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Kapitel 13
ОглавлениеRita Ebeling bereitete eine Sonntagsmahlzeit vor. Sie hatte einen Schweinebraten am Vortage beim Schlachter gekauft und kochte Kartoffeln dazu mit Gemüse.
Nur kurz nahm sie zur Kenntnis, dass ihr Mann aus der Kirche ins Pfarrhaus zurückgekommen war. Jörg hängte seinen Talar in den Schrank, öffnete anschließend die Küchentür und blickte kurz hinein, um seiner Frau ein freundliches Hallo zuzurufen. Angesäuert blickte sie zur Seite und ranzte ihren Mann an: »Mach die Tür sofort wieder zu! Der Geruch zieht ja sonst durchs ganze Haus.«
Er gehorchte aufs Wort und dachte bei sich, dass er eigentlich wenig Lust auf ein gemeinsames Essen mit seiner Frau verspürte. Wenn es so schmecken sollte, wie es roch, hatte es ihm ohnehin den Appetit verdorben. Die schlechte Laune seiner Frau hinzugefügt, ließ es für ihn nur einen Schluss zu. Er ging in sein Dienstzimmer, verschloss die Tür von innen und griff zu seinem Handy.
Hoffnungsvoll lauschte er dem abgehenden Ruf und erwartete sogleich die ihm so vertraute Stimme seiner Angebeteten. Doch die Rufzeichen verhallten im Telefonhörer. Verärgert legte er das Handy zur Seite und stellte nur fest, dass dieser Sonntag es nicht gut mit ihm meinte.
Er musste noch einmal über die Einwände von Helga Ziegler zu seiner Predigt nachdenken und ärgerte sich im Nachhinein, dass er mit einer 92-jährigen Gottesdienstbesucherin so angestrengt im Türrahmen diskutiert hatte. Weshalb hatte er nicht einfach geschwiegen? Es wurmte ihn, wenn ihm so alte Frauen widersprachen und seine christlichen Auslegungen über Nächstenliebe mit dumpfer Nazimentalität ad absurdum führen wollten. Zu oft war er in den sechzig Jahren seines Lebens mit dieser Einstellung manch Älterer konfrontiert worden, dass Menschen, die nicht arbeiteten, dem lieben Gott die Zeit stahlen und im Grunde in ein Arbeitslager gehörten. Frei nach der Devise, dass ordentliche Arbeit noch niemandem geschadet habe und ganz im Sinne von Auschwitz letztlich frei mache. Oh, wie er das hasste! Dieser unselige Nazigeist, der sich dem Heiligen Geist seiner Auffassung nach zutiefst widersetzte! Warum ging so eine Frau in die Kirche? Glaubte sie, dass Jesus blond war, und schätzte ihn deshalb?
Ein nicht mehr aufhören wollendes Tatütata lag ihm in den Ohren. Die Feuerwehr schien auszurücken.
Er versuchte es noch einmal telefonisch bei Cora. Diesmal nahm sie das Gespräch entgegen. Sie hatte das Telefon zuvor einfach nicht gehört.
Jörg kam wieder etwas herunter und seine Laune wurde zusehends besser, als er ihre Stimme hörte und mit ihr ins Plaudern kam. Natürlich berichtete er ihr von der alten Frau Ziegler, woraufhin Cora Jörg bat, mit so alten Frauen etwas milder im Urteil umzugehen. Wenn Cora ihm das riet, zeigte er sich bereit, ihre Ratschläge zu befolgen. Seine Frau hatte diese Macht über ihn verloren.
Cora entschuldigte sich, dass sie es nicht geschafft hatte, zum Gottesdienst zu kommen. Als er ihr vom Inhalt seiner Predigt erzählte, war sie erleichtert, dass sie nicht unter den Gottesdienstbesuchern verweilt hatte.
»Du steigerst dich da in etwas hinein, Jörg«, warf sie ihm vor. Aus ihrem Mund klang selbst dieser Einwand noch lieblich. Doch der Pfarrer ließ sich nicht beirren.
»Es ist kein Zufall, dass der Mann vor meiner Kirchentür gestorben ist. Dieser letzte Weg dorthin wurde ihm von Gott gewiesen. Der Mann war am Ende seines Lebens angelangt. Und in diesem Leben muss etwas geschehen sein, dass irgendwie mit meiner Kirche oder mir zusammenhängt. Das schlummerte schon zu lange im Verborgenen, doch nun will die Wahrheit ans Tageslicht befördert werden.«
»Willst du losziehen und Leute ins Kreuzverhör nehmen? Die werden dich anzeigen und schon hast du einen Staatsanwalt am Halse wegen Stalkings.«
»Oder ich habe eine Staatsanwältin am Halse. Meine ganz persönliche Staatsanwältin. Darf ich dich zum Essen einladen?«
An den Braten seiner Frau, der in der Küche vor sich hin schmorte, dachte er mit keinem einzigen Gedanken mehr. Da Cora auch Appetit auf etwas Leckeres hatte und wenig Lust zum Kochen verspürte, ließ sie sich von ihm einladen. Die Verabredung stand, Jörg zog sich etwas Nettes an und dann eilte er zur Tür.
Da hörte er seine Frau hinter ihm herkeifen: »Wo willst du denn schon wieder hin? Das Essen ist gleich fertig.«
»Wenn ich den Braten in mich reinfuttern soll, dann steht’s mir für den Rest des Sonntags vorm Magen, wie meine Oma in solchen Situationen zu sagen pflegte. Außerdem haben wir uns nicht verabredet zum Essen. Ich habe dich nicht darum gebeten zu kochen. Wenn ich vorher gefragt worden wäre, hätte ich diesen Braten ohnehin verweigert. Ich wünsche dir einen guten Appetit und einen schönen restlichen Sonntag. Mach’s gut.«
Rita begann zu schluchzen, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte. Sie wusste, dass sie ihn verloren hatte. Sie spürte die andere und die unstillbare Sehnsucht ihres Mannes nach dieser ihr unbekannten Frau.
Jörg lief zu seinem Auto. Seine Gedanken kreisten um Cora, aber auch um Rita. Es reute ihn, dass er sie gerade so schäbig behandelt hatte. Das gehörte sich einfach nicht. Schon gar nicht für einen Pastor. So meinte er jedenfalls in diesem Augenblick. Zurückzugehen und sich zu entschuldigen kam ihm allerdings auch nicht in den Sinn.
Erst in diesem Moment nahm er den unangenehmen Geruch wahr, der in der Luft lag. Brandgeruch! Ein Feuer schien irgendwo ganz in der Nähe zu toben. Sich kurz umschauend setzte er sich in seinen Wagen und startete den Motor.