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1. Entstehungsgeschichte
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Dem „Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren“ vom 29.7.2009[37], mit dem die §§ 35a, 44, 160b, 202a, 212, 243, 257b, 257c, 267, 273 und 302 sowie § 78 OWiG mit Wirkung zum 4.8.2009 neu eingeführt bzw. geändert wurden, ging nicht nur eine intensiv und teilweise geradezu die Dimension eines Glaubenskriegs annehmende Diskussion in der Fachöffentlichkeit voraus. Vielmehr war, wie bereits oben ausgeführt worden ist, bereits in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts mit der Einführung des § 153a die Möglichkeit geschaffen worden, sich im Einvernehmen aller Verfahrensbeteiligten in jedem Verfahrensstadium darauf zu verständigen, auf eine endgültige Klärung der erhobenen Vorwürfe zu verzichten, bestimmte Auflagen und Weisungen als Ausgleich für (möglicherweise) bestehende Schuld festzulegen und auf diese Weise das Strafverfahren mit (beschränkter) Rechtskraftwirkung zu beenden ohne dass damit allerdings ein Schuldspruch verbunden wäre. In vielen Fällen konnte die Praxis seit jeher zudem, ebenfalls das Einverständnis aller Beteiligten vorausgesetzt, auch einen abgekürzten Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen lassen, indem die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht den Erlass eines Strafbefehls, §§ 407 ff., beantragte und der Betroffene sich gegen diesen sodann nicht wehrte. Die Praxis hatte parallel – wann damit begonnen wurde, soll hier offen bleiben[38] – diese Möglichkeiten der vom Konsens getragenen Verfahrensverkürzung durch Verzicht auf umfassende Sachaufklärung auch in das strafprozessuale Hauptverfahren hineingetragen. Aus der hier gebotenen Perspektive ist das alles andere als verwunderlich: Wenn ein rechtskräftiger Schuldspruch ganz ohne mündliche Verhandlung im Strafbefehlsweg und ein rechtskräftiger Verfahrensabschluss ganz ohne Klärung der Unrechts- und Schuldfrage möglich ist, und wenn zugleich anerkannt ist, dass eine geständige Einlassung des Beschuldigten strafmildernd berücksichtigt werden kann, dann liegt es nahe, sich die Frage zu stellen, warum nach den strengen Maßstäben des § 244 Abs. 2 in der Hauptverhandlung buchstäblich jeder Stein noch einmal herumgedreht werden soll, auch wenn keiner der Beteiligten irgendein Interesse daran hat. Die Einführung der Urteilsabsprache in die StPO folgte also einem evidenten praktischen Bedürfnis.
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Der BGH, der in Revisionsverfahren insbesondere über verschiedene Verfahrensrügen[39] mit der Frage nach der Zulässigkeit von Urteilsabsprachen befasst war, hatte davor bereits im Jahr 1997[40] die Aufgabe übernommen, ein zumindest grobes Raster zu entwickeln, innerhalb dessen sich die Urteilsabsprachen bewegen sollten. Die übrigen Strafsenate waren dem seinerzeit unter Vorsitz von Meyer-Goßner entscheidenden 4. Strafsenat in seiner grundsätzlichen, die Urteilsabsprache nicht generell verwerfenden, ihr aber einen normativen Rahmen gebenden Linie gefolgt.[41] Der 4. Strafsenat des BGH war dabei im Kern davon ausgegangen, dass es dem Gericht nicht verwehrt sein könne, den Beschuldigten, aber auch die Staatsanwaltschaft zu irgendeinem Zeitpunkt, vor allem während der Hauptverhandlung, auf eine vorläufige Einschätzung des Verfahrensstandes und auch ein denkbares Verfahrensergebnis, jeweils aus aktueller Sicht, hinzuweisen und sich dabei auch dazu zu äußern, wie sich ein glaubhaftes und substantiiertes Geständnis des Angeklagten auf das Strafmaß konkret auswirken könne.
