Читать книгу Wagners Antisemitismus - Dieter David Scholz - Страница 8
Vorwort zur ersten Ausgabe
ОглавлениеDass die Dialektik der Aufklärung Mythen stiften und Vorurteile in die Welt setzen kann, hat sich gerade im Falle Wagners erwiesen. Es versteht sich von selbst, dass nach dem Holocaust unmöglich über Wagners Antisemitismus reflektiert werden kann, ohne nicht auch immer Hitlers Wagnerismus und Antisemitismus mitzubedenken. Dennoch ist es ein Irrtum, zu glauben, es führe ein direkter Weg von Wagner zu Hitler oder gar, Wagners Antisemitismus habe den Hitler’schen vorweggenommen bzw. vorbereitet, wie die Nationalsozialisten behaupteten.
Die Geschichte der Wagner-Rezeption, die Geschichte der Wagner-Literatur ist voll von entstellenden Vereinfachungen, von ideologischen Hilfskonstruktionen, von biographischen Verrückungen, philologischen Verzerrungen, Ausblendungen von Unliebsamem und von Missverständnissen, um nicht zu sagen Vorurteilen, die sich offenbar hartnäckig jeder Korrektur, jeder sachlichen Klarstellung widersetzen, trotz inzwischen vorliegender gegenteiliger Erkenntnisse und Fakten der Wagner-Forschung. Nun wissen wir aus der Geschichte, dass alle Vernunft und Aufklärung versagt, wo Ideologien und politische Interessen, Emotionen und Leidenschaften, Identifikationsbedürfnisse und Fanatisierungsprozesse das Sagen haben. Das trifft nicht nur, aber eben auch und ganz besonders im Falle Wagners zu!
Ziel dieses Buches ist es, das vor allem durch die Optik des Nationalsozialismus nachhaltig verfälschte Wagner-Bild zu korrigieren, historische Missverständnisse zu klären und wirkungsgeschichtliche Vorurteile aus der Welt zu räumen, soweit dies kraft sachlicher Argumente möglich ist. Die entscheidenden Fragen konzentrieren sich dabei auf den unleugbaren Wagner’schen Antisemitismus in seinen musikdramatischen und theoretischen sowie privaten Äußerungen. Als oberstes Gebot habe ich das Bemühen um historisches Verständnis betrachtet, so wie es der israelische Historiker Jacob Katz in seiner, wenn auch nur einen Ausschnitt des Problemfelds behandelnden, dennoch wegweisenden Arbeit fordert: „Die Beachtung der chronologischen Reihenfolge in der Darstellung und Deutung der Ereignisse ist die erste Pflicht des Historikers, die auch in diesem Fall unter Überwindung der verständlichen Widerstände streng einzuhalten ist.“1
Dass es einem Stich ins Wespennest gleicht, sich mit dem heiklen und beklemmenden Thema des deutschen – speziell des Wagner’schen – Antisemitismus zu befassen, zumal es gilt, sich zwischen extrem polarisierten Standpunkten zu bewegen, versteht sich von selbst. Die konträren Pressereaktionen auf die Erstausgabe dieses Buches vor sieben Jahren haben es veranschaulicht. Die Rezensentin der Berliner taz demonstrierte nur einmal mehr, wie sie genau jenen für sie anscheinend unverrückbaren Vorurteilen auf den Leim ging, deren Infragestellung das Thema meines Buches sind. Die Süddeutsche Zeitung dagegen druckte den überschwänglichsten der vielen Zusprüche, die das Buch erhielt. Die gutgemeinte Schlussforderung des Rezensenten allerdings, dass der Schlusssatz meines Buches „das letzte Wort in der Debatte“ sein solle, bleibt sein frommer Wunsch und mehr als nur fraglich. Dass mich die in den vergangenen Jahren anberaumten Symposien zu Wagners Antisemitismus in Bayreuth und in Schloss Elmau schlichtweg ignorierten, zeigt nur die ideologisch aufgeladenen und verhärteten Fronten in der aktuellen Wagner-Debatte, in der ein sachlicher, unparteiischer Standpunkt – aus welchen Interessen heraus auch immer – offenbar nicht gewünscht wird.
