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2. Das „Opfer“ als Prozesssubjekt
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Die Relativierung von Idealen wie Wahrheit und Gerechtigkeit zu Gunsten eher pragmatischer und zweckorientierter Betrachtungsweisen hat eine besondere Ausprägung auch in der Stärkung der Rolle der von Straftaten (mutmaßlich) betroffenen Personen gefunden, die heute vielfach in der StPO vorzufinden ist. Vor dem Hintergrund viktimologischer Studien ist in den letzten Jahrzehnten das „Tatopfer“ vom Rand deutlich mehr in das Zentrum des öffentlichen Bewusstseins und sodann auch des Strafprozesses und des Strafprozessrechts gerückt.
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Das zeigt sich neben anderem beispielsweise an § 46a StGB, dem so genannten Täter-Opfer-Ausgleich, der dem Beschuldigten die Möglichkeit eröffnet, durch Kontaktaufnahme mit dem (vermeintlich) Geschädigten sowie ein Bemühen um Wiedergutmachung eine mildere Strafe oder Straffreiheit zu erlangen. Es ist kein Zufall, dass in Folge der Einführung dieser Vorschrift einige Zeit danach auch § 153a geändert und die §§ 155a, 155b mit dem Ziel eingefügt wurden, eine Durchführung des so genannten Täter-Opfer-Ausgleichs in der Praxis zu erleichtern und zu fördern. Nach § 155a „soll“ die Staatsanwaltschaft sogar auf einen Ausgleich zwischen Verdächtigem und mutmaßlichem Opfer „hinwirken“.
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Es ist leicht zu sehen, dass die dahinter stehende Vorstellung (auch) darin besteht, das Strafverfahren könne die Bereitschaft des Beschuldigten fördern, auf sein „Opfer“ zuzugehen, und falls dies mit der Folge eines schiedlich-friedlichen Auseinandergehens gelinge, müsse der staatliche „Strafanspruch“ nicht mehr in der gleichen Schärfe durchgesetzt werden, wie dies ansonsten der Fall wäre.[25] Mit diesem Konzept sind ersichtlich auch eine Aufwertung des Gedankens des Rechtsfriedens und insgesamt eine weitere, partielle Anerkennung des Konsensgedankens für den Bereich des Strafprozesses verbunden.[26]
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Dies ist bis zu einem gewissen Grade verallgemeinerungsfähig: Je größer die Bedeutung ist, die dem Geschädigten im Strafverfahren zukommt, desto mehr hängen Ob und Wie der Strafe auch von dessen Interesse und seinem Willen ab. Wo also die Strafe ursprünglich gerade im Unterschied zu zivilrechtlichen Ansprüchen nicht der materiellen Kompensation, sondern der Bekräftigung des Rechts gegenüber dem Rechtsbrecher diente, soll heute auch das Opfer zufrieden gestellt werden. Damit aber erlangt die Frage, ob zwischen dem Beschuldigten und dem oder den Geschädigten Konflikt oder Konsens vorherrscht, im Strafprozess in mehrfacher Hinsicht Bedeutung, was natürlich nicht ohne Auswirkungen auf das Verständnis des Strafprozesses insgesamt bleibt.[27]