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A. Biographische Probleme 1. Vermeintlich jüdische Herkunft

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Eine der von Wagner-Verächtern am häufigsten nicht selten mit Häme benutzten Thesen zur Erklärung des Wagner’schen Antisemitismus erweist sich bei genauerem Hinsehen als bloßes Gerücht, allerdings als eines der anscheinend unausrottbaren Gerüchte der Wagner-Literatur: das von der vermeintlich jüdischen Abstammung Richard Wagners. Es ist geradezu kennzeichnend für die Wagner-Literatur, wie an dieser These, allen neueren Erkenntnissen zum Trotz, bis heute immer wieder und immer noch festgehalten wird.

Das Gerücht von Wagners angeblich jüdischer Abstammung ist ja bereits von Zeitgenossen Wagners ausgestreut und verbreitet worden50, vor allem von einem der intimsten Wagner-Kenner, von Friedrich Nietzsche: „War Wagner überhaupt ein Deutscher? Man hat einige Gründe, so zu fragen. Es ist schwer, in ihm irgendeinen deutschen Zug ausfindig zu machen. Er hat, als der große Lerner, der er war, viel Deutsches nachmachen gelernt – das ist alles. … Sein Vater war ein Schauspieler Namens Geyer. Ein Geyer ist beinahe schon ein Adler …“51

Eine medisante Unterstellung, die sich hartnäckig halten sollte, auch wenn bereits Julius Kapp52 in seiner populären Wagner-Biographie (1910) zu berichten wusste, dass die Vorfahren Ludwig Geyers, Wagners Stief- und, Spekulationen zufolge, möglicherweise auch Wagners leiblicher Vater, keinesfalls jüdischer, sondern protestantischer Abstammung gewesen seien. Doch die „Vaterschaftsfrage“53 Wagners hat dadurch nicht im

Geringsten an Interesse verloren. Selbst Thomas Mann hat noch 1940 eine jüdische Abstammung Wagners für möglich gehalten, als er schrieb: „Nur aus deutschem Geist konnte dies Werk kommen. Vielleicht – nicht sicher – hat jüdisches Blut Anteil daran.“54 Die Wagner-Literatur ist voll von solchen und ähnlich pikanten Unterstellungen, Wagners Judenhass gründe sich im Tiefsten auf so etwas wie „jüdischen Selbsthass“55, der sich nähre durch die Angst Wagners, leiblicher Abstammung von seinem vermeintlich jüdischen Stiefvater Ludwig Geyer zu sein. (Dessen Vaterschaft reine Spekulation ist, wie zu zeigen sein wird.)

Obwohl schließlich auch Ernest Newman56 in seiner bahnbrechenden, weil ersten kritischen, sich sachlich mit einem überwältigenden Faktenmaterial auseinandersetzenden Wagner-Biographie (1943–46) die Behauptung als fragwürdiges Gerücht darstellte, dass Wagners Stiefvater, Ludwig Geyer, jüdischer Abstammung sei, wird sie noch in jüngsten Publikationen immer wieder als unhinterfragte Argumentationsgrundlage benutzt. Noch immer wird mit der Hypothese von Wagners vermeintlich jüdischer Abstammung sein zuweilen aggressiv-affektgeladener Antisemitismus motiviert. Ein solchermaßen verinnerlichter Antisemitismus müsse schließlich als „Eckstein Wagnerschen Denkens über Kunst und Politik“57, wo nicht gar seines ganzen, also auch des musikdramatischen Werks, zu betrachten sein. Auch und gerade Theodor W. Adorno hat (im Zeichen aufklärerischer Vernunft) jenes Nietzsche’sche Vorurteil übernommen: Wagners Antisemitismus bekenne „sich als individuelle Idiosynkrasie, die verstockt aller Verhandlung sich entzieht“58. Adorno bekräftigt – mit den Worten Walter Benjamins übrigens – das lange gehegte Gerücht von der Angst Wagners, „vom ekelhaften Objekt als dessengleichen erkannt zu werden“59. Mit diesem Satz hat Adorno die Deutungsgeschichte Wagners festgeschrieben. Die Interpretation einiger Gestalten der Wagner’schen Musikdramen als Judenkarikaturen begründete Adorno mit vermeintlichem jüdischen Selbsthass Richard Wagners. Die Nachwelt sah sich dadurch legitimiert, Adorno nachzueifern.60 Bereitwillig wurde der Adorno’sche Ansatz seither immer wieder (und ungeprüft) paraphrasiert, in großem Stile zuletzt von Robert Gutman61 (1970). Radikalster Adept Adornos ist aber ohne Zweifel Hartmut Zelinsky, der geradezu so etwas wie eine postume Abstammungs-Diskreditierungs-Kampagne gegen Wagner startete. Im Jahre 1976 behauptete er, bei Wagner das „Bewusstsein“ zu bemerken, „ein oder wie ein Jude zu sein“. Dieses vermeintlich jüdische Bewusstsein Wagners ist für Zelinsky der „psychische Knotenpunkt seiner Existenz“62 und der Autor glaubt hieraus ableiten zu dürfen, „dass das Judenthema im Grunde Wagners einziges Thema überhaupt“63 sei.