Ich gebe mich keineswegs der Illusion hin, dass die Debatte um Richard Wagner mit dieser Arbeit abgeschlossen sein wird. Wenn es mir aber gelungen ist, deutlich zu machen, dass Wagners musikdramatisches Werk frei ist von jeglichem Antisemitismus, dass der Wagner’sche Antisemitismus (der hier nicht im Geringsten geleugnet noch zähneknirschend verharmlost oder bagatellisiert werden soll, wie Christian Niemeyer anmaßend in einem unsachlichen Aufsatz in den Nietzsche-Studien behauptete) sich grundlegend unterscheidet vom Rassenantisemitismus eines de Lagarde, Dühring oder gar Hitler und dass die nationalsozialistische Berufung auf Wagner auf eigentlichem Unverständnis Wagners beruht und nur als Missbrauch bezeichnet werden kann, zumal sich der nationalsozialistische Antisemitismus wesentlich aus ganz anderen Quellen speist, wie zu zeigen sein wird, dann ist der Zweck meines Buches erreicht. Vielleicht gelingt es mir, wenigstens einige der postnationalsozialistischen Wagner-Vorurteile abzubauen, um so einer Versachlichung des Themas den Boden zu bereiten. Der Sisyphusarbeit solchen Vorhabens bin ich mir selbstverständlich bewusst.
Walter Levin, der sowohl in jüdischer Tradition als auch in früher Kenntnis der Wagner’schen Werke aufgewachsene Gründer des LaSalle-Quartetts, mit dem ich noch unlängst sehr anregende Gespräche über das Thema dieses Buches führte, hat das Problem auf den Punkt gebracht: „Im Amerikanischen sagt man: ‚Don’t bother me with the facts, my mind is made up!‘ Die Fakten interessieren bei einem Vorurteil überhaupt nicht. Das Vorurteil dient einem ganz anderen ideologischen Zweck und es braucht die Konstruktion dessen, was mit Ruhe besehen zwar falsch ist, aber es nützt dem Zweck, den man verfolgt. Und so werden diese ideologisch begründeten Vorurteile immerfort tradiert und werden unbesehen auch immer weiter übernommen vom Einen zum Andern. Die meisten Wagnerbücher, die geschrieben werden, sind ja eigentlich Abschriften zusammengesuchten Zeugs aus anderen Büchern.“
Dieses Buch ist das Ergebnis langjähriger wissenschaftlicher Beschäftigung mit der Person und dem Werk Richard Wagners, aber auch zahlreicher Gespräche und Auseinandersetzungen über Wagners Antisemitismus und seine Folgen.
Die Erstfassung des Buches basierte auf meiner Berliner Dissertationsschrift an der Technischen Universität Berlin 1992 und erschien ein Jahr später als selbständige Veröffentlichung, die schnell vergriffen war. Das Thema dieser Neuausgabe des Buches hat allerdings, wie die nach wie vor polarisierte, in verhärteten Fronten verharrende Wagner-Debatte zeigt, nichts an Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil: Meine Grundthese, dass im Falle Wagners vor allem Missverständnisse und Vorurteile repetiert, anstatt mit zunehmendem Erkenntnisgewinn der Wagner-Forschung abgebaut werden, hat sich auch in den zurückliegenden sieben Jahren nur bestätigt. Selbstverständlich habe ich das Buch gründlich überarbeitet, aktualisiert und auf den neuesten Stand der Forschung und Literatur gebracht.
Dank noch einmal an alle streitbaren Gesprächs- und briefliche Konversationspartner, darunter besonders herzlichen Dank an Prof. Dr. Dénes Zoltai (Budapest), Walter Levin (USA), Prof. Dr. Jacob Katz (Israel) und an zwei getreue Freunde für anregende Debatten und vielfältige Unterstützung: Kamillus Dreimüller, dem ich auch wertvolle Literaturhinweise verdanke, sowie Prof. Dr. Ingo Kowarik, ohne dessen Ermunterung diese Arbeit wohl kaum zustande gekommen wäre.
Zu danken habe ich nach wie vor dem ehemaligen Leiter der Richard-Wagner-Gedenkstätte Bayreuth, Herrn Dr. Manfred Eger und dem Bibliothekar des Archivs, Herrn Günter Fischer. Er hat mir in ungewöhnlicher Hilfsbereitschaft alles verfügbare Material des Bayreuther Wagner-Archivs zugänglich gemacht. Nicht zuletzt danke ich Prof. Dr. Peter Wapnewski und Prof. Dr. Norbert Miller.
Dieter David Scholz, Berlin im Februar 2000
Wagner und das Judentum.
Karikatur veröffentlicht 1879 in der satirischen Zeitschrift
„Der Floh“, Wien.