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3. Problematische Ausweitungen von Strafbarkeitsbereichen

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Begünstigt wurde und wird die Neigung zum Verzicht auf die Durchführung des „klassischen“ Strafverfahrens weiterhin durch eine Fehlentwicklung des materiellen Strafrechts.

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Hier besteht immer noch und sogar in deutlich verschärfter Weise der Missstand, den Eberhard Schmidt schon im Jahre 1952 (!) beklagt hat.[28] Schmidt schildert in seiner Kommentierung zu § 153 zunächst, über Jahrzehnte hinweg seien gerade im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts ständig neue Straftatbestände, die der Sache nach aber Ordnungswidrigkeiten oder bloßes Verwaltungsunrecht darstellten, geschaffen worden. Er fährt sodann fort:

„StPO §§ 153 bis 154b sorgen dafür, dass sich die Verfolgungsbehörden und die Gerichte von der Bearbeitung bagatellarischer sowie solcher Angelegenheiten entlasten können, an deren strafrechtlicher Erledigung ein beachtliches Interesse vom Standpunkt deutscher Strafrechtspflege aus nicht besteht. So unentbehrlich das ist, darf nicht verkannt werden, dass die in den §§ 153 bis 154b StPO gefundene Lösung solange eine Halbheit darstellt, als nicht eine Generalbereinigung des Kriminalstrafrechts bis in die Tatbestände des StGB hinein von allem bloßem Verwaltungsunrecht, von allen Ordnungswidrigkeiten stattgefunden hat. Es unterliegt keinem Zweifel, dass auch nach dieser Generalbereinigung nicht zum strengen Legalitätsprinzip zurückgekehrt werden kann. In welchem Ausmaß aber dann noch das Legalitätsprinzip durchbrochen werden müsste, ist eine Frage, die hier nicht erörtert werden kann.“

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Heute, über fünfzig Jahre später, ist zu konstatieren, dass im Großen und Ganzen das Gegenteil der von Schmidt gewünschten „Generalbereinigung“ durchgeführt worden ist, und ein Ende ist nicht in Sicht. Nicht nur, aber besonders im Wirtschaftsstrafrecht, existiert heute eine Vielzahl von Straftatbeständen, bei denen schon im Regelfall – ganz zu schweigen von problematischen Fallkonstellationen in den jeweiligen Randbereichen – der für das Strafverfahren zu betreibende Aufwand in keinem auch nur entfernt angemessenen Verhältnis zum Unrechts- und Schuldgehalt und mithin zu dem zu erwartenden Verfahrensausgang steht. Zudem sind die Schutzgüter vielfach so unklar, dass sich Wissenschaft und Rechtsprechung schwer tun, jeweils die exakten Anwendungsbereiche zu bestimmen und damit klare Aussagen darüber zu treffen, welches eigentlich diejenigen Verbrechen im materiellen Sinne sind, gegen die das Strafrecht als ultima ratio des Rechts eingesetzt werden soll.[29] Damit dürfte übrigens auch zusammenhängen, dass viele gerade neu eingeführte oder mit der üblichen Ausweitungstendenz reformierte Straftatbestände sich in der Praxis recht selten tatsächlich in Gerichtsurteilen wieder finden.[30]

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Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung trägt hier ein gewisses Maß an Mitverantwortung, weil der BGH in einigen Bereichen des Straf- insbesondere auch des Wirtschaftsstrafrechts für einzelne Tatbestände ständig neue Fallgruppen eröffnet und die Grenze zwischen bloß rechtswidrigem Verhalten, insbesondere reinen Vertragsverletzungen und strafbaren Handlungen zusehends verwischt wird.[31] Staatsanwaltschaften entwickeln zudem in der Praxis nicht selten die Tendenz, bisher höchstrichterlich nicht geklärte Fragen exemplarisch anhand geeigneter Fälle vor Gericht zu bringen, um so – auf dem Rücken der Beschuldigten – zur Rechtsfortbildung beizutragen.[32] Es liegt auf der Hand, dass die Beschuldigten vielfach daran interessiert sind, es nicht so weit kommen zu lassen und mithin konsensuale Ergebnisse innerhalb und außerhalb des Hauptverfahrens nicht selten deswegen gerade von den Verteidigern angestrebt werden, weil völlig offen ist, was der BGH am Ende eines mehrjährigen, öffentlichen, für den Mandanten mit zahlreichen Belastungen verbundenen Strafverfahrens in der jeweiligen Konstellation entscheiden würde. Dabei sind die Perspektiven der Beteiligten durchaus unterschiedlich, und bis zu einem gewissen Grade müssen sie es auch sein: Während Staatsanwaltschaft und Gericht die Tatvorwürfe in rechtlicher Hinsicht für begründet halten müssen, möglicherweise aber die Verkürzung der Beweisaufnahme oder die Schaffung von Rechtsfrieden anstreben, kann aus Sicht der Verteidigung die Urteilsabsprache gerade deswegen attraktiv sein, weil die materielle Rechtslage als unklar eingeschätzt wird. Die dem Gesetzgeber und auch der Rechtsprechung der Revisionsgerichte zuzurechnenden Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten bei der Beurteilung der jeweiligen Rechtsfragen, die in relativ vielen Verfahren im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts auftreten, dürften auch deswegen eine Mitursache für die Häufigkeit einvernehmlicher Verfahrensbeendigungen sein.

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Der von Eberhard Schmidt seinerzeit verwendete Begriff „Halbheit“ jedenfalls würde heute einen veritablen Euphemismus darstellen.

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