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B. Konzeptionsprobleme 1. Theoretisches Werk

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Die Wagner-Forschung hat sich nur relativ beiläufig mit den theoretischen Schriften Richard Wagners beschäftigt. Ihr Augenmerk galt und gilt unter Vernachlässigung der musiktheoretischen Essays und programmatischen Aufsätze vornehmlich dem musikalischen und dramatischen Werk Wagners. Freilich sind immer wieder die späten theoretischen Schriften Wagners zitiert, aber (meist) nur pauschal bewertet worden, eingehende Untersuchungen jedoch stehen bis heute aus.

Nun ist Wagner ohne Zweifel in erster Linie Komponist und Dramatiker gewesen, praktischer Theatermacher also und nicht Essayist oder Kulturtheoretiker. Was nicht heißen soll, dass seine Aufsätze und Essays nicht ernst zu nehmen wären. Aber sie sind doch mehr das Nebenprodukt eines ungestüm red- und schreibseligen, extrem subjektiven, komponierenden Theatermannes als schriftliches Elaborat streng diskursiven Denkens.

Es ist zu bezweifeln, dass man die theoretischen Arbeiten gleichwertig neben die musikalisch-dramatischen Arbeiten Wagners stellen darf. Ob sie wirklich als die Musikdramen ergänzende, weil deren „Werkidee“ erläuternde „antisemitisch-rassistische … Kampf- und Agitationsschriften“81 anzusehen sind, wie Hartmut Zelinsky behauptet, ist allerdings fragwürdig.

Es versteht sich von selbst, dass Wagners musikdramatischem Werk vorrangiges Interesse gebührt, was ja auch die Rezeption Wagners bezeugt, die hauptsächlich die seines Musiktheaters ist82.

Vom theoretischen Werk Wagners wurden fast nur seine revolutionären Kunstschriften, vor allem „Die Kunst und die Revolution“ (1849) und „Oper und Drama“ (1851) zur Kenntnis genommen und (zumeist von Musikwissenschaftlern) in größeren Zusammenhängen eingehender Untersuchungen für nötig erachtet.

Die späten, nach 1860 veröffentlichten Aufsätze Wagners, Aufsätze, in denen Wagner zu Fragen der deutschen Kultur und Politik, des Zusammenhangs von Religion und Kunst, aber auch zu Problemen des Antisemitismus öffentlich Stellung nimmt, sind in der Wagner-Literatur dagegen nur peripher behandelt worden. Die meisten Autoren haben um diese Arbeiten einen Bogen gemacht oder sie pauschal abgetan als wirre und konfuse, nicht eigentlich ernst zu nehmende Altersschriften eines ansonsten „genialen“ Künstlers. Von verklärenden Autoren wie Erich Schubert, die von vornherein zur dekretieren: „in dieser versöhnlichen Stimmung, die in Wagners letzten Schriften erklingt, wollen wir auch zu ihm aufsehen und in Parsifal-Streben ihn zu verstehen suchen“83, soll hier gar nicht erst die Rede sein.

Die größte Aufmerksamkeit wurde in der Wagner-Forschung neben den revolutionären Zürcher Kunstschriften Wagners dem 1850 erstmals veröffentlichten Aufsatz über „Das Judentum in der Musik“ gezollt. Das Interesse an dieser Schrift galt übrigens vornehmlich ihrer Entstehungsgeschichte, die in zahlreichen Veröffentlichungen dargestellt wurde, am präzisesten bisher von Jacob Katz (1985)84.

Doch Wagners Haltung zur Judenfrage hat sich in dieser Schrift keineswegs endgültig und unwiderruflich erschöpft, weshalb sie auch durch die Lektüre nur dieser einen Schrift nicht hinreichend erfasst werden kann. Dennoch wird in zahlreichen Veröffentlichungen der Wagner-Forschung, vor allem auch in historischen Publikationen, die sich mit der Geschichte des deutschen Antisemitismus befassen, meist ausschließlich auf Wagners Schrift über „Das Judentum in der Musik“ rekurriert, als wäre sie Wagners einziges und letztes Wort zu diesem Thema gewesen. Dieser Irrtum wird im Folgenden zu korrigieren sein.

Drei typische Beispiele solcher Arbeiten sind die (publizistisch erfolgreichen und nicht unwesentlich auf die Entstehung des öffentlichen Wagner-Bildes einwirkenden) Veröffentlichungen Wanda Kampmanns85, Gordon A. Craigs86 und des Judaisten Hermann Greive87. Alle drei Autoren stellen Richard Wagner relativ undifferenziert und ohne eingehende Prüfung der Sachlage als gewichtigen antisemitischen Autor im Prozess der Entstehung des modernen Antisemitismus in Deutschland dar. Dass der Wagner’sche Antisemitismus tatsächlich in einigen Punkten im krassen Gegensatz zum aufkommenden Rassenantisemitismus steht, erfährt man bei keinem der genannten Autoren.

Hartmut Zelinsky hat zwar auch Wagners Bayreuther Schriften (er spricht von „antisemitisch-rassistischen Kampf- und Agitationsschriften“88) im System seiner obsessiven Wagner-Exegese berücksichtigt, er hat mit ihnen seine These von „Wagners Systemdenken“89 als einer „religiös-rassistischen Vernichtungsideologie“90 untermauert, doch hat auch Zelinsky, der diese Schriften ausgiebig zitiert, keine wirklich ernst zu nehmende sachliche Analyse der Schriften vorgelegt, wie er auch die erste antisemitische Schrift Wagners bloß nach Belieben zitiert, statt sie einmal methodisch seriös im Kontext ihrer Entstehung zu untersuchen.

So ist aufs Entschiedenste in Frage zu stellen, ob man dem Phänomen des Wagner’schen Antisemitismus beikommt, indem man, wie Zelinsky, die Schrift über „Das Judentum in der Musik“ als „zentrale autobiographische Bekenntnisschrift“91 auffasst, aus der sich ein präziser und kalkulierter „Lebens- und Werkplan“92 ableiten lasse mit der zentralen Idee der „Erlösung“ der deutschen Kultur durch „Vernichtung“93 des Judentums, was im Musikdrama als dem Bayreuther „Erlösungstheater“94 zu künstlerischem Ausdruck gebracht werde.

Ich werde in den folgenden Kapiteln aufzeigen, dass Wagners Antisemitismus weder Teil einer systematischen Theorie war, noch statisch und konstant. Wagners Judenfeindlichkeit unterlag Entwicklungen und Wandlungen und er offenbart sich in mehrfach modifizierten, ja einander widersprechenden Äußerungen und Stellungnahmen, die es – wenn man sie denn registriert – nicht erlauben, Wagner in einen Topf mit den Rassenantisemiten zu werfen, die den nationalsozialistischen Antisemitismus in einem folgenden Jahrhundert vorbereiteten.

Wagners Antisemitismus

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