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Dr. Schwabe
ОглавлениеChefarzt und Leiter der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses Demmin war Dr. Schwabe. Er besaß eine außergewöhnliche naturwissenschaftliche Allgemeinbildung, von der jeder profitieren konnte. Seine Chemie-Kenntnisse wandte er auch zur Fleckenentfernung aus Textilien an und half mit Rat und Tat gern allen Mitarbeitern des Hauses. Vom Fotografieren und Entwickeln der Bilder verstand er mehr als die meisten. Am Ärzte-Stammtisch stellte er uns den Wankel-Motor anhand eines selbst gefertigten Pappmodells vor. Bei den wöchentlichen Chefvisiten durchmaß Dr. Schwabe alle internistischen Stationen, was ihn altersgemäß recht anstrengte und auch uns Jüngeren, die wir alle als „weiße Wolke“ mitlaufen mussten, etwas ermüdete. So gab es eine planmäßige Pause mit einer guten Tasse Kaffee und Erzählungen aus dem Leben unseres Chefs. Das war turbulent verlaufen. Als Landarzt in Ostpreußen hatte er viele Jahre unter schwierigsten Bedingungen gearbeitet. Einmal brachte eine Mutter ein Kind, das bei Diphtherie sehr nahe am Ersticken war. Sie begegnete ihm auf dem Treppenflur. Bis in die Praxisräume zurückzueilen fehlte die Zeit. Kurz entschlossen erledigte er den lebensrettenden Not-Schnitt unterhalb des Kehlkopfes auf dem Fensterbrett des Treppenabsatzes und die tief erschrockene Mutter konnte ihr Kind lebend und wieder atmend in die Arme nehmen.(1)
Dr. Schwabes Frau war Jüdin und die Nazis verlangten die Scheidung. Er widersetzte sich und wurde im KZ Sachsenhausen eingesperrt. Das war nicht seine letzte Gefangenschaft. Nach 1945 starb ihm die Frau eines sowjetischen Offiziers unter den Händen. Und wieder ging es ab nach Sachsenhausen. Das Misstrauen der sowjetischen Seite über die Zwischenfälle bei der versuchten kampflosen Übergabe Demmins lebte immer noch. Dr. Schwabe erzählte all das gelassen. Er hat Episoden aus seiner zweiten Inhaftierung berichtet, unter anderem dass er seinen Mithäftlingen die Ortskenntnis voraus hatte. Direkte Kritik an seiner Inhaftierung habe ich jedoch von ihm weder bei den Visitenpausen noch am Ärzte-Stammtisch gehört. Die Fakten sprachen für sich.