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IV

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Für Erasmus folgte aus der Willensfreiheit des Menschen zugleich die Freiheit, ungeachtet trüber historischer Erfahrungen einen neuen Anfang zum Frieden zu machen. Grimmelshausen beurteilt die menschliche Willensfreiheit skeptischer. Gleichwohl sieht er nicht in der quietistischen Weltflucht, in der Resignation gegenüber der für ihn im Grunde unverbesserlichen verkehrten Welt die zwingende Konsequenz, sondern in der besonderen Verantwortung des einzelnen Christen, gerade auch des Schriftstellers, für den Frieden. Daher ist es nicht verwunderlich, daß man auch in den auf den Simplicissimus folgenden Schriften erasmianische Argumentationen findet. So kritisiert er im Rathstübel Plutonis (1672) scharf die kriegstreiberische Besitz- und Profitgier des Fürstenstandes, dessen Vertreter, Secundatus, fälschlicherweise den Krieg als Mittel zur Bereicherung ansieht. Im WunderbarIichen Vogelnest (2. Teil, 1675) illustriert er die Motivation zum Krieg andererseits am Verhalten eines Kaufmanns, der als solcher eigentlich alles daran setzen müßte, den Krieg zu verhindern, und der dennoch, durch Geldgier und Ruhmsucht disponiert, der Kriegspsychose erliegt und als Freiwilliger in den Krieg zieht155. Am weitesten wagt Grimmelshausen sich in der satirischen Höllenwanderung Die verkehrte Welt vor, einer Ständesatire anhand der jeweiligen Höllenstrafen. Analog zu ihren irdischen Schandtaten müssen hier auch die Soldaten büßen. Die Strafe für den Werber besteht z.B. darin, daß er statt der verlogenen Werberede nun eine Rede über die wahre, d.h. schlimme Situation der Soldaten halten muß, eine Rede gegen den Krieg, und anschließend von den Geworbenen, die für ihre irdischen Untaten gleichfalls büßen müssen, zu kleinen Spänen zerhauen wird156. Über die Topoi der erasmianischen Kriegskritik hinaus führt der satirische Bericht des simplicianischen Erzählers über „der Christen Einigkeit/ihrer Treu/ihres Gottseligen Seelen=Eifers/und in Summa einer so seltenen in der Welt niemahls erhoerten Harmonia“, die sich bei der Kolonialisierung und gewaltsamen Christianisierung der außereuropäischen Völker inzwischen glänzend bewährt habe157. Die verwunderte Nachfrage, wie die in den vorausgegangenen Kriegen ruinierten christlichen Staaten die Kosten für „so grosse Armaturen zu Wasser und zu Land“ aufgebracht hätten, wird damit beantwortet, daß „sich nunmehr ihre Kriege wider die Unglaubige nicht allein selbst führten und ernaehrten/sondern auch Europam aus den auslaendischen Schätzen von Gold und Silber dermassen bereicherten/als vor Jahren Salomon durch den Frieden und seine grosse Weisheit zu Jerusalem immer gethan“158. Des Erasmus Aufruf an die christlichen Staaten, gegen die „Feinde des christlichen Namens“ einig zusammenzustehen und nicht untereinander Kriege zu führen, ein Gedanke, den noch 1671/72 Leibniz seinem „Consilium Aegyptiacum“ für den kriegslüsternen König Ludwig XIV. zugrundelegte, ist, das zeigt Grimmelshausen mit bitterem Sarkasmus, von der Realität längst eingeholt und zur Verbrämung eines widerchristlichen Imperialismus größten Stils pervertiert worden.

Neben solcher Aufklärung über scheinheilige Rechtfertigungen von Krieg und Eroberungspolitik im allgemeinen hat Grimmelshausen, offenbar auch durch sein Amt als Schultheiß von Renchen, nach wie vor Anlaß, der Versuchung der jungen, unerfahrenen „Schnautzhahnen“ zum Söldnerdienst entgegenzuwirken. In seiner Flugschrift „Stoltzer Melcher“ (1672) versammelt er noch einmal alle Argumente gegen den Krieg, kritisiert seine theologische Rechtfertigung, kommt jedoch zu einer differenzierten Darstellung des Problems der Verteidigung der eigenen Heimat159. Daß schon ein Jahr später der Krieg die Ortenau und Renchen überrollte, daß er selbst 1676 in den Kriegswirren starb, widerlegt seine unbeirrbare schriftstellerische Arbeit gegen den Krieg und die Versuchung zum Kriege nicht. Mit der Verkehrtheit der Welt hatte er immer gerechnet.160

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