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Dem 4. Strafsenat des BGH waren sodann, vergröbert gesprochen, zwei Aspekte wichtig: Zum einen sollte derartiges nicht im Hinterzimmer unter Ausschluss der Öffentlichkeit und womöglich sogar unter Ausschluss anderer Verfahrensbeteiligter stattfinden. Zum anderen sollte der Angeklagte, der sich auf solche Äußerungen des Gerichts einrichtete, davor geschützt werden, dass man ihn im Anschluss trotz des abgelegten Geständnisses schärfer bestraft, als man vorher angekündigt hatte. Ersteres wurde auch im Schrifttum vielfach akzeptiert: Dagegen, dass solche Gespräche, wenn überhaupt, jedenfalls öffentlich und unter Mitwirkung aller Beteiligter stattfinden (und sich sinnvollerweise auch im Protokoll der Hauptverhandlung wiederfinden), konnte man nicht sehr viel sagen. Der Zorn der Wissenschaft entzündete sich vor allem an dem zuletzt genannten Gesichtspunkt: Eine sogenannte „Bindungswirkung“ einer Urteilsabsprache sollte es unter keinen Umständen geben, weil über einen Schuldspruch nicht verhandelt werden könne. Ob diese Kritik, die inhaltlich darauf hinausläuft, dass der Angeklagte keine Möglichkeit haben soll, das Gericht an seinen eigenen Ankündigungen festzuhalten, inhaltlich sonderlich überzeugend ist, soll hier dahinstehen. Zu konstatieren ist jedenfalls, dass die Diskussion sich mit der Zeit sehr stark hiervon weg und schlicht zu einer Konzentration auf die Problematik der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung hin entwickelte: Viele Kritiker meinten, es könne ja vielleicht alles so geregelt werden, wie der BGH es beschlossen habe, dies müsse aber im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Kompetenzverteilung der Gesetzgeber entscheiden. Auch der BGH selbst hat schließlich im Jahr 2005 in einer Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen, in der es um die stets problematisch gebliebene Frage der Zulässigkeit von Rechtsmitteln gegen abgesprochene Urteile ging, ausgesprochen, er sehe sich nun an der Grenze dessen, was er in puncto Rechtsfortbildung leisten könne.[42] Untermauert wurde diese Kritik vielfach von dem – sicher zutreffenden, davon wird in diesem Werk noch mehrfach die Rede sein – Hinweis, dass die Praxis sich in vielen Fällen an die Regeln, die der BGH vorgegeben hatte, schlicht nicht hielt, und dass die Autorität des Gesetzes mithin erforderlich sei, um wenigstens den Rahmen, den das Gericht der Urteilsabsprache hatte geben wollen, in der Praxis durchzusetzen.
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In unmittelbarerer zeitlicher Folge und wohl auch in kausalem Zusammenhang mit der Entscheidung des Großen Senats wurde die Politik und wurden auch Verbände und berufsständische Organisationen aktiv. So lagen schließlich aus dem Zeitraum Frühjahr 2006 bis Frühjahr 2009 Gesetzentwürfe des Landes Niedersachsen, der Bundesrechtsanwaltskammer, des Deutschen Anwaltsvereins und des Bundesrats, der Bundesregierung und der Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und SPD sowie sogenannte „Eckpunkte“ der Generalbundesanwältin und Generalstaatsanwälte aus dem Jahr 2005 und eine Reihe Entwürfe einzelner Autoren, wie etwa Wagner, Nack, Meyer-Goßner oder Niemöller vor[43]. Was schließlich Gesetz wurde, basiert im Wesentlichen auf dem Regierungsentwurf, allerdings mit zwei Änderungen, von denen eine schon an dieser Stelle erwähnt sei: Nach einer Sachverständigenanhörung am 25.3.2009 wurde der neue § 302 Abs. 1 Satz 2 eingeführt, der den Rechtsmittelverzicht nach abgesprochenen Urteilen generell für unwirksam erklärt. Am 28.5.2009 bzw. 10.7.2009 wurde das Gesetz dann von Bundestag und Bundesrat in der Form, in der es am 4.8.2009 in Kraft trat, akzeptiert.