Des Weiteren leitet Zelinsky daraus eine zentrale antisemitische „Werkidee“, einen „präzisen und kalkulierten Lebens- und Werkplan“64 Wagners ab, der den Kerngehalt des gesamten theoretischen und musikdramatischen Werks bestimme und den es entsprechend dieser Gedankenkonstruktion des Autors zu dechiffrieren gelte. Gemäß solch jüdischem Selbsthass müsse dann, nach Zelinsky, „der Untergang der Juden“ als „die Hauptspur seines Denkens und seiner Werke“65 angesehen werden.

Eine monumentale These, die sich auf eine einzige, unbeweisbare, ja allen sachlich überprüfbaren Erkenntnissen zufolge falsche Annahme stützt. Schon 1980 hat Martin Gregor-Dellin66 in seiner sich großer Popularität erfreuenden Wagner-Biographie die Erklärung von Wagners Antisemitismus durch vermeintlich jüdischen Selbsthass als „Unfug“67 abgetan. Dennoch ist auf einem internationalen Wagner-Symposium in Salzburg (1983) wiederum jene anscheinend unausrottbare These (leicht modifiziert) vorgetragen und als Ergebnis heutiger Wagner-Forschung vorgestellt worden: Richard, aber auch Cosima Wagners Antisemitismus sei auf nichts weiter als „einen veritablen Verfolgungswahn“68 gegründet, der seinen Grund habe in tiefgreifenden Zweifeln an der „Deutschblütigkeit ihrer Abstammung“69 – eine These, die in diesem Falle, ungeachtet übriger Erkenntnisse, schon deshalb jeder Grundlage entbehrt, weil der Autor, Peter Gradenwitz, seine Behauptung auf sehr fragwürdigen Zitaten zweifelhafter Gerüchte aufbaut, Gerüchte von der angeblich jüdischen Herkunft Cosima als auch Richard Wagners. Es sind aber eben nur Gerüchte. Im Mittelpunkt der Argumentation steht ein bisher unveröffentlichter, aber deswegen keine neuen und profunden Erkenntnisse liefernder polemischer Essay Arnold Schönbergs von 1931. Darin behauptet dieser nicht nur, Wagner sei „von der Geyer-Abstammung fest überzeugt“ gewesen, sondern darüber hinaus, dass Cosimas Mutter „reine Jüdin“ gewesen sei; Behauptungen, die jeder nachprüfbaren Grundlage entbehren, wie noch zu zeigen sein wird. Es handelt sich hier um ein zwar in seiner gegen den nationalsozialistischen Wagnerismus gerichtetes, aus seiner Zeit heraus verständliches, dennoch aber die Tatsachen ignorierendes, antiwagnerisches Pamphlet, das in der Polemik gipfelt: „Trotzdem verbündete er (Wagner, D. S.) sich mit dem Pogromisten Hitler!“70

Wagners Antisemitismus

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