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Auf der chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses Demmin

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Hier pfiff der Wind bei der Arbeit ganz anders. Der chirurgische Chef, Dr. Schneider, genoss hohes Ansehen. Er soll angeblich einmal eine Berufung an die Uni Greifswald abgelehnt haben, vielleicht weil er Prominentester im Kreis, an der Universität aber nur einer unter vielen gewesen wäre. Ein Mann von fülliger, schwerer Statur, freundlich, aber von sicherem Selbstbewusstsein, widmete er sich der medizinischen Seite des Krankenhausbetriebes pflichtgemäß und mehr. Bei seinen Visiten gab es kein Plauderstündchen. Die medizinisch-organisatorischen Aufgaben erledigte sein chirurgischer Oberarzt, die Verwaltung sein Verwaltungsleiter. Dieser war SED-Mitglied und ein guter Organisator und Ökonom. Dabei definierte er Ökonomie als den Weg, mit den gegebenen Möglichkeiten die bestmögliche Leistung für den Patienten zu erzielen. Das gelang seiner Leitungstätigkeit auch bemerkenswert gut und wurde von den Ärzten als hilfreich wahrgenommen.

Problematisch war für mich der Umgangston, den zwei Kolleginnen mit mir pflegten. Meine chirurgischen Kenntnisse und Fähigkeiten waren verbesserungswürdig, aber das brachten mir die beiden Frauen, die mir wenige Lebensjahre und viel berufliches Können voraus hatten, recht unfreundlich bei. So verlief meine Einarbeitung etwas stressig. Die Beiden, die ein fast unzertrennliches Paar bildeten, waren auch gegenüber dem ihnen vorgesetzten Oberarzt gelegentlich ungewöhnlich aufsässig. Das alles mag Ursachen gehabt haben, aber nach fast 50 Jahren lohnen sich darüber weder Spekulationen noch Aufregungen.

In der chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses war auch die Oberin untergebracht, also die oberste Vorgesetzte aller Krankenschwestern. Sie hieß Hilda Fränkel, war konfessionelle Schwester, stammte aus Ostpreußen und hatte dort unmittelbar an der deutsch-sowjetischen Grenze auf einem großen Landgut gelebt. Dort wurden im Frühsommer 1941 Soldaten der Hitlerwehrmacht für den Angriff auf die Sowjetunion stationiert. In den Geschichtsbüchern ist der Kriegsbeginn gegenüber der Sowjetunion unter dem 22. Juni 1941 verzeichnet, einem Sonntag. Hilda Fränkel wusste aus eigener Anschauung etwas Anderes zu berichten. Bereits am Freitag, dem 20. Juni 1941, verließen Trupps, ausgestattet mit Steigeisen und Kabelmessern das Gut und überschritten – offenbar unbemerkt – die Grenze der UdSSR, um die dort meist oberirdisch verlegten Telefonleitungen massenhaft zu kappen. Das deckt sich mit dem sowjetischen Film „Vergiss Deinen Namen nicht“, in dem anfangs eine komplizierte Entbindung in einer grenznahen Hebammenstation geschildert wird, die am 22. Juni 1941 stattfindet. Die Hebamme versucht, einen Arzt anzurufen, doch sind alle Telefonleitungen ausgefallen. Und dann rollen die deutschen Panzer ein.

Von Hilda Fränkel kenne ich nur diese mündliche Schilderung und der Film ist ein Kunstwerk und kein Dokument. Dennoch macht mich das nachdenklich. Was hat hier wirklich stattgefunden? Warum fallen massenhafte Telefonstörungen nicht auf? War die Sowjetunion im Juni 1941 tatsächlich noch unaufmerksamer gegenüber der ihr drohenden Gefahr, als ohnehin bekannt ist?

Hygienearzt in zwei Gesellschaften

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