Читать книгу Die kälteste Stunde - Dirk Rühmann - Страница 9

Kapitel 5

Оглавление

Jörg Ebeling dachte an seine Pensionierung, deren Schwelle er in drei bis fünf Jahren erreichen würde. Als das junge Brautpaar vor ihm am Altar des Herrn stand und sich das Jawort gab, überlegte er für einen Augenblick, wie vielen Pärchen er das ewige Treueversprechen in all den Dienstjahrzehnten schon abgenommen hatte und wie viele es später vermutlich gebrochen hatten.

Eigentlich empfand er es als romantisch, dass trotz der immer stärker um sich greifenden Nüchternheit Menschen den Weg in die Kirche beschritten, um vor Gott zu bezeugen, dass sie sich füreinander geschaffen glaubten. Meistens verlief das Leben anders, als junge Menschen es sich vorstellten. So kreisten die Gedanken des Pfarrers um seine eigene Ehe, die am Boden lag. Und er dachte an Cora. Er fühlte eine Sehnsucht, als er das Lachen der jungen Menschen sah, die vor ihm standen und die Ringe tauschten. Es war dieses eindeutige, uneingeschränkte Lachen, das Ja zum Leben und vor allem zur Liebe sagte.

Nachdem er den Segen gesprochen und die frisch Vermählten in die eisige Kälte entlassen hatte, schweifte sein Blick über den verschneiten Garten, auf dem am frühen Morgen der Tote gefunden worden war. Keine einzige Spur von dem erfrorenen Obdachlosen war mehr zu entdecken. Nur Ebeling und sein Kirchenvogt Vahldieck dachten für einen Moment an die gespenstische Szene im winterlichen Morgengrauen.

Dann drehte Vahldieck die Heizung wieder ab. Bis zum folgenden Sonntag würde die Kirche unbenutzt bleiben und deshalb auch wieder verschlossen, was Pfarrer Ebeling missfiel.

Er ging zu seinem Haus hinunter und überlegte, ob er Cora anrufen sollte. Aus irgendeinem, ihm nicht ersichtlichen Grunde verwarf er den Gedanken jedoch schnell wieder.

Ebeling traute sich gar nicht mehr, in den Spiegel zu schauen. Wenn er die wenigen grauen Haare auf seinem Kopf betrachtete und die ziemlich rundliche Figur darunter, befielen ihn stets Zweifel, was die hübsche Staatsanwältin so attraktiv an ihm fand. Vielleicht rief er deshalb nicht bei ihr an, weil ihn die Angst plagte, dass sie ihn eines Tages mit offenen Augen betrachtete und ohne den Mantel der Verliebtheit ihren Gefallen an seinem welken Gesicht verlöre.

Die kälteste Stunde

Подняться наверх