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Der Champion Israels

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Uzi Dann gehört zu den renommiertesten Fußballschreibern in Israel und gilt als wandelndes Lexikon in Sachen israelischer Fußballgeschichte. Der für die Tageszeitung „Haaretz“ arbeitende Journalist ist auch international viel unterwegs.

Im Januar 2012 treffe ich Uzi Dann am Rande einer vom Richard Koebner Center und dem Diaspora Museum organisierten Konferenz in Tel Aviv zum Thema „Jewish Sport in Germany – between Inclusion and Exclusion“. Gesprächspartner in Sachen Johan Cruyff zu finden, ist in Israel nicht schwierig – man rennt ständig offene Türen ein.

Als die WM 1974 angepfiffen wurde, war Uzi Dann zwölf Jahre alt. Aber eigentlich habe alles bereits vor 1974 angefangen, erzählt er. Die Niederländer galten in Israel als „die Guten“. Ein kleines Land, das den deutschen Besatzern tapfer Widerstand leistete und seine Juden vor deren Vernichtung versteckte. Das Land der Anne Frank. Heute weiß man, dass die Geschichte etwas komplizierter und nicht so schön war. In keinem anderen westeuropäischen Land war der Prozentsatz der ermordeten Juden so groß wie in den Niederlanden – auch dank der Hilfe der effektiv arbeitenden niederländischen Bürokratie. Erst 1999 wurden die Tabuthemen „Kollaboration“ und „Wegsehen“ erstmals ernsthaft erörtert. Die Historikerin Nanda van der Zee veröffentlichte ein Buch mit Titel „Um Schlimmeres zu verhindern… Die Ermordung der niederländischen Juden: Kollaboration und Widerstand“, das heftige Diskussionen auslöste.

Allerdings führte die Historikerin auch Entlastendes auf: „Wenn man sich vor Augen führt, welche schrecklichen Strafen bis hin zum Abtransport in ein KZ beispielsweise bei der Unterstützung der Juden drohte, so grenzt es im Grunde an ein Wunder, dass überhaupt Widerstand geleistet wurde und immerhin rund 25.000 Juden Unterschlupf gefunden haben. Ganze Schiffsladungen jüdischer Kinder sind nach Friesland gebracht worden, wo gläubige Bauernfamilien sie bei sich aufgenommen haben.“

Vertieft wurden die israelischen Sympathien für die Niederlande, als dem Jom-Kippur-Krieg 1973 die „Ölkrise“ folgte. Weltweit wurde von den OPEC-Staaten das Ölangebot um fünf Prozent reduziert. Gegen die als besonders israelfreundlich identifizierten USA und die Niederlande wurde auf Betreiben der im Jom-Kippur-Krieg unterlegenen arabischen Staaten sogar ein kompletter Lieferboykott verhängt. In den Niederlanden stieg der Ölpreis daraufhin um bis zu 300 Prozent, was die Regierung in Den Haag zu harten Sparmaßnahmen, aber nicht zum Einlenken veranlasste. Dass sich die Niederländer nicht einschüchtern ließen (jedenfalls war dies eine in Israel weit verbreitete Annahme), förderte die Sympathien für das Land in Israel weiter.

Die WM, die nur ein Jahr später in Deutschland stattfand, entfaltete vor diesem Hintergrund eine Wirkung weit über den Fußball hinaus. Uzi Dann berichtete mir: „Meine Mutter und mein Bruder waren an Fußball nicht interessiert, aber bei der WM in Deutschland war das anders. Nun fieberten sie mit den Niederlanden. Die waren die ‚Guten’. Einige Mitglieder der Familie meiner Mutter waren von den Nazis ermordet worden.“ Bis dahin hatten sich die Israelis vornehmlich für englischen und deutschen Fußball interessiert. In den 1960ern war das „Match of the Day“ der englischen First Division auch in Israel zu sehen – mit viertägiger Verzögerung. Israels „Match of the Day“-Tag war der Donnerstag.

