Читать книгу Wagners Antisemitismus - Dieter David Scholz - Страница 9

Einleitung

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„R. drückte sein Erstaunen gestern darüber aus, dass, trotzdem er so bemüht sei, die Leute immer mehr die Sachen über ihn läsen als seine eigenen; selbst von der Judenbroschüre gelte dies.“

(Cosima Wagner, Tagebuchnotiz vom 29.3.1878)

„Wenn es heute gelingt, dem Menschen Richard Wagner und seinem Werk mit Unbefangenheit gegenüberzutreten, so wird damit nicht Entsühnung oder gar Erlösung praktiziert, was undenkbar wäre, sondern historische Gerechtigkeit geübt.“

(Hans Mayer)

Richard Wagner ist noch immer ein Politikum. Obwohl die Auseinandersetzung mit ihm und seinem Werk schon mehr als hundert Jahre andauert, ist sie in Vielem so emotional und kontrovers wie eh und je. Nur über wenige Gestalten der Weltgeschichte ist so viel geschrieben worden wie über Richard Wagner. Er gehört neben Friedrich Nietzsche mit „Karl Marx, Sigmund Freud und Martin Heidegger zu denjenigen Autoren des deutschsprachigen Raumes, die die europäische Geistesgeschichte bis heute am nachhaltigsten beeinflusst haben“1 (Ulrich Müller). Was Wunder: Richard Wagner war ohne Frage der schreib-, mitteilungs- und selbsterklärungsfreudigste, essayistisch wie kunsttheoretisch produktivste, schließlich der dezidiert politischste Komponist des neunzehnten Jahrhunderts.

Sein Œuvre ist unter allen nur erdenklichen Aspekten analysiert worden: Musikwissenschaftler, Historiker, Germanisten, Philosophiehistoriker, Altphilologen und Komparatisten haben sich mit der wissenschaftlichen Erhellung des künstlerischen und theoretischen Werks, seiner Entstehung, seiner literarhistorischen, musikhistorischen und soziologischen Bedingtheit, mit der Biographie Wagners und – bisher nur in recht einseitigen Ansätzen – mit der Wirkung Wagners befasst.

Unmengen nichtwissenschaftlicher, meist biographischer, aber auch journalistischer Publikationen haben dazu beigetragen, dass die Wagner-Literatur ins Gigantische anwuchs. Trotzdem kann man Lore Lucas nur beipflichten, wenn sie schreibt: „Widersprüchlich, grenzenlos subjektiv und unkritisch spiegelt sich das Phänomen Richard Wagner … im Urteil seiner Zeitgenossen und der folgenden Generation. Es fehlt in wissenschaftlicher Hinsicht ein objektiver Standpunkt zum Werk und Ideengut Richard Wagners – den auch unsere Zeit noch nicht gefunden hat.“2 Wie kein anderer Künstler des neunzehnten Jahrhunderts hat Richard Wagner unter seinen Verteidigern und Verächtern kontroverse und emotionsgeladene Debatten hervorgerufen – im Grunde bis heute. Wissenschaft und öffentliche Meinung sind noch immer von divergierenden Urteilen über Wagners Stellung in der deutschen Kulturgeschichte, speziell aber in der Geschichte der Entstehung des modernen deutschen Antisemitismus geprägt. Gegenstand der kontroversen Auseinandersetzungen in der Forschung, die zuweilen wissenschaftliche Disziplin und das Bemühen um historische Objektivität vermissen lassen, sind primär nicht Musik und Drama Richard Wagners, sondern Intention, Weltanschauung und politische Haltung Richard Wagners. Dies betrifft vor allem Wagners unbestreitbaren Antisemitismus3, dem die Forschung allerdings bis heute nicht die nötige Aufmerksamkeit und Gründlichkeit umfassender Untersuchungen gewidmet hat. Entweder wurde das Thema – vor allem nach 1945 – aus Pietät Wagner gegenüber bagatellisiert, wenn nicht gar als Tabu behandelt, oder aber es wurde derart polemisch hochgespielt, dass Wagner zum Ahnherrn Hitlers und seines Antisemitismus erklärt werden konnte.

Erst in den letzten vierzig Jahren ist der Antisemitismus als Thema wissenschaftlicher Erörterungen – vornehmlich essayistischer Arbeiten – in den Vordergrund der Wagner-Diskussion getreten. Das 100-jährige Bestehen der Bayreuther Festspiele 1976 und das Bühnenweihfestspiel „Parsifal“, 1982, hundert Jahre nach seiner Uraufführung, waren Anlass erneuter, heftiger Wagner-Debatten und zahlreicher Veröffentlichungen, vor allem zum Antisemitismus Richard Wagners.

