Читать книгу Lioba wechselt die Saite - Doro May - Страница 10

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Valentina weiß Neues zu berichten

Als Miss Marple definitiv den Fall gelöst hat, sagt Valentina: „Wenn mal wieder ein zünftiges Spectaculum auf der Emmaburg läuft oder im Bergischen Land, kommst du mit."

„Emmaburg? Was für eine Emmaburg?"

Die Freundin hebt ihr Glas. „Die Emmaburg heißt eigentlich Eyneburg und steht in Ostbelgien. Also gleich um die Ecke.“

Sie stoßen an.

Und dann legt Valentina mit ihren Erlebnissen los. Die Sache mit ihrem neuen Herzensritter will sie ihrer Freundin, die unfreiwillig zum Single mutiert ist, nicht aufs Brot schmieren.

Lioba zieht die Brauen hoch, lacht hohl. „Nur, dass ich da nichts falsch verstehe: Diese Leute gehen einfach so aufeinander los. Mit echten Schwertern, ja?“

„Mhm.“ Valentina lächelt.

„Arme Männerseelen."

„Von wegen. Gibt auch Frauen, die sich duellieren. Übrigens haben sie auf der Eyneburg sogar eine Baderin."

„Eine was?“

„Früher hatten sie keine Wannen. Wenn man mal baden wollte, ging man zum Bader. Der hatte Holzbottiche und goss immer warmes Wasser nach, das in riesigen Kesseln auf offenem Feuer heiß gemacht wurde.“

„Hört sich gut an.“ Lioba kichert.

„Und der weibliche Bader – na ja – einer nannte sie unsere Hübschlerin. Ist wohl so eine Art Nutte.“

Lioba prustet: „Find ich kurios." An ihrer Stirn steht, die haben nicht alle Tassen im Schrank.

Valentina faltet ihre fleischigen, kleinen Hände. „Die Hundertzehnprozentigen nehmen es ganz genau mit ihrer Ausstaffierung. Je nachdem, zu welchem Stamm und in welches Jahrhundert sie gehören."

„Die haben Sorgen." Lioba lässt sich in dem alten Sessel nach hinten fallen.

„Es gibt sogar welche, die wie früher in einem Lager hausen und mit dem ganzen Tross umherziehen."

„Tun sie bestimmt nur im Sommer, wenn das Azorenhoch greift."

„Ein paar haben sich sogar in der Burg einquartiert."

„Mit Kühlschrank, Heizung plus fließend Wasser. Was wetten wir?"

„Najah", sagt Valentina gedehnt.

Lioba trinkt ihr Glas in einem Zug leer. „Und die leben bitte wovon? Etwa von Schaukämpfen?"

„Nicht so bissig, meine Liebe. Sie verkaufen zum Beispiel Handarbeiten auf Insidermärkten und Mittelalter-Events. Manchmal werden auch echt alte Stücke angeboten, die sie irgendwo aufgetrieben haben." Valentina schenkt ihrer Freundin und sich nach. „Gibt auch Schwarzbrenner. So wie früher, weißt du? Ich hatte da mal einen Sanddornlikör - der hatte es in sich. Überhaupt die Schnäpse von denen." Ihr rosiges Gesicht strahlt. „Übrigens kannst du auch Werkzeuge oder Waffen kaufen."

„Danke - mir reichen meine Küchenmesser."

Sie lachen.

Mit einem Mal setzt sich Valentina kerzengerade hin. „Ich besitze sogar eine Tunika."

Die kleine, rundliche Valentina mit ihrem krausen Kurzhaarschnitt mittelalterlich verpackt. Lioba gackert kurz auf. „Zieh mal an."

„Beim nächsten Burgfest."

Bevor sie nach Hause aufbricht, lädt Valentina die Freundin für kommenden Sonntag zu einem Frühstück ein.

Lioba räumt noch ein bisschen in ihrer Wohnung auf. Sie hat Teile aus der Erbschaft ihrer verstorbenen Tante aufgestellt - teure dunkle Eichenmöbel, viel zu wuchtig für die kleine Wohnung. Von ihrer früheren Einrichtung hat sie nichts mitnehmen wollen, war richtig froh, dass sie den Nachlass der Tante einfach in die neue Wohnung stellen konnte. Trotzdem weiß sie, dass diese Möbel im Grunde nicht zu einem Neubeginn taugten. Weil es völlig egal ist, ob jemals auf ihnen geliebt, gelacht oder gelitten wurde. Möbel, die einen nur blöde anglotzten. Vor den Fenstern hängen die alten Vorhänge des Vormieters, der sie ihr kostenlos überlassen hat. Im Keller stehen noch unausgepackte Umzugskartons mit Kleinmöbeln, Büchern, den Alben mit den Familienfotos, Geschenken, Deko, Kram. Außer Valentina lässt Lioba höchstens noch ihre Töchter oder den Vermieter in die Wohnung hinein. Allein der Gedanke, Gattinnen aus ihrer Zeit als Ehefrau, zu denen sie zumindest noch einen lockeren Kontakt unterhält, zu empfangen, findet sie unpassend, weil ihre jetzige Behausung geradezu nach sozialem Abstieg stinkt.

