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Fußball im „jüdischen Milieu“

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Für jüdische Kultur und Atmosphäre in der Ajax-Kabine stand in den goldenen Jahren vor allem der Physiotherapeut Salo Muller, heute eine Legende des Klubs. Muller war sechs Jahre alt, als er seine Eltern das letzte Mal sah – auf der Bühne des Hollandsche Schouwburg, einem Theater an der Plantage Middenlaan, wo einst viele Stücke des jüdischen Dramatikers Herman Heijermans Premiere gefeiert hatten und der berühmte Kabarettist Louis Davids oft aufgetreten war. Mullers Eltern waren mit Hunderten anderer Amsterdamer Juden zusammengetrieben worden. Am 14. Oktober 1942 hatten die deutschen Besatzer die Hollandsche Schouwburg zur Sammelstelle für Juden erklärt, die deportiert werden sollten.

Zweimal in der Woche wurden 300 bis 400 Juden in das Theater getrieben, schließlich auch die Eltern von Salo Muller. Von der Hollandsche Schouwburg aus wurden sie dann mit der Straßenbahn zum Bahnhof Muiderpoort gebracht und von dort in das Lager Westerbork transportiert. Westerbork war nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager im Osten.

Die jüngsten Kinder der verschleppten Juden wurden in einem von den deutschen Besatzern eingerichteten Kinderheim auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Plantage Middenlaan untergebracht, wo einst die Talmud-Tora-Vereinigung gesessen hatte. Saul Muller war eines von etwa 600 Kindern, die vom Heimpersonal gerettet wurden. Bis zum Ende der Besatzung fand Muller bei acht verschiedenen Adressen Unterschlupf. Mal wurde er als Protestant aufgezogen, mal als Katholik. Er kannte weder seinen wirklichen Namen, noch sein Geburtsdatum. Erst nach der Befreiung erfuhr er von der Ermordung seiner Eltern.

Bei Ajax zelebrierte Salo Muller – anders als viele andere Ajax-Juden – seine jüdische Identität. So bewegten sich auch Nicht-Juden wie Johan Cruyff während der golden Ajax-Jahre in einem von jüdischer Kultur beeinflussten Milieu, wie es in den Niederlanden nach dem Holocaust ansonsten kaum noch existierte. Barry Hulshoff, von 1966 bis 1977 in der 1. Ajax-Mannschaft und Nationalspieler, erinnert sich vor allem an den „jüdischen Humor“, der die Atmosphäre in den Jahren der Europapokaltriumphe prägte: „Wenn wir lachten, dann häufig über eine jüdische Art von Humor. Wo hört man in Belgien und in Holland die Witze zuerst? In Amsterdam und Antwerpen – ich fühle mich in Belgien am wohlsten, wenn ich in Antwerpen bin, das ein wenig von der gleichen jüdischen Atmosphäre hat. (…) Bei Ajax befanden wir uns im Zentrum der jüdischen Community, so brachten sie alles zu uns.“

Laut Salo Muller mochten es die Spieler, „Juden zu sein – obwohl sie keine waren. Wir hatten in Amsterdam einen jüdischen Metzger, Hergo in der Beethovenstraat. Vor jedem Europapokalspiel gab er mir eine Amsterdamer Salami, eine jüdische Salami. Und die Jungs sagten: ‚Oh, es ist eine jüdische – wir mögen sie!‘ Dick van Dijk machte immer Witze darüber. Wenn es eine andere Art Salami gab, sagte er: ‚Kommt, werft sie weg – es ist eine katholische Salami. Wir mögen nur die koschere.‘ Jaap van Praag erzählte uns vor jedem Spiel jüdische Witze. Co Prins war ein typischer Amsterdamer Spieler, ein richtiger Amsterdamer Junge. Seine Familie arbeitete auf dem Markt mit vielen jüdischen Männern, die jüdische Wörter benutzen. So benutzte auch Co immer jüdische Wörter. Das war normal. Er selbst war kein Jude. Aber er benutzte die Wörter, weil diese ein Teil von Amsterdam waren, ein Teil der hiesigen Kultur.“

Der König und sein Spiel

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