Der Münchner Germanist Hartmut Zelinsky im Besonderen ist durch Publikationen hervorgetreten, die Wagners Vorläuferschaft zu Adolf Hitler beweisen sollten, was die Antisemitismus-Debatte zunächst mächtig auflodern ließ. Im Gefolge seiner Bemühungen, diesen Standpunkt durch mehrfache Veröffentlichungen zu erhärten, setzte entschiedener Widerspruch ein, der schon aufgrund berechtigter methodischer Kritik zu essentiellen Relativierungen, wenn nicht Zurücknahmen der Thesen Zelinskys hätte führen sollen. Stattdessen schien das hartnäckige Auftreten Zelinskys nur mehr Rückendeckung zu bieten für weitere Veröffentlichungen, die vornehmlich darauf hinzielten, Wagner „in jener ideologiekritischen Beleuchtung von links“ sichtbar werden zu lassen, der es „um den Aufweis einer verhängnisvollen Kontinuität von Luther über Friedrich den Zweiten, Hegel, Bismarck und Wagner bis Adolf Hitler geht“4 (Jürgen Söring). Der jüngste und gegenwärtig wohl radikalste Exponent solcher historisch vereinfachender, negativer Wagner-Exegese ist Paul Lawrence Rose5, der in geradezu staunenerregender historischer Unbekümmertheit und Ignoranz neuerer Veröffentlichungen und Forschungserkenntnisse Wagners Revolutionsverständnis per se antisemitisch nennt und dessen pauschale Wagner-Verdammung in der Behauptung gipfelt: „Wagners Antisemitismus ist nichts Nebensächliches … Durch praktisch alle Opern Wagners zieht sich wie ein roter Faden der Hass auf das Jüdische.“6 Der Politikwissenschaftler Udo Bermbach hat in seiner Rezension des (im englischen Original bereits 1992 in London erschienenen) Buches in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10.1.2000 das Nötige hierzu gesagt: „Die sachlich verdienstvolle, wenngleich nicht neue Erinnerung an die antijüdischen Beimischungen im deutschen demokratischen Denken – Beimischungen, die es natürlich auch in anderen europäischen Ländern gab, teilweise, wie etwa bei der französischen Linken, sogar mit sehr viel massiveren Invektiven – führt sich in ihrem obsessiven Bezug auf Wagner am Ende selbst ad absurdum. Denn selbst bei diesem, der gewiss kein genuiner politischer Denker war, ist das Revolutionsverständnis um vieles komplexer, als Rose es darstellt. Wagners antikapitalistische und antimoderne Vorbehalte, die Forderung seiner ‚negativen Ästhetik‘ nach radikaler Gesellschafts- und Bewusstseinsveränderung auch für die Deutschen lassen sich nicht auf Antisemitismus reduzieren.“

Nach wie vor herrschen zum Wagner’schen Antisemitismus divergierende Meinungen: Auch hier stehen sich Wagnerianer und Anti-Wagnerianer gegenüber, einander entweder Verharmlosung oder aber Dramatisierung des Themas vorwerfend. Obwohl es doch sollte, scheint es in Sachen Wagner und seines Antisemitismus nicht selbstverständlich zu sein, was der Historiker Peter Gay in seiner bemerkenswerten Studie über Deutsche und Juden anmerkt: „zu historischem Verständnis aufzurufen und Einsicht walten zu lassen, bedeutet nicht zugleich, abzustreiten und zu verniedlichen, was geschah.“7

Das spezifisch Parteiische und Emotionale der Wagner-Debatte hängt wohl mit immer noch existierenden Schwierigkeiten der Aufarbeitung und Bewältigung des vergangenen Kapitels deutscher Geschichte zusammen. Immerhin wurde Wagner im Dritten Reich zu einem der Ahnherren der herrschenden antisemitischen Ideologie erklärt.

