“ hat bei Grimmelshausen immer auch politische „res“ zum Gegenstand. Man vergleiche zum Beispiel den zweiteiligen Titel von Dietwald und Amelinde (1670): „Dietwalds und Amelinden anmuthige Lieb- und Leids-Beschreibung/Sammt erster Vergrösserung des Weltberühmten Königreichs Franckreich.“ Die Liebesgeschichte aus Frankreichs Vorzeit ist in Beziehung gesetzt mit dem Frankreich Ludwigs XIV. und dessen Okkupationspolitik um 1670, und die mahnende Schlußbemerkung, nach der Lektüre „wegen des Vergangenen sich umb so viel destoweniger zu verwundern/wann er [= der Leser] das Gegenwärtige vor Augen sihet und betrachtet“,67 verdeutlicht nur die politische Leseanweisung, zumal es schon in einem Zusatz zum Titel u.a. heißt: „Den Politicis nützlich zulesen“.

Die politischen „res“ gilt es also zu erkennen, das heißt aber: die zeitgeschichtliche Bedingtheit und Funktion der politischen Argumentation Grimmelshausens. Eine solche Interpretation ist durch die Suche nach literarischen Abhängigkeitsverhältnissen nicht immer gefördert worden, da das „Inhaltliche“, die jeweilige Argumentation selbst meist nicht mehr Gegenstand der Untersuchung ist, wie z.B. die Forschungen zur Jupiterepisode (Simplicissimus Teutsch III, 3–6) zeigen. Ähnlich ungeklärt ist das Verständnis der vom Autor verwendeten politischen Terminologie; hier wird meist anachronistisch die heutige, unspezifischere Wortbedeutung vorausgesetzt. Und schließlich: eine mögliche Veränderung der politischen Argumentation zwischen 1666 und 1675 ist bisher nicht in Betracht gezogen worden.

Methodische Schwierigkeiten ergeben sich daraus, daß die Quellenfrage unter dem Aspekt der politischen Argumentation im einzelnen noch nicht genügend geklärt ist und auch im Rahmen dieser Untersuchung nicht geklärt werden kann. Schon jetzt möglich indes ist eine vergleichende Lektüre von staatstheoretischen und staatsrechtlichen Lehrbüchern sowie historisch-politischen Nachschlagewerken der Zeit, auch solcher, die Grimmelshausen nachweislich benutzt hat.68 Aufgrund der hierbei gewonnenen Kriterien soll in einem ersten Versuch entschieden werden, in welchem Umfang Grimmelshausen politische Fragen seiner Zeit behandelt hat, mit welchen er sich vornehmlich auseinandergesetzt und zu welchen er, offen oder verdeckt, eine Stellungnahme riskiert hat, schließlich, wie diese Stellungnahmen in den Auseinandersetzungen um die absolutistische Staatsreform situiert sind. Ich beziehe mich dabei vor allem auf seine Joseph-Histori. Um dem Gesichtspunkt einer möglichen Veränderung der politischen Argumentation Rechnung zu tragen, möchte ich abschließend noch den Simplicissimus und Proximus und Lympida zum Vergleich heranziehen.

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