Als sie im Bett liegt, ebenfalls einem dunklen Erbstück von der verstorbenen Tante, hört sie, wie es regnet. Ihr kommen die Mittelalterlichen in den Sinn. Ihr inneres Auge malt sich spontan ein Bild von rothaarigen Mannen und Weibern im Asterix- und Obelixstil, mit Schwertern versehen. In den Gesichtern Entschlossenheit. In Ermangelung einer Dusche tanzen sie nackt durch den Regen. Sie wischt die Bilder wieder weg. Es müssen Leute sein, die ganz einfach ihre Sehnsüchte nach einem anderen Leben auslebten. Die sich eine Wirklichkeit schaffen, nein vorgaukeln, durch die sie ihr eigentliches Leben mit einer realen Bühne tauschen können. Lioba versucht, sich solch eine andere Wirklichkeit vorzustellen. Nicht in geheimnisvoller Zweisamkeit mit dem Cellisten. Das sind Träumereien, die nichts mit einem Bühnenspiel zu tun haben. Auch wenn der Mann mit dem Cello auf einer Bühne arbeitet, wenn er in seinem Orchester spielt. Nein - sie sucht nach Bildern anderer Realitäten. Mit anderen Klamotten und anderen Umgangsformen, veränderten Lebensgewohnheiten. Auf Mittelalter wäre sie nicht gekommen. Sie stellt sich vor, wie Valentina mit einem Ritter ins ritterliche Schlafgemach schritt. Was machen die Leute im Winter oder bei so miesem Wetter wie jetzt, wenn sie in einem Lager hausen? In Zelten? In einer zugigen Burg? Was mag Valentina bloß daran finden? Lioba stellt sie sich als dickes Päckchen mit einer Kordel um den Bauch gezurrt vor, versieht sie mit einem spitzen Hut, wie sie Königinnen in den alten Märchenbüchern tragen. Wie lächerlich das aussehen musste.

Lioba räkelt sich in der Bettwärme und schmunzelt in die Dunkelheit hinein. Obgleich ihr diese Art von Liverollenspielerei völlig fremd vorkommt, findet sie den Gedanken an Tunika, Burgleben und Gruppenfeeling gar nicht mal schlecht. Wo sie als kleines Mädchen Burgen doch so geliebt hat. Burgen, die nur so von tapferen Kriegern und wunderschönen Fräulein wimmelten. Und war nicht eins davon sie gewesen? Ihr kommt der Duft ihres Kleinmädchenzimmers in die Nase. Sie hört, wie die Eltern sich fertig machen für die Nachtruhe, riecht die Lavendelseife und bildet sich ein, den samtenen Haarreif neben sich auf dem Kopfkissen zu spüren. Wie schön es war, diese wunderbaren Augenblicke heraufzubeschwören, die eine solche Wärme schaffen, dass man getrost dem Rest seiner Tage entgegenblicken kann. Ist doch egal, mit was für einer Rolle man sich durchs Leben mogelt, spöttelt sie in sich hinein.

In der Nacht hat sie einen Alptraum. Sie sitzt neben Mister Stringer auf einem steinernen Königsthron und fürchtet sich vor einer Blasenentzündung, während ein riesiges, silbernes Tablett hereinschwebt. Es wird von zwei gebräunten, fast nackten Bediensteten geschultert, die über und über mit verschlungenen Ornamenten, die an keltische Symbole erinnern, bemalt und mit Lederriemen um Fesseln und Handgelenke geschmückt sind. Über ihren minimalistischen Lendenschurzen prangen Gürtel mit allerlei goldenem Zeug verziert, an denen Schwerter baumeln, die bis auf den Boden reichen. Valentina schwimmt in eigenartigen Bewegungen durch die Luft. Sie ist von einem samtenen Kaftan umhüllt, umkreist ein paar mal eine Säule, um den Bauch eine dicke, grobe Paketkordel, und gackert, als hätte sie nicht alle Tassen im Schrank. Dabei zeigt sie ohne Unterlass mit beiden Händen auf das Tablett. Mister Stringer erhebt sich in weihevoller Weise und deutet Lioba mit einer Handbewegung an, es ihm gleich zu tun. Lioba legt beide Hände flach auf ihren Hintern, wie um ihn zu wärmen. Gespannt steht sie vor ihrem Thron und starrt auf das, was ihr gerade serviert wird: Auf einem Fundament von Ananasscheiben und Sternfrucht auf Salatblättern und Verzierungen auf den Ohren, wie man sie von jeher auf den Schenkeln zurechtgemachter Hähnchen kennt, lächelt ihr Roberts Kopf entgegen, den man wie weiland Johannes dem Täufer abgeschlagen und als appetitliche Trophäe aufgemotzt hatte. Zwischen den vom Grinsen breiten Lippen steckt ein Sträußchen Petersilie.

Lioba wechselt die Saite

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