Читать книгу Got Me? Hardcore-Punk als Lebensentwurf - Dolf Hermannstädter - Страница 26

Оглавление

Trust #14 – September 1988

Als ich vor ein paar Wochen in Amsterdam auf dem Bahnsteig auf den Zug wartete ist mir ein Mädchen, so um die zwanzig, aufgefallen, das irgendwie einen verwirrten, irritierten Eindruck machte. Natürlich dachte ich mir nichts weiter dabei da ja, vor allem in den Sommermonaten, viele Drogentouris nicht grad wie Ray Cappo aussehen, und ich verlor sie wieder aus den Augen. Beim Umsteigen in Deutschland sah ich sie dann wieder, wir kamen ins Gespräch und ich bekam zu hören was mit ihr los war.

Sie ist mit einem »Kumpel« hochgefahren um einzukaufen, nur für zwei-drei Tage, der hat sich aus dem Staub gemacht und sie mit hundert Gulden sitzenlassen. Es war noch einiges mehr was die Frau belastete, ihre Freunde zuhause wußten nichts von ihrem Ausflug, und ihr »Kumpel« hatte ihren Schlüsselbund mit all den Schlüsseln ihrer Freunde – da sie keine Wohnung hatte und mal hier und dort pennt. Irgendwo passte die Frau so richtig schön ins Klischee, auf Bewährung, die Vergangenheit in Heimen verbracht, beide Unterarme von Schnittnarben (auf ›Mutproben‹ zurückzuführen?) übersät, die Zähne – soweit vorhanden – sahen auch recht angegriffen aus, ihre Augen waren übermüdet, die Armbeugen blau und geschwollen, kurzum, sie machte eben einen ziemlich fertigen Eindruck. Als ›Krönung‹ hatte sie dann noch sechs-sieben Jungennamen in großen Buchstaben auf ihren Armen verteilt tätowiert. Außerdem hatte sie grad wieder zu drücken angefangen, wollte aber auch schon wieder damit aufhören. Im ›Normalfall‹ hätt ich mit all dem kein Problem gehabt, da ja jeder mit sich machen kann was er will, aber die Frau war irgendwie nett und ich fand es schade. Im selben Moment dachte ich mir aber auch, »Klar ist sie jetzt nett, sie ist ja in Not und braucht andere – ob sie auch noch so nett ist, wenn sie zurück ist, Geld hat und wieder bei ihrer Clique ist?«. Das werde ich wohl nie erfahren, was ich allerdings weiß, ist, dass ich ihr nicht helfen konnte. Ich hab zwar im Gespräch immer wieder versucht ihr klarzumachen, dass harte Drogen Mist sind (ohne es direkt zu sagen) und es sauschwer ist, damit umzugehen, auf der anderen Seite war ich mir sicher, dass sie das selbst wußte und auch schon tausendmal von irgenwelchen Sozialheinis gehört hat – von denen hat es anscheinend nichts gebracht, also kann man sie in ein paar Stunden auf die Art und Weise auch nicht davon abbringen. Ich hab dann wenigstens versucht, sie zum Nachdenken über ihr Leben anzuregen, ob das erfolgreich war bezweifle ich. Ich hab später nochmal über meine ›Hilflosigkeit‹ nachgedacht und bin drauf gekommen, dass ich mein ganzes Leben hätt drauf konzentrieren müssen und dann wär immer noch nicht klar gewesen, ob ihr das was genützt hätte. Ganz davon abgesehen, dass ich es garnicht machen könnte, und wenn ich ehrlich bin, auch nicht will – da muß man wohl dafür geschaffen sein. Fazit? Keines, so ist das eben, man steht gewissen Dingen gegenüber, erkennt das Problem und weiß nicht was man tun kann und ob man überhaupt soll. Was man tun kann und ›darf‹ ist mir in letzter Zeit auch nicht mehr so klar – bisher dachte ich immer, man ›dürfe‹ nur nicht gegen gewisse Instutitionen schreiben (Staat, Cops, Firmen, …) und es dann veröffentlichen, wenn man es doch macht, gibts oft Ärger und man fühlt sich bestätigt. Anscheinend hab ich aber mal wieder was anders verstanden, im letzten Exterminator (Autonomen-Zeitung aus HH) werden wir, und insbesondere ich, als politische Flachwixer bezeichnet. Warum? Weil ich nicht dasselbe politische Verständnis habe wie sie und ›nicht auf ihrer Seite‹ bin. Naja, sollen sie schreiben, warum auch nicht. Wenn ich dann allerdings von einem anderen Zinemacher höre, dass Autonome zu ihm meinten, sie würden mal bei ihm vorbeikommen um aufzuräumen, weil er Briefe abdruckte die nicht ihrem Politikverständnis entsprechen, dann befremdet mich das doch sehr. Was ich zu der Geschichte in Oldenburg zu sagen hab, lass ich lieber – zum Glück (noch?) nicht aus Angst. Vielleicht kommt mal was aus der Sicht der Oldenburger. Das nur nebenbei.

Die Reorganisation des Vertriebs ist immer noch nicht abgeschlossen, was ja ein paar wenige Leute in Form von nicht ankommenden Heften gespürt haben – ist aber nicht unsere Schuld und wir bekommen das auch geregelt, da es doch einfacher ist als wir zuerst annahmen. Übrigens schulden uns noch so ca. zehn Leute Geld seit Monaten, wenn die Kohle nicht bald da ist, werden wir die Namen veröffentlichen um anderen unabhängigen Leuten Ärger zu ersparen.

Als ich das hier schrieb war ich in Augsburg, das heißt aber nicht dass ich auch dort bin, wenn das hier gelesen wird. Egal.

Got Me? Hardcore-Punk als Lebensentwurf

Подняться наверх