Читать книгу Wagners Antisemitismus - Dieter David Scholz - Страница 17
Schlussfolgerungen
ОглавлениеDie Beiträge der Forschung zum Problem des Wagner’schen Antisemitismus sind hinsichtlich vieler Einzelfragen – wie im Vorigen dargestellt – noch immer kontrovers. Sie unterscheiden sich in Methode wie Ergebnis beträchtlich. Meist werden einzelne Bereiche des Gesamtphänomens Wagner ausgeklammert. Oft wird der historische Kontext der antisemitischen Äußerungen Wagners außer Acht gelassen, das musikalisch-dramatische Werk wird ausgeklammert oder es werden vornehmlich theoretische Schriften und private Äußerungen Wagners zur Grundlage von Untersuchungen gemacht, die sich vor allem rezeptionsgeschichtlicher Zeugnisse zur Deutung des Wagner’schen Werks bedienen. Häufig werden nur mehr Pauschalurteile abgegeben.
All dies ist unbefriedigend und verlangt nach sachlicher Klärung. Es ist (zumal wegen der widersprüchlichen und diskontinuierlichen Forschungslage) geboten, einmal eine Summe bisheriger Beiträge und Erkenntnisse der Forschung zu ziehen, um einen auf verifizierbaren Fakten und Tatsachen und auf heutiger Quellenlage basierenden Überblick über Wagners Antisemitismus zu geben, jenseits ideologischer Verhärtungen.
Eine Reihe biographischer, konzeptionsgeschichtlicher und rezeptionsgeschichtlicher Probleme und Fragen bedürfen der Klärung im Sinne präziser, umfassender (und um historische Gerechtigkeit sich bemühender) Analysen und Darstellungen. Das bedeutet zunächst einmal, dass vor dem Hintergrund der familiären Herkunft Richard Wagners zu klären ist, ob jüdischer Selbsthass als Ursache für Wagners Antisemitismus in Betracht zu ziehen oder auszuschließen ist (Kap. II). Daraufhin soll vor dem Hintergrund des zeitgeschichtlichen Kontexts das theoretische (Kap. V) wie das musikalisch-dramatische (Kap. IV) Werk Wagners in Bezug auf das Problem „Antisemitismus“ präziser philologischer, vor allem entstehungsgeschichtlicher Einzelanalysen unterzogen werden, deren Ergebnisse dann in eine Gesamtbewertung des Werks im Schlusskapitel (Kap. VI) münden sollen.
Es versteht sich von selbst, dass die ausführlichen Analysen der Essays, Aufsätze und Musikdramen ergänzt werden müssen durch die Auswertung sämtlicher verfügbarer und aussagekräftiger privater Zeugnisse antisemitischer Äußerungen Wagners Es sind dies seine Briefe, das sogenannte „Braune Buch“, Wagners autobiographische Schriften, aber auch Berichte von Zeitgenossen. Vor allem die Tagebücher seiner Gattin Cosima, die als eine der wichtigsten Quellen der Wagner-Forschung bis heute nicht annähernd genutzt wurden, sollen in meiner Arbeit erstmals auf die in ihnen festgehaltenen hochinteressanten Äußerungen Wagners zur „Judenfrage“ umfassend überprüft und konsequent ausgewertet werden (Kap. III).
Um nur ein Einzelergebnis der Tagebuchauswertung zur Illustrierung der oben erhobenen Forderung vorwegzunehmen, sei hier nur angedeutet, dass beispielsweise bis heute nicht gebührend registriert worden ist, dass sich Cosimas naiv-pauschaler Antisemitismus beträchtlich von dem ihres Mannes unterscheidet. Auch ihr Einfluss auf dessen Antisemitismus, ganz zu schweigen von ihrer antisemitischen Hauspolitik in Bayreuth nach Richards Tod, ist bisher fahrlässig unterschätzt und noch nicht angemessen dargestellt worden.
Dies ist freilich ein Rezeptionsproblem, das deutlich zu unterscheiden ist von den Produktionsproblemen, der Frage also, inwieweit Wagner absichtlich, oder auch unbewusst, in sein Werk antisemitische Intentionen einpflanzte – eine Unterscheidung, die in den Debatten der letzten vierzig Jahre nur selten getroffen wurde. Aber eben darin liegt ja gerade das Kernproblem der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um Wagners Antisemitismus. Nach den produktionsspezifischen, also entstehungsgeschichtlichen Werkanalysen sollen deshalb im letzten Kapitel meines Buches (Kap. VI) wesentliche Mechanismen der völkisch-nationalistischen wie der nationalsozialistischen Wagner-Rezeption beleuchtet werden. Erst dann kann eine Summe gezogen und ein abschließendes Urteil versucht werden.
Ziel meiner Untersuchung des Wagner’schen Antisemitismus ist es also, den in der Wagner-Literatur verwischten Unterschied zwischen Werk und Wirkung Richard Wagners (hinsichtlich seines Antisemitismus) deutlich hervorzuheben. Selbstverständlich muss danach gefragt werden, wieso es zu einer solch exponierten Rezeption des Wagner’schen Judenhasses im Dritten Reiches kommen konnte. Es wird nötig sein, hier möglichst genau den rezeptionsgeschichtlichen Weg der „Verwaltung“, um nicht zu sagen Vermarktung und der ideologischen Verzerrung von Werk und Person Richard Wagners gemäß dem kulturpolitischen Sendungsbewusstsein Bayreuths darzustellen, als deren Repräsentanten (in chronologischer Reihenfolge) Cosima und Winifred Wagner zu nennen sind. Erst nach detaillierten Untersuchungen von theoretischem und dramatischem Werk Wagners sowie dessen Rezeption durch Cosima, den Bayreuther Kreis, völkische und schließlich nationalsozialistische Autoren kann und soll die Frage, in der jene nach Wagners Antisemitismus letztlich gipfelt, beantwortet werden, ob es tatsächlich einen direkten Weg von Wagner zu Hitler gab.