Читать книгу Absprachen im Strafprozess - Dirk Sauer - Страница 42

5. Zwischenfazit

Оглавление

70

Die Aufzählung möglicher Ursachen ist sicher nicht vollständig. Es sollte aber schon jetzt deutlich geworden sein, dass die in der veröffentlichten Meinung zuweilen recht schlicht ausfallenden Ursachenbeschreibungen der Komplexität des Phänomens nicht angemessen sind. Insbesondere die verbreitete These, die Praktiker benähmen sich eben aus Unachtsamkeit, Bequemlichkeit oder Gleichgültigkeit daneben und müssten und könnten wie ungezogene Kinder durch ein Machtwort des Gesetzgebers oder der Rechtsprechung erzogen und buchstäblich auf den Weg des Rechts zurückgeführt werden, greift angesichts der Hintergründe der Entwicklung – ganz gleich, ob man diese begrüßt oder ablehnt – bei weitem zu kurz.

71

Weitaus näher liegt die Annahme, dass die handelnden Strafjuristen in aller Regel schlicht bemüht sind, sich einerseits an die in vielerlei Hinsicht geänderten Verhältnisse anzupassen und andererseits nach Möglichkeit den Boden des Rechts nicht zu verlassen. Dass die auf staatlicher Seite handelnden Juristen immer mehr zur Verfahrensverkürzung per Verständigung neigen, verwundert im Übrigen auch deswegen nicht, weil nicht nur seit Generationen von Seiten des Gesetzgebers dem Postulat der „Prozessökonomie“ immer größere Bedeutung zugemessen worden ist, sondern auch analog hierzu die Geschwindigkeit der Erledigung von Rechtssachen für die Justizverwaltungen zu dem oder zumindest einem wesentlichen Kriterium bei der Beurteilung ihrer Beamten und damit zum bedeutenden Aufstiegskriterium geworden ist. Verteidiger wiederum finden oft nur schwer Alternativen zur Absprache, wenn es darum geht, Mandanten zufrieden zu stellen, die nicht um Freisprüche kämpfen, sondern kurze, kalkulierbare und aus ihrer Sicht tragbare Verfahrensverläufe und -ergebnisse erwarten. Wirtschaftlich wäre die Durchführung einer langwierigen und aufwändigen Hauptverhandlung dagegen für den Strafverteidiger oft lukrativer.

72

Wer sich also mit der gestiegenen Bedeutung konsensualer Verfahrensweisen im Strafprozess auseinandersetzt, kommt kaum daran vorbei, zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass die Praxis des Strafprozesses sich nicht im luftleeren Raum entwickelt hat, sondern im Wesentlichen durch politische Vorgaben bestimmt ist, die ihrerseits gesellschaftlichen Entwicklungen, beispielsweise der in allen Lebensbereichen moderner Industriegesellschaften gestiegenen Bedeutung ökonomischer Betrachtungsweisen, aber eben auch gewandelten Vorstellungen von Zweck und Funktion des Strafrechts folgen. Das beinhaltet zwar für sich genommen natürlich noch keine Bewertung, und die Existenz der §§ 153 ff., 257c, 407 ff. stellt selbstverständlich keine Legalisierung oder auch nur Legitimation jeder Verständigung dar.[35] Das Bewusstsein von den oben skizzierten Zusammenhängen sollte aber immerhin dazu beitragen, das Phänomen der konsensualen Vorgehensweisen im Allgemeinen und der Urteilsabsprache im Besonderen nicht von vornherein aus einem verengten, vorurteilsbehafteten Blickwinkel zu betrachten und zu bewerten.

Teil 1 Grundlagen: Für den Konsens, gegen den „Deal“C › III. Erste praktische Konsequenzen der Bindung an das geltende Recht

Absprachen im Strafprozess

Подняться наверх