Bei aller Betroffenheit darüber, dass Millionen von Menschen unter der Herrschaft der Nationalsozialisten einem verbrecherischen Antisemitismus zum Opfer fielen, einem Antisemitismus, der sich durch die Berufung auch auf Richard Wagner legitimierte: Von Wagners Antisemitismus eine direkte Linie zum Antisemitismus der Nationalsozialisten ziehen zu wollen, ist, will man historische Gerechtigkeit walten lassen, ebenso unzulässig, wie es wäre, wollte man etwa Nietzsches Philosophie zur Grundlage nationalsozialistischer Rassenlehren erklären, Goethes Faust zum Urbild nationalsozialistischen Sendungsbewusstseins und Expansionsdranges abstempeln, Liszts sinfonische Dichtung „Les Préludes“ als nazistische Sieges-Musik, Bruckner als „Sinnbild der geistigen und seelischen Schicksalsgemeinschaft des gesamten deutschen Volkes“, Beethovens 5. Symphonie als musikalische Darstellung des „Lebenswegs des Führers“ (wie der nationalsozialistische Musikwissenschaftler Arnold Schering ausführte), die Opern Mozarts als „völkisch“, die Werke von Bach, Buxtehude und Schütz als „nordisch“8 auffassen, nur weil Nationalsozialisten Nietzsche, Goethe und Liszt, Bruckner, Beethoven, Mozart, Bach, Buxtehude und Schütz ihrer Kulturideologie und ihrem Kult gewaltsam einverleibten.

So unabsehbar folgenreich die Wirkung Wagners im 20. Jahrhundert sein sollte: Den Antisemitismus Wagners vom Betroffensein der Nachwelt aus zu betrachten und zu beurteilen hieße, die Kausalität der Geschichte, wenn es denn eine gibt, auf den Kopf stellen, es hieße aber auch, das Spezifische des Wagner’schen Antisemitismus zu ignorieren, seine Brüchigkeit, Widersprüchlichkeit und seine politische Intention, die frühsozialistischem Gedankengut verpflichtet ist und letztlich auf Assimilation abzielt und im krassen Gegensatz zum aufkommenden Rassenantisemitismus steht.

Auch für die Untersuchung des Wagner’schen Antisemitismus hat die Einsicht Theodor W. Adornos Gültigkeit, dass jegliche Dimension Wagners Ambivalenzen zum Wesen habe: „Ihn erkennen heißt, die Ambivalenzen bestimmen und entziffern, nicht, dort Eindeutigkeit herstellen, wo die Sache zunächst sie verweigert.“9

Insofern darf Joachim Köhlers Buch „Wagners Hitler“10 geradezu als exemplarischer Fall von wirkungsgeschichtlicher Simplifizierung und Geschichtsverdrehung gelten, weil es den historischen Zusammenhang auf den Kopf stellt. Der Titel „Hitlers Wagner“ wäre der geschichtlichen Chronologie der Beziehung zwischen Wagner und Hitler weit angemessener. Immerhin handelt es sich um einen Prozess der Usurpierung: Ein Vorgeborener wird in die Ideologie eines größenwahnsinnigen Nachgeborenen einverleibt. Was nur funktionierte, indem Hitler und die Seinen wesentliche Aspekte Wagners ausblendeten, ja ignorierten. Aber auch Gottfried Wagners autobiographische Aufzeichnungen11 – die nicht frei sind von persönlicher Ranküne eines Zukurzgekommenen – schlagen in diese Kerbe und disqualifizieren sich schon durch historische Ungenauigkeit und allzu private, schamlose familiengeschichtliche Polemik.

Es gilt in jedem Falle, sich vor falschen historischen Rückschlüssen zu hüten, wie der britische Historiker Peter Gay ausführt: „Für den Historiker des modernen Deutschland ist die Suche nach schädlichen, unheilvollen oder gar tödlichen Ursachen problematischer und riskanter geworden, als es sonst unvermeidlich ist – sie wird ihm zu einer Zwangsvorstellung, so dass er die ganze Vergangenheit nur noch als ein Vorspiel zu Hitler sieht und jeden angeblich deutschen Charakterzug als einen Baustein zu jenem schrecklichen Gebäude, dem Dritten Reich.“12

Der methodischen Prämisse des israelischen Historikers Jacob Katz fühle ich mich verpflichtet: „Der Historiker, der seiner wissenschaftlichen Überzeugung gehorchend die Vergangenheit aus ihren Gegebenheiten verstehen, darstellen und beurteilen möchte, muss sich vor der Gefahr hüten, sich von Tendenzen der Gegenwart bestimmen zu lassen.“13

