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Das nichtbegriffliche Ich – unsere innere Stimme

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„Wir sollten aufpassen, nicht unseren Intellekt zu unserem Gott zu machen“, warnte uns Albert Einstein. „Er hat kräftige Muskeln, aber keine Persönlichkeit. Er kann nicht führen, er kann nur dienen.“ Wir sehen uns oft dazu verführt, uns in der abstrakten Welt unseres Denkens zu isolieren. „Des Inputs unseres Körpers gewahr zu sein, insbesondere der Information aus dem neuronalen Netzwerk, das unsere Eingeweide und unser Herz umgibt, ermöglicht es uns, für die Weisheit unseres nichtbegrifflichen Ichs offen zu sein.“13

Unsere Kultur neigt dazu, das Ich auf ausgesprochen begriffliche Weise zu definieren – in Begriffen unserer Rollen, unseres Berufs, unseres sozialen Status’ sowie in Hinsicht auf vergangene Misserfolge und Erfolge sowie auf Ziele in der Zukunft. Das hat alles seinen Platz, aber es besteht die Gefahr, in einer solchen Definition zu versteinern. Unsere Ichempfindung kann zu einem strategischen Plan werden, mit dem wir der Welt eine künstliche Fassade verkaufen – in der Hoffnung, dass die Welt diese akzeptiert und damit unsere Authentizität bestätigt wird. Die Entdeckung, dass dieser Ansatz zu keiner echten Icherfahrung führt, ist oft der erste Schritt zur Selbsterkenntnis. Wir besitzen eine tiefere Natur, aus der unser gesamtes Dasein hervorgeht, die uns eine umfassendere Lebenserfahrung beschert und die eine machtvollere Wirkung auf die Welt hat – eine Wirkung, die das begriffliche Ich niemals zu erzielen vermag. Zum Glück ist nichts leichter, als unsere tiefere Natur zu erreichen. Durch Offenheit für unsere Erfahrung, von Moment zu Moment, gewinnen wir Zugang zu ihr, also dadurch, dass wir uns auf Körper, Geist und Seele einstimmen und auf die Information hören, die sie uns anbieten.

„Die ganzheitlich funktionierende Person“, schrieb Carl R. Rogers, der Vater der Humanistischen Psychologie, „macht Gebrauch von aller Information, die ihr das Nervensystem liefern kann, und verwendet sie mit Bewusstheit, wobei sie sich darüber klar ist, dass ihr gesamter Organismus vielleicht, wenn nicht sogar oft, weiser ist als ihr Bewusstsein.“14 Es gibt einen klassischen Archetyp in der Literatur, der illustriert, was es bedeutet, ganz und gar aus dem Körper zu leben. Er ist verkörpert in Gestalten wie Shakespeares Fallstaff oder Alexis Sorbas von Nikos Kazantzakis. Sie sind herausragende literarische Figuren, welche die Entwicklung eines aus der Grundlage des Körpers heraus voll aktualisierten menschlichen Wesens darstellen. Dieser erdverbundene Charakter spielt gewöhnlich eine Nebenrolle als der Kumpan eines privilegierten Mannes mit geringer Lebenserfahrung. Der etwas verkrampfte Protagonist wird von seinem spontaneren und lebenslustigeren Gefährten in alle möglichen Abenteuer und Schwierigkeiten verwickelt, durch die er schließlich zu einem authentischeren Leben findet. Auf ähnliche Weise treibt der primitive Geist den Intellekt und das Gefühl mit dem Instinkt von Herz und Bauch voran in Richtung auf ein vollständiges Menschenwesen.

Wir lieben diese Nebenrollen, weil sie ganz geradeheraus und unprätentiös sind, was sie umso menschlicher macht. Sie bestehen wirklich aus Fleisch und Blut, sind voller Leidenschaft, körperlicher Vitalität und Wagemut – und sie sind ebenso unvollkommen, wie der Rest von uns. Sie lehren uns, das Leben und diesen Augenblick, hier und jetzt, einfach anzunehmen. In ihnen erkennen wir das von Verwegenheit hervorgebrachte Genie. Wir sehen, wie lohnend es sein kann, Risiken einzugehen, und dass Weisheit der größte Gewinn ist, wenn wir uns – in der Bereitschaft, Fehler zu machen und daraus zu lernen – auf das Leben einlassen. Sie lehren uns auch über das Leben und über uns selbst zu lachen, besonders über die Torheiten, die wir in unserem Wagemut manchmal begehen. Sie verkörpern die dunkle und die lichte Seite unserer wilden Natur, die dadurch sichtbar wird, dass wir uns dafür entscheiden zu lieben. Das Ergebnis ist, dass sie uns lehren, mehr zu sehen, als wir sehen wollten, mehr zu fühlen, als wir fühlen wollten, und mehr zu lernen, als wir bereits wissen.

Dieser Archetyp repräsentiert das Primitive, das empfindungsfähig wird, und die Empfindung, die auf das Primitive zurückgreift, um die Essenz der menschlichen Natur, die frei ist, zu erkennen. Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau sagte: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.“15 Rousseau bezog sich auf politische Unterdrückung, aber die großen Literaten führen uns einen Schritt weiter und zeigen, in welche Ketten uns unser eigenes restriktives Ego legt. Indem sie den wilden Weisen einer engstirnigen privilegierten Person gegenüberstellen, zeigt uns die Literatur, wie gefangen und eingeengt das verbegrifflichte Ich wird und wie lebendig das individuierte Selbst werden kann, wenn die Ketten entfernt werden.