Laut Uzi Dann hat niemals zuvor und nie wieder danach ein ausländisches Team eine derart massive Unterstützung seitens der israelischen Bevölkerung genossen wie die Elftal bei der WM 1974. Nicht nur aus historischen, politischen und moralischen Gründen – die „Guten“ waren auch auf dem Fußballfeld richtig „gut“. Und was gibt es Schöneres als ein brillantes Fußballteam, das auch noch auf der richtigen Seite der Geschichte steht? Uzi Dann: „1974 kam einfach alles zusammen. Cruyff war Niederländer und spielte für Ajax, das ein ‚jüdisches Image‘ besaß. Und man wusste, dass es in seiner Familie Juden gab. So durfte man glauben, dass Cruyff wenigsten ein bisschen einer von uns sei.“

Niederländer wie jüdische Israelis hatten noch eine offene Rechnung mit Deutschland. Cruyff verstand diese Interessensidentität. Im Vorfeld des Finales gab der Star der WM dem israelischen TV ein Interview, das die Sympathien mit der Elftal und den Niederlanden weiter anschnellen ließ. Cruyff erklärte, dass man sich der Unterstützung in Israel bewusst sei und man in München auch für die drei Millionen Fans in Israel spielen würde. Des Königs Versprechen erschien auch auf den Titelseiten der Zeitungen. Beim Finale, so Uzi Dann, hätten dann 99 Prozent der jüdischen Israelis hinter Cruyff und Co. gestanden. Und nach der Niederlage sei das Land in eine tiefe Depression gefallen. Uzi Dann: „Es war für uns fast wie ein Trauma.“

Im Frühjahr 1972, also zwei Jahre vor dem WM-Turnier, wurde vor 800 geladenen Gästen im Amsterdamer City-Kino der Film „Nr. 14 – Johan Cruyff“ uraufgeführt. Auftraggeber und Produzent war Cruyffs Schwiegervater Cor Coster, die Regie führte Maarten de Vos. Der Streifen zeigt Cruyffs Spiel in Nahaufnahme. Der Rezensent der „Süddeutschen Zeitung“ sieht den Fußballer mal als „Gazelle“, die ihre „Gegenspieler foppt“, dann als „Kranich, der die Außenlinie entlang fliegt“, und als „Synchronisation von Armen, Händen und Beinen“, die Cruyff zu einer „Wildkatze stilisiert“. Der Kollege vom „Spiegel“ widmet sich auch den mitunter in Brutalität ausartenden Versuchen, das Spiel des „Königs“ zu zerstören: „Die Gliedmaßen-Parade zeigte den Kampf bis auf die Knochen unverhüllt. In Cruyffs Rippen bohrte sich die Faust eines Italieners, mit dem Knie traf ihn der Grieche in der Magengrube, und ins Auge fuhr ihm der Finger eines Mannes aus Uruguay.“

Im Saal sitzt auch Borussia Mönchengladbachs Trainer Hennes Weisweiler, der mit Cruyff später eine Saison lang beim FC Barcelona zu tun haben wird, und ist beeindruckt: „Phantastisch, solche Bilder habe ich noch nie gesehen.“

Als nach der WM 1974 „Nr. 14 – Johan Cruyff“ auch in die israelischen Kinos kommt, geht Uzi Dann mit einem Freund gleich zweimal rein: „Es gab keine Sportfilme in hebräischer Sprache. Und dieser Film war einfach zauberhaft!““

„In Israel wird Johan Cruyff als der Mann betrachtet, der Anne Frank rettete“, zitiert Simon Kuper den israelischen Fußballanalytiker und Philosophen Saggie Cohen. Würde Cruyff in Israel eine politische Partei gründen, wären ihm in der Knesset zwei bis drei Sitze garantiert. Manche Israelis betrachten Johan Cruyff als „Ehrenjuden“ und „Ehrenbürger“ ihres Staates.

Zu den zahlreichen Cruyff-Fans in Israel zählt auch der Vater des israelischen Nationalspielers Gil Vermouth, der im Sommer 2011 von Hapoel Tel Aviv in die Bundesliga zum 1. FC Kaiserslautern wechselte. Bei den Lauterern trug der Mittelfeldspieler die Cruyff’sche Nr. 14, wie bereits bei Hapoel. Vermouth: „Mein Vater war früher ein riesiger Johan-Cruyff-Fan. Für ihn war er der beste Fußballer aller Zeiten. Deshalb habe ich, als ich zum Fußball kam, die Nr. 14 gewählt – und dabei ist es bis heute geblieben. Es ist also gleichzeitig ein Tribut an Johan Cruyff und an meinen Vater.“

Der König und sein Spiel

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