Читать книгу Got Me? Hardcore-Punk als Lebensentwurf - Dolf Hermannstädter - Страница 32
ОглавлениеTrust #19 – September 1989
Soll ich mich jetzt drüber aufregen oder drüber lachen? Ich werd wohl drüber schreiben. Es geht um das weitverbreitete Problem, dass sich viele Leute ihre Meinung über andere bilden, ohne sie zu kennen. Ich geb da gleich mal ein Beispiel aus der Realität. Ich kenne beide Personen nicht persönlich, unterstelle ihnen aber, dass sie irgendwas an der Kappe haben. Das schließe ich daraus, was diese Personen – beide geben Fanzines heraus – schreiben und was mir andere Leute über sie erzählen. Ich betone nochmals, ich unterstelle den Personen das!! Das heißt noch lange nichts, und ich bin gerne bereit meine Meinung (obwohl es ja gar keine ist) zu ändern und eine echte Meinug zu bilden. Da ist mal der eine, Herausgeber vom Push Beyond. Ich würd ihn mal kurz so beschreiben: US-Hardcore-Fan, der von nichts eine Ahnung hat, sich wichtig macht, aber kaum ernstgenommen wird, was durch sein Verhalten auch leicht verständlich ist. Dann ist da der andere, Mitherausgeber von Scumfuck Tradition, Punker vom ‘77er Schlag, also voll der Proll, der nur von guten alten Zeiten redet, auch keine Ahnung hat und ungefähr genauso ›anders‹ ist wie die Müllers von nebenan und ebenso konservativ. Leute also, mit denen ich nichts zu tun haben will, da ihre Ansichten so beschränkt oder normal sind, dass sie genausogut Briefmarken sammeln könnten. Wie kann ich sowas sagen, ohne die beiden überhaupt zu kennen … Ich kann mir vorstellen, dass einige klärende Gespräche die Situation ändern würden. Mit Sicherheit sogar. Entweder würde ich meine Meinung ändern oder meine ›Meinung‹ würde zu Meinung bestätigt. Genau das ist das Problem der meisten Leute. Die würden sich nämlich gleich wieder auf Gehörtes oder sonstwas verlassen und ihre ›Meinung‹ als Meinung ausgeben, was wiederum andere Leute dazu veranlaßt, die ›Meinung‹ als Meinung zu übernehmen. So entstehen dann die schönsten Konflikte und Haßgefühle gegen Leute, die man überhaupt nicht kennt. Dabei wäre es so einfach: Ein Telefonat oder ein Treffen, und bestimmte Unklarheiten wären aus dem Weg geräumt. Problem ist nur, dass die Leute anscheinend nicht miteinander reden können, sei es aus Stolz, Angst, Unlust oder Zeitmangel. Schwaches Bild, muß ich da feststellen. Die tolle alternative Punk/Hardcore/was-auch-immer-Szene, die ihr ganzes Wissen auf Unterstellungen aufbaut und sich so eine ›Meinung‹ bildet, die gar keine ist. Was dann noch schlimmer ist, wenn keine Bereitschaft da ist miteinander zu reden. Auf der anderen Seite: Wie langweilig wäre vielleicht dieses ganze Spiel ohne all die unbegründeten Hassgefühle, all die umherkreisenden Gerüchte und Sticheleien. Wie dem auch sei: Redet einfach mit euren ›Feinden‹.
Genug.
Ich bin übrigens ab Ende September für länger Zeit unterwegs. Das heißt zum einen, dass ich in Augsburg nicht erreichbar bin (allerdings kümmert sich jemand um die Post). Zum anderen heißt das, dass mir all die Leute, die mir aufs Maul hauen wollen oder sonstwas, dazu Gelegeheit haben. Zum Abschluss noch eine Frage. Ist es besser ›Zu arbeiten um zu leben, oder zu leben um zu arbeiten‹ oder ist gar beides scheiße. Denkt drüber nach und gebt Bescheid. Noch was – doch nicht!