Читать книгу Wagners Antisemitismus - Dieter David Scholz - Страница 15
2. Dramatisches Werk
ОглавлениеDie Antisemitismus-Debatte hat sich immer auch mit der nun wahrlich zentralen Frage beschäftigt, inwieweit in Wagners Kunst, in seinem Theater, seinen Musikdramen also, antisemitische Tendenzen erkennbar seien. Dabei kaprizierte sich die Fragestellung in erster Linie darauf, ob – und, wenn ja, in welchem Kontext – in den Dramentexten Wagners jüdische Figuren – als Judenkarikaturen – aufzufinden seien. In der heutigen Forschung jedenfalls stehen sich in diesem Punkt zwei konträre Meinungen anscheinend unversöhnlich gegenüber.
Schon in Paul Bekkers bedeutendem Wagner-Buch von 192495 werden, wie schon angedeutet, in sehr eigenwilligem Verständnis des Wagner’schen „Judenbegriffs“, einige Gestalten des „Rings“ als jüdische Figuren interpretiert: Aus einem „künstlerisch bedingten Zweckbegriff des Judentumes treten die Gestalten Alberichs, Loges, Hundings, Mimes, Hagens hervor“96. Wobei zu fragen wäre, ob Bekkers Interpretation des Judenbegriffs nicht doch auf bereits vorhandenen, im völkisch-deutschnationalen Antisemitismus gängigen Deutungen der Wagner’schen Gestalten fußte, sie lediglich vom rassistischen Element reinigen wollend.
Wagners Antisemitismus wird bei Bekker in einem Atemzug mit seinen Schriften in den „Bayreuther Blättern“, die sich programmatisch um den „Parsifal“ gruppierten, als nichts weiter verstanden als bloß „begriffliche Konzeption einer Vorstellungswelt, in der das künstlerische Genie aus intuitiver Erkenntnis des Leidens das Heilsamt der Erlösung durch Mitleid übt“97. Dabei gehe es, so interpretiert Bekker das letzte Werk Wagners, wesentlich um den Kampf zwischen christlicher und unchristlicher Lehre, zwischen Gott und dem Teufel. „Dieser Teufel, Unheilige und Dämon, dessen Wirken das Leiden der Welt bestimmt, … ist der Jude. Er ist die dramatische Antithese, durch die diese Welt der Liebe, des Glaubens, der Hoffnung in Bewegung gesetzt wird“98 und sich im „Parsifal“ in den Gestalten der Kundry und des Klingsor manifestiere. Gerade die nationalsozialistischen Wagner-Exegeten machten sich dieses Bekker’sche Interpretationsmodell der Wagner’schen Gestalten zunutze. Die Gestalten Mime und Alberich, der Holländer, Beckmesser, Kundry und Klingsor wurden mit Vorliebe als diskreditierende Juden-Karikaturen betrachtet, so wie Wagners Dramen als theatralische Propagandaopern zur Verklärung eines erklärtermaßen hehren, antisemitischen „Deutschtums“ benutzt wurden.
Erstaunlicherweise hat bereits 1933 ein heute in völlige Vergessenheit geratener Autor, der Musikkritiker und -schriftsteller Josef Engel de Jánosi, in seinem bemerkenswerten Buch „Das Antisemitentum in der Musik“99 gegen solche Wagner-Vereinnahmung heftig, wenn auch folgenlos protestiert. Engel ist mutig gegen namhafte Wagner-Schriftsteller des Dritten Reiches zu Felde gezogen, die Wagners Gestalten als diffamierende Judenkarikaturen im Sinne der nationalsozialistischen Doktrin interpretierten: „Es werden da Wagner Gedanken und Absichten zugemutet, an welche er bei Abfassung der betreffenden Musikdramen wohl nicht im entferntesten gedacht hat.“100 Josef Engel war darüber hinaus einer der ersten Kritiker (dies sei hier nur am Rande angemerkt), die gegen die getreulich im Geiste Bayreuths verfasste Monumentalbiographie Richard Wagners durch Carl F. Glasenapp101 protestierten, eine Biographie, die mit nachweislichen Verfälschungen, Legendenbildungen und Mythisierungen für Jahrzehnte Wagner-Verklärung betrieb und dennoch den Anspruch auf wissenschaftliche Geltung erhob.
Schließlich hat 1952 Theodor W. Adorno in seinem „Versuch über Wagner“ – wenn auch in konträrer Absicht – die nationalsozialistische Wagner-Exegese mit seiner These nur bestärkt, „all die Zurückgewiesenen in Wagners Werk sind Judenkarikaturen“102, womit explizit Mime, Beckmesser und Alberich, unausgesprochen aber wohl noch andere „Zurückgewiesene“ gemeint waren. Adornos Behauptung fiel auf vorbereiteten Boden und machte in großem Stile Schule, auch wenn Adorno die Verifizierung seiner Behauptung schuldig geblieben ist.
Die Reihe der Autoren, die an Adornos Verdikt antisemitischer Idiosynkrasie, die sich in der theatralischen Darstellung von Judenkarikaturen äußere, anschließt, reicht von George G. Windell103 über Erich Kuby104 und Robert Gutmann105, um einige wichtige zu nennen, bis zur Wagner-Literatur der Achtzigerjahre, in denen Hartmut Zelinsky gegen den Rest der Welt hartnäckig seine Thesen verbreitete. Für Zelinsky scheinen gemäß seinem Dogma des „fanatischen religiös-rassistischen Antisemitismus der Wagnerschen Werkidee“106 nicht nur die ahasverischen Gestalten des Fliegenden Holländers und der Kundry107 als Judenverkörperungen konzipiert worden zu sein, sondern auch der „Ring“, „Parsifal“, „Tristan“ und die „Meistersinger“108 fügen sich für ihn in dieses Konzept ein.
Noch 1983 wiederholt Rudolf Schottlaender in einem Aufsatz in den „Frankfurter Heften“ die Position Adornos, indem er behauptet, in Wagners Dramen seien, wenn auch nicht expressis verbis, so doch unverkennbar jüdische Karikaturen enthalten. Sie seien eben nur versteckt: „Wagner war viel zu sehr Theatermann, um in seinen Musikdramen die Personen, die er als typisch jüdisch verstanden wissen wollte, ausdrücklich durch jüdische Namen zu kennzeichnen. … Die Maskierung ist von jeher die Domäne der Bühnendichtung. Aber es ist nicht allzu schwer, Wagners theatralische Chiffrensprache zu dechiffrieren, bietet er doch dazu selber in seinen Schriften die Handhaben, daneben auch in brieflichen und mündlichen Äußerungen.“109 Welche da gemeint sein sollen, wird leider verschwiegen. Wagner sei es gelungen, „die weitverbreitete Vorstellung vom widerwärtigen und gefährlichen Juden in ebenso eindrucksvoller wie grotesker Übertreibung auf die Bühne zu bringen.“110 Schottländers Behauptungen gipfeln in der wörtlich zitierten und doch nicht kenntlich gemachten These Adornos: „All die Zurückgewiesenen in Wagners Werk sind Judenkarikaturen.“111 Eine unbewiesene und – wie in Kapitel IV dieses Buches in aller Ausführlichkeit dargelegt werden wird – unbeweisbare Behauptung,112 der auch das schon eingangs erwähnte 1992 in englischer und 1999 in deutscher Sprache erschienene Buch von Paul Lawrence Rose nichts irgend Erhärtendes hinzuzufügen weiß113.