Es soll also im Folgenden der Antisemitismus Richard Wagners in seiner vielfachen Bedingtheit, seinen widersprüchlich-brüchigen Manifestationen untersucht werden, und zwar entstehungsgeschichtlich als auch wirkungsgeschichtlich vor dem Hintergrund des aufkommenden modernen deutschen Antisemitismus im 19. Jahrhundert, aber auch vor dem des revolutionären sozialistischen antisemitischen Gedankengutes, das Wagners Denken prägte. Dabei bin ich mir der Tatsache bewusst, dass noch immer jede Auseinandersetzung mit dem deutschen Antisemitismus, auch des 19. Jahrhunderts, aber auch jede Auseinandersetzung mit Richard Wagner, eine heikle Angelegenheit ist angesichts dessen, was Peter Gay zu Recht das „deutsche Trauma“14 nennt. Und wer in der extrem polarisierten Diskussion um Wagners Antisemitismus differenziert, wird leicht zum Wagner-Apologeten abgestempelt oder aber zumindest von der einen wie der anderen Seite als unbequem empfunden und ausgegrenzt, weil er das vorherrschende ideologische Argumentationsschema stört.15

Um die Genese und um die Modifikationen des keineswegs systematischen Antisemitismus Richard Wagners, seine Bedeutung für das dramatisch-musikalische Werk und seine Bedeutung für die Geschichte des modernen deutschen Antisemitismus zu ermitteln, genügt es nicht, sich dem Phänomen von musikwissenschaftlicher, historischer oder bloß biographischer Warte aus zuzuwenden. Des Philologen Recht auf Wagner, auf das nicht zuletzt Peter Wapnewski16 pochte: Hier wird es zur Pflicht, denn es ist schon philologische Disziplin notwendig, einmal das gesamte Werk Wagners daraufhin zu untersuchen, inwieweit sich in ihm antisemitisches Gedankengut manifestiert. Vor allem sind die Texte des theoretischen (programmatischen, essayistischen, journalistischen) Werks, aber eben auch die Dramentexte – und wo möglich auch die Musik – eingehender entstehungs- und ideengeschichtlicher Analysen zu unterziehen. Die Frage, ob in den Musikdramen antisemitische Intentionen enthalten sind, eine meist mit Nachlässigkeit behandelte Frage, ist insofern von Bedeutung, als Richard Wagner in erster Linie dichtender Komponist war, dessen Wirkung vor allem von seinem Theater, seiner Musik und seiner Dramaturgie ausging. Natürlich wird auch die Biographie Wagners zu berücksichtigen sein, werden seine autobiographischen Schriften, seine Korrespondenz und andere private Dokumente seines Denkens heranzuziehen sein.

Von ganz zentraler Bedeutung für die Ermittlung der weltanschaulichen, politischen und künstlerischen Intentionen Wagners, aber auch für die Ermittlung der bisher meist unterschätzten Rolle seiner Frau im Prozess des entstehenden, so folgenreichen „Wagnerismus“ sind die Tagebücher der Cosima Wagner. Sie sind bis heute nicht umfassend unter dem Aspekt des Wagner’schen Antisemitismus ausgewertet worden. Genau dies macht sich vorliegende Arbeit zum Ziel: die Analyse und Auswertung der Cosima-Tagebücher als einer der wichtigsten Quellen der Wagner-Forschung. Die Enthüllungen der Tagebücher Cosimas machen in mancherlei Hinsicht Revisionen bisher als gültig erachteter Erkenntnisse und Urteile notwendig. Sie sind nicht zuletzt Schlüssel auch zum Verständnis der Wirkung, d.h. der bewussten ideologischen Auslegung und Beanspruchung des Wagner’schen Werks nach seinem Tod durch Cosima und den „Bayreuther Kreis“. Es wird schließlich zu zeigen sein, dass die Weichen für eine Inanspruchnahme des Wagner’schen Werks durch die Nationalsozialisten gestellt wurden durch Cosimas bornierten und starren Antisemitismus, der sich erheblich unterscheidet von dem ihres Gatten.

Nach der „Pionierarbeit“ Cosimas, ihrer Mythen- und Legendenbildung, der ideologischen Zementierung eines antisemitisch-völkischen Wagnertums und der Weihung Bayreuths zum Gralstempel einer in ihrem Sinne verstandenen Wagner-Gemeinde durch Cosimas Bayreuther Kreis hatte ihre Schwiegertochter Winifred leichtes Spiel, die Freundschaft Adolf Hitlers und seine Begeisterung für das Werk Wagners zu gewinnen, woraus dann jener deutschtümelnde, falsche, aber folgenreiche Wagner-Kult der Nationalsozialisten hervorging, der die Grundlage aller nach 1945 kursierenden Vorurteile und Missverständnisse in Sachen Wagner bildet.

Wagners Antisemitismus

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