Kein anderer Roman hat diesen Archetyp besser gezeichnet als Nikos Kazantzakis’ Meisterwerk Alexis Sorbas, auf dem der Film Sorbas der Grieche beruht. Was Sorbas noch überzeugender macht, ist die Tatsache, dass er eine reale Person war, einer von uns. Sein Name war Georgis Sorbas und er war ein lebenslanger Freund des Autors. Ich hatte Gelegenheit, Helen, der Frau von Kazantzakis, zu begegnen, und sie erzählte mir, Anthony Quinns Darstellung von Sorbas in dem preisgekrönten Film habe das Wesen und die Persönlichkeit jenes Sorbas, den sie kannte und liebte, sehr gut getroffen. Sorbas besaß, in den Worten von Kazantzakis, „den ursprünglichen Blick … eine kreative Aufmerksamkeit, die jeden Morgen erneuert wurde und die es ihm ermöglichte, alle Dinge ständig so zu sehen, als sähe er sie das erste Mal.“16 Sorbas hatte „den furchtlosen Wagemut, die Seele zu hänseln, als trüge er eine der Seele überlegene Kraft in sich“. Er konnte auf Seevögel zeigen und sagen: „Das ist der Weg, den wir gehen müssen; finde den absoluten Rhythmus und folge ihm mit absolutem Vertrauen.“ Er besaß ein „wildes, überschäumendes Lachen, welches die Barrieren niederreißen konnte, die das Leben einzwängen. … Selbst die unbedeutendsten Ereignisse, die mit Sorbas zu tun hatten“, schrieb Kazantzakis in seiner Autobiografie, „strahlten vor Klarheit, waren in rascher Bewegung und kostbar wie farbenprächtige Fische in einem transparenten Ozean“.17

„Mich interessiert, was heute geschieht, in dieser Minute“, sagte Sorbas. „Wahres Glück besteht darin, keinen Ehrgeiz zu haben und doch zu arbeiten wie ein Pferd, als hätte man allen Ehrgeiz der Welt. Es besteht darin, fern von den Menschen zu leben, sie nicht zu brauchen und sie doch zu lieben. Es besteht darin, dort zu sein, wo immer man sich befindet, und sich davon nicht einschüchtern zu lassen.“18 Wenn man diese Aussagen Sorbas’ auf Eigenschaften reduziert, dann beschreiben sie zum Teil die Natur unseres primitiven Gehirns. Selbst die Vorstellung, die Sorbas von Gott hatte, war primitiv. „Lasst uns nach draußen gehen“, sagte er, wenn er das Bedürfnis verspürte zu beten, „damit Gott uns besser sehen kann.“

Wie Einstein warnte Sorbas davor, den Intellekt zu einem Gott zu machen. „Du denkst zu viel“, sagte er zu seinem pedantischen Freund, „das ist dein Problem. Schlaue Menschen und Krämer, die wägen alles ab. Los doch, mein Freund, entscheide dich. Wage den Sprung. Ein Mann braucht etwas Wahnsinn … ansonsten … wagt er es niemals, die Bande durchzuschneiden und frei zu sein.“ Es ist natürlich eine Herausforderung, das durchzutrennen, was uns an das begriffliche Ich fesselt, und den Sprung zu wagen; so fühlt es sich zumindest für einen verkörperten Geist an, wenn er die Angst loslassen soll. Da schwingt die Lebendigkeit des Wagemuts mit. „Hätte ich nur auf seine Stimme gehört“, schreibt Kazantzakis, „dann hätte mein Leben mehr Wert gehabt. Ich hätte mit Blut, Schweiß und Knochen erfahren, wovon ich heute nur tagträume wie ein Haschischraucher.“19

Diese tiefere ursprüngliche Person existiert in jedermann, und sie ruft uns. Sie scheint ganz klar zu wissen, wer und was wir wirklich sind. Sie weiß, wohin wir gehen wollen, wie wir dorthin gelangen, wozu wir hier sind und was wir zur Welt beizutragen haben. Diese tiefere Natur tritt zutage, wenn Bauch, Herz und Kopf zusammenkommen, um eine exponentielle Intelligenz zu erzeugen. Wie wir sehen werden, besitzen wir die Fähigkeit, unser Gehirn so zu vernetzen, dass wir diese Integration erreichen können. Einsicht, Weitblick und Intuition können miteinander vernetzt werde, sodass sie eine innere Stimme bilden, die zu uns spricht und die uns zu führen vermag. Manchmal führt uns diese innere Stimme an den Rand einer neuen Welt und fordert uns auf, den Sprung zu wagen. Manchmal warnt sie uns auch vor dem Rand einer Schlucht des Unheils. Ohne diese innere Führung hätten wir kein echtes und persönliches Gefühl einer inneren Reise. Uns bleibt dann nur das begriffliche Ich, das oft nur eine Fassade ist oder eine ängstliche Unsicherheit, die die Bestätigung anderer erheischt, indem wir deren Erwartungen erfüllen.

In einer Rede vor frisch Graduierten der Stanford-Universität riet Steve Jobs diesen: „Lassen Sie ihre Innere Stimme nicht von dem Getöse der Meinungen anderer übertönen. … Haben Sie den Mut, Ihrem Herzen und Ihrer Intuition zu folgen. Irgendwie wissen diese bereits, was Sie wirklich werden wollen. Alles andere ist zweitrangig.“20 Kazantzakis und Jobs waren sich dessen vielleicht nicht bewusst, aber das, worauf sie hinweisen, hat nicht nur inspirierende Qualität; es geht hier um ein neurologisches Vermögen.

Das stressfreie Gehirn

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